# taz.de -- Beauftragte Högl über die Bundeswehr: „Auch unser Land verteidi… | |
> Soll das Geld aus dem Sondervermögen auch für Hacker genutzt werden? | |
> Nein, so die Wehrbeauftragte Eva Högl. Zugleich fordert sie eine Reform | |
> des Beschaffungswesens. | |
Bild: War früher friedensbewegt: Eva Högl, die Wehrbeauftragte des Bundestags… | |
taz: Frau Högl, wie finden Sie [1][die Toten Hosen]? | |
Eva Högl: Die Toten Hosen höre ich eher weniger. Aber ich habe mit Freude | |
festgestellt, dass Campino gesagt hat: Wenn er heute noch mal entscheiden | |
müsste, würde er zur Bundeswehr gehen und Wehrdienst ableisten. Das fand | |
ich cool. | |
Das sind schon seltsame Zeiten, wenn ein Punkmusiker so eine Aussage | |
trifft. | |
Das sind schwierige Zeiten. Aber wie soll es anders sein, wenn es einen | |
brutalen [2][Krieg in der Ukraine] gibt? Das verändert alles. Man muss ganz | |
viele Dinge ganz neu denken. Und wenn ich noch mal auf Campino zurückkommen | |
darf: Es wird jetzt mehr Menschen klar, warum wir die Bundeswehr haben, | |
wofür wir sie brauchen. Auch denjenigen, denen das vielleicht vorher egal | |
war oder die sich mit Militär schwergetan haben. | |
Sie kommen aus der Friedensbewegung. Seit 2020 sind Sie Wehrbeauftragte des | |
Deutschen Bundestags. Wann hat sich Ihr Verhältnis zur Bundeswehr | |
verändert? | |
Ich musste gar nichts ändern. | |
Tatsächlich? | |
Tatsächlich. Ich bin in Niedersachsen am Rande eines Fliegerhorstes mit der | |
Bundeswehr aufgewachsen und hatte immer ein positives Bild. Ich habe nie | |
gedacht, wir brauchen das Militär nicht. Dennoch war ich der Auffassung, | |
wir müssen versuchen, Konflikte möglichst ohne Militär zu lösen. Daher | |
erklärt sich meine Neigung zum Pazifismus und auch meine Beteiligung an | |
Ostermärschen. | |
Seit dem 24. Februar scheint sich die Logik umgekehrt zu haben: Militär ist | |
gerade die Voraussetzung, um Konflikte zu lösen. | |
So stellt es sich tatsächlich im Moment dar, dass es im Sinne von | |
Abschreckungspolitik ohne Militär und auch ohne eine gute Ausstattung nicht | |
geht. Wir mussten feststellen, dass wir die Ukraine militärisch | |
unterstützen müssen, damit Putin den Krieg nicht gewinnt. | |
Finden Sie diese [3][Begeisterung für Waffenlieferungen]^ und alles | |
Militärische nicht auch etwas unheimlich? | |
Es ist eine bittere Erkenntnis, dass die jahrelangen Handelsbeziehungen zu | |
Russland und die Verständigung auf persönlicher Ebene nicht zu einem | |
dauerhaften Frieden in Europa geführt haben. Viele müssen ihr Bild von | |
Putin und von Russland grundlegend revidieren. Ich gehöre dazu. | |
Ein Ausdruck dieser Zeitenwende ist das | |
[4][100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr]. Olaf Scholz | |
hatte es angekündigt. Noch verhandelt die Ampelregierung mit der Union. Wie | |
groß sind die Erwartungen in der Bundeswehr, dass der Bundestag es schnell | |
verabschiedet? | |
Riesig. Die Soldatinnen und Soldaten gehen davon aus, dass das Geld zügig | |
bei ihnen ankommt und sie spürbar besser ausgestattet und ausgerüstet sind. | |
Und das zu recht. | |
Momentan streiten sich Union und Ampel darüber, wie der Kanzler das mit dem | |
Sondervermögen gemeint hat: Ist es nur für die Bundeswehr oder auch für | |
Hacker, die Cyberangriffe abwehren? | |
Als Wehrbeauftragte sage ich Ihnen: Der Kanzler war sehr klar. Er hat | |
gesagt, dieses Geld soll komplett für die Bundeswehr zur Verfügung stehen. | |
Und die Erwartung in der Bundeswehr ist, dass es so kommt. | |
Ausschließlich? | |
Hundert Prozent. Denn wenn wir schauen, wofür das Geld ausgegeben werden | |
soll, dann ist es relativ schnell verplant. | |
100 Milliarden Euro? | |
Dazu braucht es nicht viel Phantasie. 20 Milliarden Euro brauchen wir | |
allein für Munition. Die Tornado-Nachfolger kosten viel Geld, die schweren | |
Transporthubschrauber ebenfalls. Wenn man dann noch ein U-Boot will und | |
eine Fregatte, dann sind die 100 Milliarden schnell weg. | |
Der Bundeskanzler hat auch gesagt, er wolle den Verteidigungsetat auf 2 | |
Prozent der deutschen Wirtschaftskraft erhöhen, was jedes Jahr etwa 20 | |
Milliarden Euro mehr als bislang wären. Die SPD sagt jetzt, das Geld kommt | |
aus dem Sondervermögen. Die Union meint, das komme obendrauf. Wie haben Sie | |
Olaf Scholz verstanden? | |
100 Milliarden Euro plus das 2-Prozent-Ziel. Das hieße dann 70 Milliarden | |
Euro im Verteidigungshaushalt. Aber letztendlich muss das ja auch | |
ausgegeben werden. Ich finde es viel wichtiger, dass dieses Geld auch bei | |
der Truppe ankommt. | |
Aber wenn wir künftig Jahr für Jahr 20 Milliarden Euro mehr für die | |
Bundeswehr ausgeben, bleibt weniger für Bildung oder Kindergrundsicherung. | |
Wie findet die SPD-Genossin Högl das? | |
Ich kann alle verstehen, die skeptisch sind. Aber ich nehme auch wahr, dass | |
die Bundesregierung die soziale Sicherheit gleichermaßen im Blick hat und | |
nicht gegeneinander ausspielt. Die Bundeswehr ist in einem Zustand, in dem | |
sie nicht voll einsatzbereit ist. Das muss beendet werden, denn wir müssen | |
auch unser Land verteidigen. | |
Sind wir schutzlos? | |
So weit ist es nicht. Aber unseren 184.000 Soldatinnen und Soldaten fehlen | |
zum Teil die Basics: Schutzwesten, Helme, Kälte-Nässe-Schutz, Rucksäcke. | |
Unsere Funkgeräte sind nicht kompatibel mit denen anderer Länder. Das | |
heißt, die Soldatinnen und Soldaten im Nato-Einsatz müssen vom Panzer | |
heruntersteigen, sich etwas zurufen und wieder in den Panzer hinein. Wir | |
wären also im Gefecht nicht kommunikationsfähig. | |
Im Aktenschrank in ihrem Vorzimmer stehen allein drei Ordner zum | |
Beschaffungswesen. Wie groß ist die Gefahr, dass diese 100 Milliarden | |
einfach in einem schwarzen Loch versenkt werden? | |
Das darf nicht passieren. Damit es nicht dazu kommt, muss mit der | |
Bereitstellung des Sondervermögens eine grundlegende Reform des | |
Beschaffungswesens einhergehen. Wenn die 100 Milliarden Euro so ausgegeben | |
werden wie bisher, gibt es ein Problem. Ich bin viel in der Truppe | |
unterwegs und unterhalte mich mit Soldatinnen und Soldaten. Es ist | |
unfassbar, in welchen Zeiträumen geplant, umgesetzt und beschafft wird. | |
Selbst bei am Markt verfügbaren Ausrüstungsgegenständen dauert es oft | |
Jahre. | |
Haben Sie ein Beispiel? | |
Die Spezialkräfte der Luftwaffe brauchen einen ballistischen Schutzhelm. | |
Der ist in den USA seit Mitte der 90er im Einsatz. 2013 gab es die Idee, | |
ihn für die hiesige Luftwaffe anzuschaffen. Als ich 2022 im März am | |
Stützpunkt war, wurde mir gesagt: Vielleicht bekommen wir den Helm 2023. | |
Das sind dann zehn Jahre für einen Helm, der in den USA seit Mitte der 90er | |
Jahre im Gebrauch ist. Absurd. | |
Wo hakt es denn? | |
Man muss den Helm, der in den USA im Gebrauch ist, erst nochmal ganz | |
umfänglich testen, ob er auch auf die deutschen Köpfe passt und wirklich so | |
schützt, wie man das nach deutschen Standards erwartet. Solche Beispiele | |
gibt es aus der Bundeswehr leider viel zu viele und deswegen braucht es in | |
der Beschaffung einen grundlegenden Wechsel. Ich finde es gut, mehr am | |
Markt Verfügbares zu kaufen, also das, was unsere Partner in Nato und EU | |
auch nutzen. Nicht immer die Goldrandlösung. | |
Dann stimmt die Erzählung also nicht, dass die Bundeswehr kaputt gespart | |
wurde. Es liegt an den Strukturen. | |
Nach 2011 ist der Etat abgebaut worden. Seit 2014 ist er aber wieder | |
aufgewachsen, ohne dass man die Strukturen gut genug aufgestellt hat, um | |
tatsächlich das Notwendige zu beschaffen. Da wurde nicht immer nach dem | |
Bedarf der Bundeswehr gefragt, sondern häufig auch politisch entschieden. | |
Welches Unternehmen, in welchem Wahlkreis, erhält welchen Auftrag? | |
Die Rüstungsindustrie ist ein wichtiger Arbeitgeber. Sollten in Zukunft | |
nationale oder regionale Wirtschaftsinteressen noch eine Rolle spielen in | |
der Beschaffung? | |
Ich bin der Auffassung, dass wir das gesamte Beschaffungswesen europäisch | |
denken müssen. Wir sollten in der Europäischen Union lieber arbeitsteilig | |
arbeiten und gemeinsam beschaffen, als dass jede Region und jeder Staat | |
eifersüchtig versucht, einen Teil vom Kuchen abzubekommen. | |
Greenpeace hat gerade eine [5][Studie zum Beschaffungswesen herausgegeben]. | |
Dort heißt es: Auch die Prioritätensetzung muss klarer werden. Kann man die | |
Bundeswehr denn überhaupt für zwei Ziele gleichzeitig vernünftig ausstatten | |
– für die eigene Verteidigung und für Auslandseinsätze? | |
Diese Priorisierung muss erfolgen. Und die oberste Priorität ist eigentlich | |
schon seit 2014 die Bündnis- und Landesverteidigung. Wir sind zu nah dran | |
an der Bedrohung durch Russland, um uns wie in den vergangenen Jahren die | |
Priorisierung auf internationalem Krisenmanagement zu erlauben. | |
Verstehen wir Sie richtig: Sie sagen, nach 2014 hätte man die Bundeswehr | |
stärker auf die Landesverteidigung umstellen müssen? | |
Das Ziel wurde ja festgeschrieben. Aber die Bedrohung wurde als nicht real | |
empfunden. | |
Trotzdem ist gerade das Bundeswehrmandat für die UN-Mission in Mali | |
verlängert worden, die Höchstzahl der Soldaten wurde sogar aufgestockt. | |
Dort regiert inzwischen eine Militärregierung und Frankreich zieht seine | |
Truppen ab. Droht Mali zum zweiten Afghanistan zu werden? | |
Es wird zum Schutz deutscher Soldatinnen und Soldaten aufgestockt. Wir | |
wissen nicht, wie sich die Situation in Mali entwickelt, es bleibt ein | |
gefährlicher Einsatz. Wichtig ist, zu definieren, welches unsere Ziele dort | |
sind. Das war in Afghanistan am Ende nicht mehr klar. Deshalb müssen wir | |
den Afghanistan-Einsatz jetzt zügig evaluieren und daraus Lehren für | |
künftige Einsätze ziehen. Darauf dringe ich als Wehrbeauftragte. Das | |
erwarten auch die Soldatinnen und Soldaten. | |
Ist es nicht gefährlich, den nächsten Einsatz zu verlängern, ohne das erste | |
Fiasko aufgearbeitet zu haben? | |
Das wäre besser gewesen, da gebe ich Ihnen recht. Ich glaube trotzdem, dass | |
das Mali-Mandat eine tragfähige Grundlage ist, weil es beide Optionen | |
schafft: Abzug oder eine Aufstockung zur Sicherheit der Soldaten. | |
An der Spitze des Verteidigungsministeriums steht mit Christine Lambrecht | |
eine Frau, die sehr stark in der Kritik ist. Ist sie die Richtige für | |
diesen anspruchsvollen Job? | |
Christine Lambrecht ist eine sehr erfahrene Politikerin, kluge Juristin und | |
sehr durchsetzungsstarke Frau. Ich werde sie daran messen, was sie für die | |
Bundeswehr erreicht. | |
Abgesehen von dem Helikopterflug mit ihrem Sohn gibt es auch fachliche | |
Kritik. Sie arbeite sich nicht ein, habe keine Lust auf den Job. | |
Ich kenne Christine Lambrecht ganz anders. | |
Wie denn? | |
Sehr klar, sehr deutlich. Sie ist sehr schnell in die ganzen Themen | |
reingekommen, ist sachkundig, setzt Akzente. Und hat jetzt schon gute | |
Entscheidungen getroffen, etwa die Vergabe von Aufträgen erleichtert. | |
Der Presse wurden zuletzt Interna durchgestochen, die Lambrecht schaden. | |
Bei ihren Vorgängerinnen gab es das auch schon. Ist das | |
Verteidigungsministerium ein schwieriges Haus? | |
Die Durchstecherei war schon bei den Vorgängerinnen nicht gut. Das muss | |
enden. Es gibt einen Krieg in Europa und alle sollten ein Interesse daran | |
haben, dass die deutsche Verteidigungsministerin stark ist und viel | |
bewirken kann. | |
22 May 2022 | |
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