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# taz.de -- Wettbewerb aktueller Jüdischer Musik: Auf der Suche nach dem „Ur…
> Die Hannoversche Villa Seligmann veranstaltet Samstag einen
> Kompositionswettbewerb für aktuelle jüdische Musik. Und fragt nach
> „originär Jüdischen“.
Bild: Vertritt eine „radikale jüdische Kultur“: John Zorn (r.) in der Hamb…
Hamburg taz | Dieses Haus steht voller Orgeln. Sie entstammen der
Synagogenorgel-Sammlung von [1][Andor Izsák]. Dieser eröffnete im Jahr
2012 die Villa Seligmann, benannt nach ihrem ersten Eigentümer, als Haus
für jüdische Musik in Hannover. Schon 2006 hatte eine ebenfalls nach
Seligmann benannte Stiftung die Immobilie erworben. Izsák, selbst Professor
dort, dockte das Haus dann an die örtliche Musikhochschule an –
ausdrücklich, um die Bedeutung der nach der Shoah vergessenen
Synagogalmusik zu zementieren.
So schien gesetzt, dass das repräsentative Zeugnis jüdischen
Stadtbürgertums vor 1933 ein Forschungs- und Aufführungsort für historische
Musik würde. Mit dem 2018 berufenen Eliah Sakakushev-von Bismarck suchte
Izsák sich dann bewusst einen der Gegenwart zugewandten Nachfolger; der zum
Beispiel wissen will, wie sich zeitgenössische [2][jüdische Musik]
hierzulande entwickelt.
Um das zu ergründen, hat der langjährige Orchestercellist gemeinsam mit dem
Verein „Global Partnership“ den Kompositionswettbewerb „Aktuelle Jüdische
Musik in Deutschland“ ausgerufen, der soeben endete. „Zunächst dachte ich
nur an Klassik und Synagogalmusik“, sagt Sakakushev-von Bismarck. Im Dialog
mit Anke Biedenkapp von „Global Partnership“ habe sich dann ergeben, dass
es sinnvoll wäre, auch Jazz und Pop zu berücksichtigen. Der Wettbewerb
sollte Teil der „Europäischen Route des Jüdischen Kulturerbes“ sein: Die
Idee, diese Route von Hannover aus in Deutschland zu verankern, war
Biedenkapp im Zuge von Hannovers Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2025
gekommen.
[3][„Kulturrouten“] gibt es seit 35 Jahren, inzwischen sind es 45, gewidmet
unter anderem den Wikingern, Napoleon, der Romantik. Die Route des
„Jüdischen Erbes“ führt seit 2004 durch 17 Länder, „ohne dass sich deu…
Organisationen daran beteiligten“, sagt Biedenkapp.
## Wettbewerb als Teil einer Kulturroute
Das wollte sie ändern, allerdings nicht im Sinne eines Wanderweges, denn
die Spuren jüdischen Lebens zögen sich wie eine Art Netz durch Europa, sagt
sie. Daher habe man „virtuelle Bausteinen“ konzipiert, um jüdisches Leben
zu präsentieren. Und einer davon ist der Kompositionswettbewerb. Drum herum
wurde ein kleines Festival geplant, das neben dem Preisträgerkonzert in der
Villa auch Klubshows und „Shtetl-Disko“ bietet.
Auch der Wettbewerb selbst richtete sich insbesondere an Jüngere, die sich
mit dem Judentum identifizieren. Es gehe „um die Denkweise, das Prisma,
durch das das Licht der Gegenwart gebrochen wird“, sagt Sakakushev-von
Bismarck. „Oder aber man entwickelt Elemente der jüdischen Tradition
weiter“, wie es etwa Max Bruch 1880 in Form der Yom-Kippur-Hymne „Kol
Nidrei“ getan habe.
Auf die Ausschreibung hin gingen 40 Bewerbungen ein, es wären wohl noch
mehr gewesen ohne die Bedingung „unveröffentlichtes Stück“. Jüdisch zu s…
war nicht Voraussetzung, gewonnen haben aber vier Menschen jüdischen
Hintergrunds: der Frankfurter Komponist Camilo Bornstein, der in Brasilien
aufwuchs; der in Berlin lebende israelische Akkordeonist Ira Shiran; die
Kölner, aus Moskau stammende Dirigentin und Pianistin Ekaterina Margolin
sowie die ukrainische Popsängerin Maria Raykhman, wohnhaft in Berlin.
## Jüdische Musik spiegelt das jeweilige Umfeld
Für die Jury aus MusikerInnen und KomponistInnen sei „spannend“ gewesen, so
Biedenkapp, „dass die Grenzen zwischen jüdischer und nichtjüdischer Musik“
nicht mal für sie selbst „klar definierbar“ seien. „Jüdische Musik läs…
sich eigentlich durch das Umfeld bestimmten“, sagt Sakakushev-von Bismarck
dazu: „Sie ist eine Schwingung, die im Gesamtkontext der umgebenden Kultur
mitklingt. Die osteuropäisch-aschkenasische und die sephardische jüdische
Musik unterscheiden sich zum Beispiel stark in ihren Tonarten und
Intervallen.“ Sephardische Musik etwa könne nicht nur spanische, sondern
auch bulgarische, türkische, griechische Elemente aufweisen.
„Auch was sich derzeit in Israel abspielt, ist spannend“, sagt
Sakakushev-von Bismarck: Die dortige Musik sei durch eingewanderte
[4][Shoah-Überlebende] eher europäisch geprägt. „Aber inzwischen herrscht
der nahöstliche Klang als Ausdruck moderner Identität vor.“
Aber gibt es denn den „urjüdischen“ Klang? „Ich denke schon“, sagt
Sakakushev-von Bismarck. „Die Urquelle der jüdischen Musik ist die
Kantilation der Tora, deren Texte so heilig sind, dass man sie nicht nur
aufsagen darf. Forscher vermuten, dass diese nur mündlich überlieferten
Modi so oder ähnlich zu Zeiten des ersten Tempels vor 3.500 Jahren gesungen
wurden. Für mich haben sie einen deutlich semitischen, also – wenn man so
will – jüdischen Klang.“
Wie stark sich die junge Generation diesem Urklang verpflichtet fühlt, wird
sich zeigen: in weiteren Wettbewerben und Festivals, die Sakakushev-von
Bismark als „Herzensprojekt“ bezeichnet. „Wir wollen Menschen anregen, si…
mit jüdischer Identität zu befassen, und wir wollen die Idee der jüdischen
Musik weitertragen.“
7 May 2022
## LINKS
[1] /Organist-Izsak-ueber-die-Musik-der-Synagogen/!5138861
[2] /Interview-Jazzpianist-Leon-Gurvitch/!5108198
[3] /Unterwegs-in-Europa/!5772869
[4] /Holocaust-Gedenken-in-Jerusalem/!5847457
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Judentum
Synagoge
Jazz
Pop
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Pogrom
Schwerpunkt AfD
Musiktheater
Operette
Chanson
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