# taz.de -- Stücke von Ursula Mamlok als Ballett: Getanzte Töne | |
> 1939 floh sie mit ihren Eltern vor den Nazis nach Ecuador. Nun kehrt die | |
> Musik der Komponistin Ursula Mamlok nach Berlin zurück. | |
Bild: Klangkosmos in Bewegung: Das New Chamber Ballet tanzt Ursula Manlok | |
Mit nur 17 Jahren muss Ursula Mamlok allein auf einem großen Schiff | |
gestanden haben. Vor ihr der weite Ozean und die Hoffnung auf ein neues | |
Leben. Vielleicht hat sie fieberhaft Worte in einer fremden Sprache geübt, | |
so wie sie ihr die Eltern eingebläut haben: „Are you my uncle?“ Ein | |
entfernter Verwandter musste sie im New Yorker Hafen vom Schiff abholen, | |
sonst wäre sie als Migrantin auf Ellis Island interniert worden. | |
Für die junge Musikerin Ursula, die 1941 an der Mannes School of Music ein | |
Kompositionsstudium antrat, war dies schon die zweite Ozeanüberquerung. | |
1939 war sie mit ihren Eltern aus der Berliner Heimat vor der | |
[1][Judenverfolgung der Nazis] nach Ecuador geflohen. Bis dahin hatte sie | |
noch regelmäßig Konzerte in der alten Philharmonie besucht, doch mit der | |
Reichspogromnacht wurde klar: Juden waren in Deutschland nicht sicher. | |
Mitnehmen konnte die Familie nur das Nötigste – und Ursulas geliebtes | |
Klavier. | |
Das Haus in der Charlottenburger Schillerstraße 12, in dem sie als Kind | |
lebte und ihre ersten Musikstücke erdachte, steht noch heute. An ihre | |
Großmutter Erika Goldberg, die 1942 im Vernichtungslager Treblinka ermordet | |
wurde, gedenkt in der Sebastianstraße 16 in Mitte ein Stolperstein. 2023 | |
wurde eine Grünfläche in Schöneberg auf den Namen Ursula-Mamlok-Park | |
getauft; der Nachlass der Komponistin wird im Archiv der Akademie der | |
Künste aufbewahrt. | |
Nun präsentiert das Berliner Konzerthaus am 9. April gemeinsam mit der | |
Dwight und [2][Ursula Mamlok-Stiftung] eine Hommage an die Komponistin | |
unter dem Titel „Aphorisms“. Das Besondere: Sechs Tänzer:innen des New | |
Yorker New Chamber Ballet übersetzen Mamloks Klangkosmos in Bewegung. Dabei | |
werden sie von vier Musiker:innen begleitet. Das Publikum sitzt direkt | |
um sie herum. | |
Choreograph Miro Magloire, der ursprünglich Komposition studierte, | |
berichtet: „Ich kannte Mamlok aus der New Yorker Neue-Musik-Szene, hatte | |
ihre Musik aber nie für meine Ballette auf dem Radar.“ Erst ein ehemaliger | |
Kollege Mamloks, der Komponist Reiko Füting, habe ihm nahegelegt, doch mal | |
Musik von Mamlok zu choreographieren. „Ich war nicht sofort überzeugt, aber | |
er ließ nicht locker. Da wurde mir klar, dass da was sehr Spezielles ist: | |
Diese eigenwillige Kombination von extremer Knappheit und warmem lyrischem | |
Ausdruck, ein bisschen so, als hätte man [3][Alban Berg] mit Anton Webern | |
multipliziert. “ | |
Auch die Sängerin des Abends, Sopranistin Rachel Fenlon, kann sich Mamloks | |
Musik nicht entziehen: „Ich habe sie erst 2021 entdeckt und mich gewundert, | |
dass ich von dieser tollen Komponistin noch nie etwas gehört hatte!“ Ihr | |
persönlicher Favorit ist „Haiku“, ein intimes kammermusikalisches Stück f… | |
Flöte und Stimme: „Beide spielen immer genau einen Halbton versetzt. Das | |
führt zu starken Dissonanzen und einem extremen Obertonreichtum. Das ist | |
unglaublich schwer zu singen, aber der Klang, den sie erschafft, ist etwas, | |
das ich so noch nie gehört habe.“ | |
Dank einer Mischung aus Zielstrebigkeit, Talent und einem Quäntchen Glück | |
stieg Mamlok in den USA nach Beendigung ihres Studiums zu einer angesehenen | |
Komponistin auf. Renommierte Interpreten wie die San Francisco Symphony | |
führten ihre Werke auf, an der Manhattan School of Music lehrte sie als | |
Professorin. 2006 kehrte sie überraschend nach Berlin zurück und bezog die | |
Altersresidenz Tertianum gegenüber vom KaDeWe. Eine späte Versöhnung mit | |
der Vergangenheit? Wohl kaum. „Meine Wurzeln sind beschädigt“, erklärte | |
Ursula Mamlok damals entschieden: „Meine Heimat ist die Musik.“ | |
## Torte essen im Rollstuhl | |
„Aber sie hat schon gemerkt, dass man sich in Deutschland für ihre Musik | |
begeistert“, erklärt Musikwissenschaftlerin Bettina Brand, die sich heute | |
in der Dwight und Ursula Mamlok-Stiftung für Mamloks Musik einsetzt. Sie | |
erinnert sich an Ursula Mamlok als ehrgeizigen und lebensfrohen | |
Genussmenschen: „Ich sehe sie noch vor mir, wie sie zwei Monate vor ihrem | |
Tod im Jahr 2016 im Rollstuhl in der Sonne sitzt und ein Riesenstück Torte | |
verzehrt.“ | |
Auch in Mamloks Musik schwingt ein gewisses Savoir-vivre mit. Zwar wirken | |
auch in ihr die kopflastigen Kompositionsstile der Nachkriegszeit – sie | |
experimentierte mit Atonalität und Zwölftonreihen – doch ihre Tonsprache | |
ist dabei stets frisch, sinnlich und ideenreich: „Es gibt Werke, die sind | |
wirklich witzig“, meint Brand. „Doch es gibt auch Stücke, aus denen eine | |
große Trauer spricht. Das hätte sie allerdings nie zugegeben.“ Und doch | |
waren es die Kontraste, die Mamlok wichtig gewesen seien: „Ihr größter | |
Horror war es, das Publikum könnte sich langweilen.“ | |
8 Apr 2025 | |
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## AUTOREN | |
Anna Schors | |
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