Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Oper eines im KZ ermordeten Komponisten: Der Zorn der Geächteten
> Der Komponist Eugen Engel wurde im KZ ermordet. Seine expressive Oper
> „Grete Minde“ war lange unbekannt. In Magdeburg wurde sie jetzt
> uraufgeührt.
Bild: Raffaela Linti und Zoltan Nyári in „Grete Minde“ in Magedburg
Ein Happy End kann man diese Uraufführung nicht nennen. Ein Happy End kann
es für diese Geschichte nicht mehr geben, denn ihr Protagonist, der
Komponist Eugen Engel, wurde 1943 im [1][Vernichtungslager Sobibor]
ermordet. Aber dass nun, achtzig Jahre nach dem Tod des zu Lebzeiten
gänzlich unbekannten Musikers, seine einzige Oper doch noch auf die große
Bühne kommt, das ist zumindest ein kleiner tröstlicher Dreh im Epilog.
Eugen Engel, 1875 im ostpreußischen Widminnen in eine jüdische Familie
geboren, war als Komponist das, was man einen Autodidakten nennt. Von Beruf
Stoffhändler (er betrieb ein Geschäft in Berlin-Mitte), war er nie in den
Genuss einer geregelten musikalischen Ausbildung gekommen, hatte aber
privat Unterricht genommen. Etliche Lieder von ihm kamen in Amateurkreisen
zur Aufführung. An seiner Oper arbeitete er möglicherweise seit 1914, genau
ist das nicht mehr festzustellen; sicher ist nur, dass sie ausgerechnet im
Jahr 1933 fertig wurde und Engel sich in den Folgejahren vergeblich um
Aufführungsmöglichkeiten im Ausland bemühte.
Seine Tochter Eva war rechtzeitig in die Niederlande und weiter in die USA
emigriert. Dorthin nahm sie auch einen Koffer mit, der unter anderem die
Opernpartitur enthielt – und den erst ihre eigenen Kinder viele Jahrzehnte
später öffneten. Über private Kontakte geriet der Klavierauszug (den Engel
selbst noch hatte anfertigen lassen) in die Hände von Anna Skryleva,
Generalmusikdirektorin an der Oper Magdeburg. Skryleva erkannte das große
Bühnenpotenzial des Materials und beschloss, sich dafür einzusetzen.
Intendantin Karen Stone zog mit, um das Werk in Magdeburg zur Uraufführung
zu bringen.
Das passt auch geografisch, denn Handlungsort von [2][„Grete Minde“] ist
die Stadt Tangermünde, die nur ein kleines Stück weiter elbabwärts liegt.
1617 brannte sie zum großen Teil nieder. Der Brandstiftung für schuldig
befunden wurde unter anderem eine junge Frau: Margarethe Minde, die sich
mit Verwandten um eine Erbschaft gestritten und angeblich aus Rachsucht die
Stadt angezündet hatte.
## Fontane stellte sich auf die Seite der Frau
Diese historische Grete Minde (deren Schicksal auch Siegfried Matthus und
Søren Nils Eichberg zu Opern verarbeitet haben) gilt mittlerweile als
unschuldiges Opfer eines Justizmords. Als Theodor Fontane im Jahr 1879 eine
Novelle aus dem Stoff machte, ging er noch von der Schuld Gretes aus,
schlägt sich aber erzählerisch eindeutig auf die Seite der Frau, der von
der Gesellschaft Unrecht getan wird. Das Libretto, das der spätere
Nazi-Journalist Hans Bodenstedt 1914 für Engels Oper schrieb, hält sich
dicht an Fontanes Vorlage. In der Novelle wie in der Oper stirbt Grete in
den Flammen.
Die Magdeburger Bühnen-Grete, Raffaela Lintl, verfügt über einen starken
und geschmeidigen Sopran, der hervorragend zum Temperament, der spontanen
Emotionalität und Gradlinigkeit der Hauptfigur passt: Ihre Grete ist eine
Art Naturkind. Als Halbwaise und Tochter einer von auswärts stammenden
Katholikin ist sie gesellschaftliche Außenseiterin und fühlt sich in der
Familie ihres Halbbruders als Kindermädchen für den kleinen Sohn
ausgenutzt. Als der schwelende Dauerkonflikt mit der Schwägerin eines Tages
eskaliert, flieht Grete aus der Stadt und schließt sich einer fahrenden
Schauspieltruppe an.
In diesem ersten Akt muss die Oper spürbar erst in Fahrt kommen, es muss
viel erklärt und verstanden werden, das ist Arbeit für alle. Danach aber
flutscht es. Gretes Schicksal reißt mit; sie muss den Tod des Liebsten
erleben, dann die Rückkehr in die ungeliebte Stadt, das Ausgestoßensein,
die hilflose Wut. Eugen Engels Musik trägt das alles mühelos; die Partitur
kann lyrische wie exaltierte Töne, folgt nicht nur den Figuren motivisch in
alle Seelenlagen, sondern ist immer auch weiser als sie, liefert
Unterströmungen und kommentierende Gestik mit.
## Kommunikation durch Klänge
Ausgesprochen abwechslungsreich instrumentiert, ist Engels Musik hörbar
beeinflusst von der weit aufgespannten, dabei programmatisch variablen
Orchestrierung eines Richard Strauss. Ja, vielleicht sind hier und da auch
Wagner’sche Anklänge zu hören, aber nur als leichtes Aufwallen am Rande.
Eugen Engel verfolgt kein Konzept der musikalischen Überwältigung, vielmehr
eines der Kommunikation durch Klänge; seine Musik behält bei aller
zeittypisch großen Expressivität stets auch narrative Mitteilsamkeit.
Das Orchester der Oper Magdeburg unter Anna Skryleva vereint in seiner
souveränen Performance beides. Der groß besetzte Opernchor singt wie mit
einer Stimme, und auch alle SolistInnen sind wunderbar disponiert. Etwas
irritierend sind allein die 40er-Jahre-Anspielungen in Kostümen und
Videoeinspielungen, die Regisseurin Olivia Fuchs für sinnvoll gehalten hat.
Aber darüber lässt sich leicht hinwegsehen.
15 Feb 2022
## LINKS
[1] /Verfolgte-juedische-Sportlerinnen/!5827569
[2] /Archiv-Suche/!5621073&s=Grete+Minde&SuchRahmen=Print/
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
Musiktheater
Oper
Magdeburg
Uraufführung
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Konzentrationslager
Judentum
Gedenken
Theater
Staatstheater Braunschweig
Musiktheater
## ARTIKEL ZUM THEMA
Wettbewerb aktueller Jüdischer Musik: Auf der Suche nach dem „Urquell“
Die Hannoversche Villa Seligmann veranstaltet Samstag einen
Kompositionswettbewerb für aktuelle jüdische Musik. Und fragt nach
„originär Jüdischen“.
Gedenken an Orchester in NS-Zeit: Jazz im KZ
Ein Konzert in Weimar erinnerte an das Jazzorchester Rhythmus, das im KZ
Buchenwald spielte. Darunter auch Songs von Legende Duke Ellington.
Performance „Sehr schön und sehr tot“: Alle Frauen müssen sterben
Die Kultur des Femizids von der Antike bis zur Gegenwart untersucht das
Staatstheater Braunschweig in einer textlastigen Performance.
Oper über Todesstrafe: Ein Mörder als Ersatz-Jesus
Eingängig und eindringlich, ohne in den Kitsch abzugleiten: Jack Heggies
Oper „Dead Man Walking“ in Braunschweig.
Experimentelles Musiktheater: Fortsetzung folgt
Ein selten schönes Opernereignis ist das Projekt „Once to be realised“ an
der Deutschen Oper Berlin. Es beruht auf Skizzen des Griechen Janis
Christou.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.