| # taz.de -- Verfolgte jüdische Sportlerinnen: Tödliches Ende der Turnsters | |
| > Das Turn-Team der Niederlande begeisterte die Menschen bei den | |
| > Olympischen Spielen 1928. Fünf der Sportlerinnen wurden später von den | |
| > Nazis ermordet. | |
| Bild: Turnwettbewerb der Frauen bei den Olympischen Spielen 1928 in Amsterdam | |
| Es gibt nicht viele Fotos von den ersten niederländischen | |
| Goldmedaillengewinnerinnen, die 1928 bei den [1][Spielen in Amsterdam] | |
| unerwartet im Mannschaftsturnen siegten. Auf den wenigen Bildern sind zehn | |
| kerzengerade dastehende Frauen in Turnkleidung neben ihrem Trainer zu | |
| sehen, alle lachen. Vier der Fotografierten sowie eine Ersatzturnerin | |
| werden 15 Jahre später in den Vernichtungslagern der Nazis ermordet. | |
| Wer zu den olympischen Turnerinnen gehören würde, war im Frühjahr 1928 in | |
| mehreren Vorturn-Wettbewerben entschieden worden. Eine Jury legte jeweils | |
| fest, welche Frauen in die nächste Runde kamen – die Idee dazu stammte | |
| nicht etwa von den Funktionären, sondern den Athletinnen selbst, die | |
| möglichst früh wissen wollten, wer dabei sein durfte. | |
| Im Mai begann für die zehn Olympia-Turnerinnen und ihren Coach Gerrit | |
| Kleerekoper, der im Hauptberuf als Diamantenschleifer arbeitete, das | |
| Training. Die Begeisterung für das Gold-Team war enorm. Die Zeitung | |
| Telegraaf veröffentlichte eine gereimte Ode an die „Turnsters van Holland“, | |
| die in ihren jeweiligen Heimatstädten von Menschenmassen empfangen wurden. | |
| Trainer Kleerekoper bekam sogar eine eigene tägliche Radiosendung, in der | |
| er Turnübungen präsentierte. | |
| [2][Dann marschierten die Nazis ein]. Ersatzturnerin Judikje Simons hatte | |
| 1935 Bernhard Salomon Themans geheiratet, die beiden leiteten später das | |
| 1871 gegründete jüdische Kinderheim Centraal Israëlitisch Weeshuis in | |
| Utrecht. Während der Besetzung wurde das Heim nach Amsterdam umgesiedelt. | |
| Obwohl das Ehepaar gewarnt wurde, entschied es sich, bei den Waisenkindern | |
| zu bleiben. 1943 wurde Judikje mit ihrem Mann, der fünfjährigen Tochter | |
| Sonja und dem dreijährigen Sohn Leon nach Sobibor deportiert, wo sie am 20. | |
| März, dem Tag ihrer Ankunft, ermordet wurden. | |
| Die Amsterdamerin Anna „Ans“ Polak heiratete 1936 den Schneider Barend | |
| Dresden, ein Jahr später wurde Tochter Eva geboren. 1943 wurde die Familie | |
| ins Lager Westerbork und Ende Juni desselben Jahres nach Sobibor | |
| deportiert. | |
| Turnerin Helena „Lea“ Nordheim führte zusammen mit ihrem Mann Abraham Kloot | |
| in Amsterdam ein Friseurgeschäft. 1933 wurde Tochter Rebecca geboren. Zehn | |
| Jahre später wurde die Familie verhaftet und ins Lager Westerbork | |
| überstellt. Am 29. Juli 1943 wurde sie ins Vernichtungslager Sobibor | |
| deportiert, wo sie ermordet wurden. | |
| Im selben Zug waren Gerrit Kleerekoper und seine Frau Eva. Das Paar hatte | |
| fünf Kinder, von denen laut der Webseite „Joods Monument“ nur eine Tochter | |
| die Nazizeit überlebte. | |
| Estella Agsteribbe hatte einen Mann geheiratet, den sie im Bato-Sportclub, | |
| dem größten jüdischen Sportverein, kennengelernt hatte. Mit der | |
| sechsjährigen Tochter Nanny und dem zweijährigen Sohn Alfred wurde das | |
| Ehepaar am 14. September 1943 nach Auschwitz deportiert. Estella und ihre | |
| Kinder wurden sofort nach der Ankunft ermordet, Shmuel überlebte die | |
| Selektion zunächst und wurde im April 1944 getötet. | |
| Elka de Levie war die einzige Jüdin im Turnteam, die die Nazizeit | |
| überlebte. Sie starb 1978 im Alter von 74 Jahren. Interviews hatte die | |
| zurückgezogen lebende Frau nie gegeben. | |
| 27 Jan 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Elke Wittich | |
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