| # taz.de -- Gedenken an Orchester in NS-Zeit: Jazz im KZ | |
| > Ein Konzert in Weimar erinnerte an das Jazzorchester Rhythmus, das im KZ | |
| > Buchenwald spielte. Darunter auch Songs von Legende Duke Ellington. | |
| Bild: Eine Eintrittskarte für ein Konzert im KZ Buchenwald | |
| Am 3. Dezember 1940 schreibt der tschechische Journalist, Schriftsteller | |
| und Musiker Jiří Žák seinem Vater: „Ich danke dir vielmals für das Banjo, | |
| hoffentlich hast du Tenor gekauft. Ich bekomme es in den nächsten Tagen. … | |
| Du kannst mir, lieber Vater, etwas über das musikalische Leben bei uns | |
| schreiben. Du gehst doch immer noch mit der Zeit. Wie steht es mit der | |
| Jazzmusik?“ | |
| Das ist keine normale Danksagung, Žák schreibt diese Zeilen im | |
| Konzentrationslager Buchenwald, in das er im September 1939 aus dem KZ | |
| Dachau deportiert worden ist. Im Frühjahr war Žák einen Monat, nachdem | |
| Nazideutschland die Tschechoslowakei besetzt hatte, wegen „Zugehörigkeit | |
| zur kommunistischen Jugendorganisation“ verhaftet worden. | |
| In Buchenwald wurde Žák Mitinitiator eines Jazzorchesters, in dem ab 1943 | |
| bis zur Befreiung 23 Musiker aus neun verschiedenen Ländern spielten: Neben | |
| Tschechen, die als Hauptanstifter gelten, sind Franzosen, Holländer und je | |
| ein Deutscher, Belgier, Amerikaner, Russe und Lette bekannt. Belegt sind | |
| zwei Konzerte, eines im November 1944, das andere am 19. April 1945, acht | |
| Tage nach der Befreiung, die das Orchester unter dem Namen Rhythmus | |
| ankündigen. | |
| Einen Hinweis auf den vermutlichen Namensursprung gibt der Kunsthistoriker | |
| Patrick Bade in seiner Untersuchung „Music Wars 1937–1945“. Der Begriff | |
| „Swing“ war bei den Nazis „verpönt oder sogar verboten“. | |
| ## „Wer swingt, marschiert nicht“ | |
| Die Auftritte von Rhythmus fanden im Kinosaal des Lagers statt. Jazz in | |
| einem deutschen KZ? Von Heinrich Himmler, „Reichsführer SS“, ist seine | |
| Aversion gegenüber „dieser anglophylen (sic!) Tendenz in einer Zeit, in der | |
| Deutschland um seine Existenz kämpft“ überliefert und in der | |
| Renitenzhistorie „Teenage“ des britischen Autors Jon Savage nachzulesen. | |
| Himmlers Parteigenosse und SS-Sturmbannführer Hans Reinhardt wird mit dem | |
| Satz zitiert: „Was mit Ellington anfängt, das hört mit dem Attentat auf den | |
| Führer auf.“ | |
| Zwei Kompositionen von Duke Ellington waren zu hören, als am Montag in der | |
| „Notenbank“ Weimar die Geschichte des Jazzorchesters aus dem [1][nahen KZ | |
| Buchenwald] vorgestellt wurde: Die Bigband der Hochschule für Musik unter | |
| der Leitung von Gero Schmidt-Oberländer spielte „Caravan“, einen Song, | |
| dessen Schlangenlinien den deutschen Jazzmissionar Joachim-Ernst Berendt | |
| bestätigen, der meinte: „Wer swingt, der marschiert nicht.“ Auch zur | |
| Aufführung kam „Solitude“, ein melancholischer Eintrag aus dem | |
| Ellington-Songbook. | |
| Dabei hatte das Orchester um Jiří Žák auch Eigenkompositionen aufzuweisen. | |
| Eine von ihnen eröffnete den Abend, und sie war nicht ohne Grund „Der | |
| eiserne Besen“ betitelt, eine Ballade. Eine der wenigen des Programms | |
| übrigens, gerade die tendenziell eher ausgelassene Musik war es, die die | |
| Beklemmung noch unterstrich. | |
| Durch das Programm führten die Wissenschaftlerinnen Franka Günther und | |
| Marketa Kroupova. Über Jahre haben sie in detektivischer Arbeit die film- | |
| und buchreife Geschichte des Rhythmus-Orchesters recherchiert. Zu den | |
| Archivalien gehören Fotos, Notizen und die Kontrollkarten der | |
| Häftlingsmusiker. Der rote Winkel rechts oben weist sie als politische | |
| Gefangene aus. | |
| ## Wie durch ein Wunder überlebt | |
| Da war der Franzose Louis Marcovitch, Spiritus Rector des Orchesters, der | |
| sich selbst „Marco“ nannte. Über ihn haben Günther und Kroupova | |
| herausgefunden, dass er nach 1933 zeitweise als Dirigent im Pariser | |
| Nachtclub Lido gearbeitet hatte. 1942 von der französischen Polizei in | |
| Paris wegen „Beihilfe zu terroristischen Machenschaften“ verhaftet und der | |
| Gestapo überstellt, überlebte er wie durch ein Wunder seine Erschießung, | |
| floh aus einem Haftkrankenhaus und schloss sich der Résistance an. | |
| Erneut verhaftet, auf einer fünftägigen Fahrt im Viehwaggon nach Buchenwald | |
| deportiert und zum Tode verurteilt, überlebte er abermals, weil ein | |
| Luftangriff am 24. August 1944 Marcovitchs Unterlagen in der Politischen | |
| Abteilung des KZ vernichtete. In Buchenwald komponierte er ein Kampflied, | |
| nach der Befreiung leitete er das Orchester im Pariser Winterzirkus. | |
| Dass sich der eingangs zitierte Brief Jiří Žáks im Archiv der | |
| Friedrich-Ebert-Stiftung fand, hat mit seinem Weg nach 1945 zu tun: Er | |
| engagierte sich in der Tschechoslowakei kulturpolitisch. 1952 wurde einer | |
| seiner besten Freunde aus Buchenwald, Josef Frank, in dem Schauprozess um | |
| Rudolf Slánský zum Tode verurteilt und 1968 posthum als „Held der ČSSR“ | |
| ausgezeichnet. Žák emigrierte nach Niederschlagung des Prager Frühlings in | |
| die Bundesrepublik. 1958 hat er Bruno Apitz’ Buchenwaldroman „Nackt unter | |
| Wölfen“ ins Tschechische übersetzt. | |
| 13 Apr 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /75-Jahre-Befreiung-von-Buchenwald/!5711225 | |
| ## AUTOREN | |
| Robert Mießner | |
| ## TAGS | |
| Gedenken | |
| Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
| Jazz | |
| Buchenwald | |
| Konzentrationslager | |
| Adolf Hitler | |
| Musiktheater | |
| Musik | |
| Auschwitz | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Jahrestag des Stauffenberg-Attentats: Ambivalenz aushalten | |
| Erneut wird über die Motive der Umsturzgruppe um Graf Stauffenberg | |
| debattiert. Es zeigt, welche Leerstellen die Widerstandsgeschichte noch | |
| aufweist. | |
| Oper eines im KZ ermordeten Komponisten: Der Zorn der Geächteten | |
| Der Komponist Eugen Engel wurde im KZ ermordet. Seine expressive Oper | |
| „Grete Minde“ war lange unbekannt. In Magdeburg wurde sie jetzt | |
| uraufgeührt. | |
| Gedenken an jüdische Komponisten: Gebührendes Gehör | |
| In Hamburg und Dresden haben sich neue Orchester gebildet. Sie bringen | |
| Werke von jüdischen Komponisten, die unter den Nazis verdrängt wurden, in | |
| die Gegenwart. | |
| Neues Buch zum 30. Todestag Primo Levis: „So war Auschwitz“ | |
| Das Buch, das zum Todestag von Primo Levi erscheint, enthält teils | |
| unveröffentlichte Zeugnisse des Holocaust-Überlebenden. |