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# taz.de -- Sportpolitische Fehlbesetzung: Wenn aus dem Bonus ein Malus wird
> Warum Politeinsteiger Frank Ullrich (SPD) als Vorsitzender des
> Bundestags-Sportauschusses nicht tragbar ist.
Bild: Vom Biathlet zum Trainer zum Politiker: Frank Ullrich, 64, Olympiasieger
Politik ist ein schwieriges Geschäft, und die Vergesslichkeit des Menschen
ist etwas anderes als das Unvermögen von Politikern, sich in brenzligen
Situationen erinnern zu können. Seit gut drei Monaten ist Frank Ullrich nun
Vorsitzender des Sportausschusses im Bundestag. Die SPD hielt die Berufung
des Mannes aus Thüringen für eine gute Idee.
Auf der einen Seite hat der 64-Jährige den nicht nur im Thüringer Wahlkreis
196 beargwöhnten CDU-Politiker Hans-Georg Maaßen unter vielstimmigem
Applaus aus dem Weg geräumt, Sportsmann Ullrich gilt wegen seines jovialen
Wesens auch als Sympathieträger. Der wird sich schon machen, werden sich
führende Sozialdemokraten gedacht haben, der wächst ins Amt hinein. Doch
die Boni, mit denen er ins Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages – da
finden die Sitzungen des Sportausschusses statt – einzog, schmolzen so
schnell wie der Frühlingsschnee am Oberhofer Grenzadler.
Es war keine gute Idee, Frank Ullrich auf so einen exponierten Posten zu
heben, denn jenseits der Ebene des Hinterbänklertums greifen politmediale
Mechanismen, die schon die größten Strahlemänner und -frauen zum Straucheln
gebracht haben. Wenn ein politischer Novize Großposten einnimmt, dann wird
eben genauer geschaut, was er in der Vergangenheit so getrieben hat.
Rechercheure begeben sich auf die Suche nach Kompromat und leuchten die
Zwischenzeilen der Biographie genau aus.
Das kann manchmal pingelig und kleinlich wirken, aber bei der Person Frank
Ullrich, die der Öffentlichkeit als Biathlet und Trainer bekannt ist,
mussten die Checker nicht erst mit der Lupe suchen: Ullrich kultiviert eine
merkwürdige Beziehung zu seiner eigenen Vergangenheit. Das wird [1][bei
einem ehemaligen Kaderathleten] und im Dopingsystem der DDR hoch
dekorierten Sportler („Vaterländischer Verdienstorden in Silber“) zum
Problem.
## Ein Unbeteiligter im Dopingsystem?
Es ist schlichtweg undenkbar, dass Ullrichs Rolle im DDR-Doping so gewesen
sein soll, wie er sie darstellt: Er sei im Grunde ein Unbeteiligter
gewesen, der nicht nur nicht involviert gewesen sei in die große
Betrugsmasche, sondern selbstredend auch nie Anabolika eingenommen haben
will. Er will immer fein raus gewesen sein. Wirklich? In einer Maschinerie,
die mit bürokratischer Genauigkeit die Diplomaten im Trainingsanzug dopte?
Wo das Wissen über den Medikamentenmissbrauch zumindest in der Kaste der
Trainer des Armeesportklus Oberhof von einem zum anderen ging wie im Volk
die neuesten Witze übers SED-Politbüro? Ehemalige Sportler, die Ullrich mit
der Wahrheit konfrontierten, wurden der Lüge bezichtigt, er drohte mit
Klagen, ließ aber letztlich davon ab, vielmehr dozierte er darüber, dass
Doping im Biathlon nichts bringe, weil die Teildisziplinen Skilanglaufen
und Schießen so unterschiedlich seien – eine mindestens dreiste Behauptung.
Das Maß war voll, als Ullrich auch ins Aufsichtsgremium der
Anti-Doping-Agentur in Bonn berufen werden sollte. Der Sportausschuss
wollte diesen Sachverhalt am Mittwoch erörtern, doch Ullrich war nach einem
Corona-Positivtest nicht zugegen, ebenso wich er bis heute einem Gespräch
mit dieser Zeitung aus („Ich werde mich zeitnah bei Ihnen melden“); das ist
10 Wochen her. Vielleicht hat er es vergessen, so wie er „vergessen“ hat,
dass unterstützende Mittel in der DDR eben nicht Mineralsalze und Vitamine
waren, sondern Dopingmittel, Androgene und anderes Horrorzeug.
Dass irgendetwas schief läuft in Ullrichs Erinnerung, das ist vor geraumer
Zeit ja auch schon einer Kommission des Deutschen Ski-Verband aufgefallen,
die dem Olympiasieger [2][einen „unbewusst gesteuerten
Verdrängungsmechanismus“] attestierte. Das kann im Leben hilfreich sein, in
der Politik selten.
8 Apr 2022
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Frank_Ullrich
[2] https://www.deutschlandfunk.de/ein-unbewusst-gesteuerter-verdraengungsmecha…
## AUTOREN
Markus Völker
## TAGS
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