# taz.de -- Aufarbeitung des DDR-Dopings: Die Bewusstwerdung | |
> DDR-Sportliebling Frank Ullrich, jetzt für die SPD an der Spitze des | |
> Sportausschusses, gerät wegen seiner Vergangenheit stark unter Druck. | |
Bild: „Unbewusst gesteuerter Verdrängungsmechanismus“: Frank Ullrich und d… | |
Als „ein verheerendes Signal und Schlag ins Gesicht der Opfer des | |
DDR-Dopings, die noch heute an den gesundheitlichen Folgen leiden“, hat | |
kürzlich die Beauftragte des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der | |
SED-Diktatur, [1][Birgit Neumann-Becker], die Entsendung von Frank Ullrich | |
ins Aufsichtsgremium der Nada bezeichnet, der deutschen | |
Antidopingagentur. Sie sehe es als notwendig an, dass Ullrich seine | |
Verstrickung als Sportler und vor allem als Trainer in der DDR in Bezug auf | |
Dopingmittel aufkläre. Zudem wies sie darauf hin, dass Ullrich in der DDR | |
NVA-Offizier im Armeesportklub Oberhof, zuletzt im Rang eines Majors, sowie | |
SED-Mitglied war. | |
Dies alles zeige, wie eng er mit dem System verwoben gewesen sei. Sie | |
forderte ihn auf, seine Vergangenheit transparent zu machen. Weiter | |
kritisiert Neumann-Becker, dass Ullrich sich an der Aufarbeitung des | |
Dopings nicht beteiligt habe. Auch [2][die Bundesbeauftragte für SED-Opfer, | |
Evelyn Zupke], kritisierte den SPD-Politiker, der seit einigen Wochen den | |
Sportausschuss des Bundestags leitet: „Ich vermisse einen kritischen Umgang | |
mit seiner eigenen Rolle im DDR-Dopingsystem. Und ich vermisse auch, dass | |
sich Herr Ullrich jemals für die Dopingopfer interessiert hat.“ | |
In einer Presseerklärung vom Mittwoch ließ Ullrich nun verlauten, dass er | |
ein Angebot der SED-Opferbeauftragten Zupke annehmen werde: „Ich werde mit | |
ihr gemeinsam auch den Austausch mit Doping-Betroffenen suchen. Das ist | |
letztlich eine Chance, gemeinsam mehr Licht in das DDR-Dopingsystem zu | |
bringen und die Rolle, die wir darin gespielt haben.“ Der Obmann der | |
CDU/CSU-Fraktion im Sportausschuss, Fritz Güntzler, fordert, dass Ullrich | |
sein Amt im Aufsichtsrat der Nada niederlegen müsse. Es sei zu spät, jetzt | |
noch glaubhaft für „sauberen Sport im Nada-Aufsichtsrat einzutreten“, | |
teilte er mit. | |
Selbst Ullrichs Fraktionskollegin, die sportpolitische Sprecherin der SPD, | |
Sabine Poschmann, findet es angesichts der Vorwürfe „richtig, dass Ullrich | |
sein Aufsichtsratsmandat bei der Nada jetzt erst mal ruhen lässt“. Dem | |
stellvertretenden Vorsitzenden des Sportausschusses, Philip Krämer vom | |
Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen ist das nicht genug: „Ich erwarte | |
von Herrn Ullrich jetzt, dass er hier ganz klar darlegt, ob er vom Doping | |
in der DDR wusste.“ Eine Sitzung des Sportausschusses am Mittwoch | |
verpasste Ullrich wegen eines Corona-Positivtests. | |
## Belege für Doping im Biathlon | |
Ullrich, der 1976, 1980 und 1984 an Olympischen Winterspielen teilnahm, | |
beharrt weiterhin darauf, in seiner Zeit als Athlet niemals wissentlich mit | |
Doping in Kontakt gekommen zu sein. Die FAZ hatte kürzlich aus seit vielen | |
Jahren bekannten Stasi-Akten zitiert, die einen gegenteiligen Schluss | |
zulassen: In einem handschriftlichen Bericht schrieb der Verbandsarzt des | |
DDR-Skiläuferverbandes, Hans-Joachim Kämpfe, der unter dem Decknamen IM | |
„Schmied“ auch für die Stasi als Spitzel arbeitete, am 15. März 1984 eine | |
„Kurzeinschätzung der Wirksamkeit der UM („unterstützende Mittel“ war d… | |
Pseudonym für den Einsatz von Anabolika im DDR-Sport; d. Red.) in der | |
Vorbereitung der Olympischen Winterspiele 1984 in Sarajevo“. | |
Weiter: „Im Biathlon wurde die Beeinflussung mit OT (Oral-Turinabol; d. | |
Red.) nach den in den vorhergehenden Jahren bewährten Prinzipien geplant | |
und realisiert.“ Aus dem Jahr 1971 datieren Stasi-Unterlagen des | |
DDR-Sportarztes Heinz Wuschech aus Berlin, die belegen, dass die damaligen | |
DDR-Skilangläufer Gerhard Grimmer und Gert-Dietmar Klause mit Anabolika | |
gedopt worden sind. | |
Parlamentserfahrung hat der Bundestagsneuling Ullrich bisher kaum, seit | |
2019 wirkte er als damals noch Parteiloser im Stadtrat seiner Heimatstadt | |
Suhl mit. Seinen Einzug in den Bundestag hatte Ullrich mit den Worten | |
kommentiert: „Es fühlt sich wie ein Olympiasieg an.“ Und es sei für ihn | |
eine große Ehre, „in der Herzkammer der Demokratie Platz zu nehmen“. | |
Bereits im Jahr 1991 wurden Dopingvorwürfe gegen Ullrich öffentlich. Der | |
frühere DDR-Biathlet Jens Steinigen hatte schon 1991 die in der DDR | |
verantwortlichen Biathlontrainer Kurt Hinze aus Oberhof, Wilfried Bock und | |
Frank Ullrich belastet, weil sie ihn einst zur Dopingeinnahme überreden | |
wollten. Daraufhin wurde Steinigen von Hinze verklagt. Hinze verlor den | |
Prozess vorm Landgericht Mainz und musste von seinem Amt als | |
Biathlonbundestrainer der Männer zurücktreten. | |
Im März 2009 hatte der ehemalige DDR-Biathlet Jürgen Wirth den Trainern | |
Bock und Ullrich eine aktive Dopingverstrickung vorgeworfen; konkret, dass | |
auch Ullrich die Einnahme des Dopingmittels Oral-Turinabol mit angeordnet | |
und die Einnahme überwacht habe. Auch die beiden DDR-Biathleten und | |
einstigen Mannschaftskameraden von Ullrich, Andreas Heß und Jürgen | |
Grundler, hatten gegenüber der ARD-Sportredaktion im Jahr 2009 erklärt, | |
dass Ullrich bei einer polizeilichen Vernehmung 1994 die Unwahrheit gesagt | |
habe mit seiner Behauptung, „Tabletten, blau, gelb oder rosafarbene, habe | |
ich nicht auf den Trainingslagern bekommen“. | |
Eine Aussage, die die beiden Dopinggeschädigten Heß und Grundler als Hohn | |
empfanden. Ullrich hat all die Vorwürfe gegen ihn immer abgestritten und | |
stets behauptet, unter der Bezeichnung „unterstützende Mittel“ im | |
DDR-Leistungssport habe er Vitamine, Mineralsalze und physiotherapeutische | |
Maßnahmen verstanden. Aber wie die Dopingprozesse zum DDR-Sport und auch | |
die Stasi-Unterlagen eindeutig belegt haben, waren „unterstützende Mittel“ | |
überwiegend Anabolika, verbotene Dopingmittel. | |
Eine vom Deutschen Skiverband eingesetzte Untersuchungskommission urteilte | |
so über Ullrich: Wenn er auch heute behaupte, er sei davon ausgegangen, | |
dass es sich lediglich um trainingsunterstützende Mittel im legalen Bereich | |
gehandelt hätte, so sei das einem „[3][unbewusst gesteuerten | |
Verdrängungsmechanismus]“ geschuldet. Das Verdrängte kommt nun zurück. | |
8 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://aufarbeitung.sachsen-anhalt.de/ | |
[2] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2021/kw23-de-wahl-sed-opferbe… | |
[3] https://www.deutschlandfunk.de/ein-unbewusst-gesteuerter-verdraengungsmecha… | |
## AUTOREN | |
Thomas Purschke | |
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