# taz.de -- Reisen in die Ukraine: Unterstützung oder Kriegstourismus? | |
> Die Ukraine ist gerade ein beliebtes Reiseziel für Prominente und | |
> Politiker:innen. Für ihre Besuche ernten sie allerdings nicht nur | |
> Wohlwollen. | |
Bild: Die US-Schauspielerin Angelina Jolie besuchte am 30. April Kriegsbetroffe… | |
Als die Sirenen in Lwiw aufheulen, muss auch Angelina Jolie in den Bunker | |
hasten. Die US-Schauspielerin ist Sondergesandte des | |
UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR und hat sich – offenbar spontan – einen | |
Eindruck von der Lage der Geflüchteten in der Westukraine verschafft. Sie | |
besucht ein Kinderkrankenhaus, schaut sich Unterkünfte an. Der Besuch | |
wabert durch die sozialen Medien, jede Menge Selfies von Menschen in Lwiw | |
mit der Schauspielerin kursieren. | |
Für Jolie ist der Besuch in Kriegs- und Krisengebieten kein unbekanntes | |
Terrain. Als UN-Sonderbeauftragte war sie in Sierra Leone, im Tschad, | |
Sudan, Libanon, im Jemen. Sie kennt Geflüchtetenzelte, von der Flucht | |
traumatisierte Menschen und das Erstaunen derjenigen, die einen Besuch der | |
„Tomb Raider“-Darstellerin an diesen Orten nun wirklich nicht erwartet | |
hätten. Obwohl Jolie im internationalen Auftrag reist, quasi von | |
UN-Generalsekretär Antonio Guterres persönlich geschickt, wirft ihr Besuch | |
Fragen auf. Muss das denn wirklich sein, dass ein Promi in ein nach wie vor | |
nicht sicheres Krisengebiet fährt? Begleitet von einer Entourage an | |
Sicherheitspersonal, das vielleicht Besseres zu tun hat? | |
Über den Zeitpunkt lässt sich sicher streiten. Über ihre Absichten eher | |
nicht. Denn Jolies Aufgabe ist es, Aufmerksamkeit zu erzeugen – und Krisen- | |
und Konfliktgebiete, vor allem aber die Menschen und deren Leid, nicht in | |
Vergessenheit geraten zu lassen. Dies generiert im besten Fall | |
internationale Geberkonferenzen und jede Menge Spenden. Denn irgendwann | |
wird auch der Krieg in der Ukraine aus den Schlagzeilen verschwinden, die | |
Berichterstattung über Kriegsverbrechen und Gräueltaten wird weniger | |
werden. Was bleiben wird, ist ein zerstörtes Land, das mühsam, über viele | |
Jahre hinweg – und mit viel Geld – wieder aufgebaut werden muss. | |
## Reisen in Ukraine werden zum Politsport | |
Die Reisewelle ins Kriegsgebiet begann Mitte März. Damals reisten die | |
[1][Regierungschefs von Polen, Tschechien und Slowenien] inmitten der | |
Kriegswirren mit dem Zug nach Kiew. Die Weltöffentlichkeit staunte über | |
ihren Mut. Schließlich befand sich die Stadt im Dauerbombardement, Sirenen | |
heulten mehrfach am Tag. Die konzertierte und von langer Hand organisierte | |
Aktion sollte ein Zeichen der Solidarität an die ukrainische Bevölkerung | |
sein, an deren Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, die Zusage: Ihr seid nicht | |
allein im Kampf gegen den russischen Aggressor. Auch bei diesem Besuch | |
entstanden wohlmeinende Bilder, es gab jede Menge Umarmungen, | |
Händeschütteln. | |
Jetzt sind Reisen in die ukrainische Hauptstadt oder den Westen des Landes | |
fast schon Politsport geworden. EU-Parlamentspräsidentin Roberta Matsola | |
war da, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, | |
[2][UN-Generalsekretär António Guterres] natürlich. US-Außenminister | |
Blinken, US-Verteidigungsminister Austin, ganz frisch auch Nancy Pelosi, | |
Sprecherin des US-Repräsentantenhauses. | |
Alle sind nicht ganz unerhebliche Akteur:innen, wenn es um militärischen | |
Nachschub, Hilfsgüter, politische Zusagen – und natürlich Geld – geht. | |
Legendär auch der Spaziergang des britischen Premierministers Boris Johnson | |
mit Selenskyj durch Kiew. Betont locker, vermutlich ohne Schutzweste, wie | |
gemunkelt wird, begleitet von sichtlich nervösen Soldat:innen | |
schlenderten beide durch Straßen und über Plätze. Johnson ließ es sich | |
zudem nicht nehmen, einen am Straßenrand stehenden Ukrainer zu begrüßen. | |
Die Botschaft an Russland und die Welt: Schaut, wir haben keine Angst vor | |
Putin. Und wir geben die Ukraine nicht auf. Der Besuch der | |
Ausschussvorsitzenden Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Michael Roth | |
(SPD) und Anton Hofreiter (Grüne) vor Ort lief zwar weniger spektakulär ab, | |
gab der Debatte über Waffenlieferungen und deutsche Unterstützung an die | |
Ukraine jedoch mächtig Auftrieb. Und befeuerte die Kritik an Bundeskanzler | |
Olaf Scholz der bisher zumindest partout nicht die Reise nach Kiew antreten | |
will. Dagegen wollte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Leider wurde | |
sein Besuchsbegehren [3][von der ukrainischen Regierung abgelehnt.] | |
## Besucher sollten mehr im Gepäck haben als warme Worte | |
Und jetzt kommt [4][Friedrich Merz]. Als „nur“ Oppositionsführer hat der | |
CDU-Mann nicht wirklich etwas zu bieten. Weder Geld, noch Munition, noch | |
Panzer. Lediglich Solidarität – im Namen der Union. Die Bedürfnisse der | |
ukrainischen Bevölkerung will er abfragen, heißt es laut einem Sprecher. | |
Ein Treffen mit dem Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, soll es | |
geben. Gerne auch eines mit Selenskyj. Aber ob der für die Opposition des | |
deutschen Parlaments Zeit finden wird? Merz sollte gut darin beraten sein, | |
sich für seinen Besuch nicht nur aufgrund von innenpolitischem Kalkül | |
entschieden zu haben. | |
Gleiches gilt für den Linken-Außenpolitiker Gregor Gysi. Auch er hat sich | |
in dieser Woche zu einem Besuch in der Ukraine angemeldet. Begleitet wird | |
er von Gerhard Trabert, dem Kandidaten der Linken bei der | |
Bundespräsidentenwahl. Treffen mit ukrainischen Parlamentarier:innen | |
oder Regierungsvertreter:innen kommen wohl nicht zustande, dafür | |
wollen Gysi und Trabert sich Krankenhäuser anschauen und mit | |
Hilfsorganisationen sprechen. Trabert bringt medizinisches Material mit, | |
Spenden haben die beiden auch im Gepäck. Bleibt zu hoffen, dass ein Besuch | |
in Irpin oder Butscha die Augen öffnet darüber, was der Ukraine im Kampf | |
gegen Putin wirklich hilft. | |
Wer macht sich als nächstes auf? Kiew ist sicher für diverse | |
Politiker:innen, Prominente, Helfer:innen eine Reise wert. Sie wären gut | |
beraten, im Gepäck einiges an Unterstützung und Hilfe dabei zu haben. Die | |
Ukraine braucht Solidarität und Aufmerksamkeit. Für lange Zeit. Und sicher | |
mehr als warme Worte, Handschläge und Umarmungen. | |
2 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Tanja Tricarico | |
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