# taz.de -- Jurist über WhatsApp-Überwachung: „Briefgeheimnis wäre aufgeho… | |
> Die EU will Chat-Dienste wie WhatsApp strenger überwachen. Der | |
> EU-Abgeordnete und Jurist Patrick Breyer sagt: Das schafft Probleme über | |
> Europa hinaus. | |
Bild: Kommt jetzt die private Massenüberwachung für alle? | |
taz: Herr Breyer, die EU-Kommission plant eine Überwachung von Messenger- | |
und Chat-Diensten wie Signal, WhatsApp oder Facebook Messenger, um gegen | |
Abbildungen vorzugehen, die sexualisierte Gewalt an Kindern zeigen. Was | |
bedeuten die Pläne für die Nutzer:innen? | |
Patrick Breyer: Alle Chats, E-Mails und sonstigen verschickten Nachrichten | |
würden automatisch auf vermeintlich verdächtige Inhalte durchsucht und | |
gegebenenfalls ohne menschliche Prüfung der Polizei übermittelt. Nichts | |
wäre mehr vertraulich. Das hätte eine enorm abschreckende Wirkung vor allem | |
auf Personen, die auf vertrauliche Kommunikation angewiesen sind. Zum | |
Beispiel Dissident:innen, siehe Russland, siehe Ukraine. Aber auch | |
Menschen, die aus welchen Gründen auch immer Beratung etwa von | |
Selbsthilfegruppen oder Anwält:innen in Anspruch nehmen wollen oder | |
müssen. Das digitale Briefgeheimnis wäre aufgehoben. | |
Die Kommission wollte ihre Pläne eigentlich diese Woche vorstellen und hat | |
das nun in den April verschoben. Was heißt das? | |
Die Verschiebung hat vermutlich zwei Gründe: Zum einen gibt es breiten | |
Protest aus der Zivilgesellschaft, von Bürgerrechtsorganisationen, | |
Journalisten- und Anwaltsverbänden. Zum anderen gab es eine vernichtende | |
Stellungnahme des Ausschusses für Regulierungskontrolle. Diesen Ausschuss | |
müssen Gesetzentwürfe durchlaufen, bevor sie in die Abstimmung gegeben | |
werden. Und dessen zentraler Kritikpunkt ist: Eine flächendeckende | |
Überwachung [1][privater Nachrichten] verstößt gegen Grundrechte. Das hat | |
übrigens der Europäische Gerichtshof vor zwei Jahren schon entschieden und | |
dazu gesagt, dass so eine flächendeckende Überwachung nur im Notstandsfall | |
ausnahmsweise verhältnismäßig sein könnte, etwa zur Verhinderung eines | |
Terroranschlags. | |
Wobei es immer noch Möglichkeiten zur verschlüsselten Kommunikation gäbe, | |
nur halt weniger komfortable. | |
Das stimmt, E-Mails wären natürlich immer noch verschlüsselt verschickbar. | |
Und es gibt auch dezentrale Chatdienste, die etwa auf dem XMPP-Protokoll | |
aufsetzen oder auf Matrix. Das sind also auch Wege, die Kriminelle dann | |
nutzen können, um der Überwachung zu entgehen, ebenso wie ihre selbst | |
betriebenen Darknetforen. Aber die meisten normalen Bürger:innen werden | |
das nicht tun. Die haben ihre Freunde [2][eben bei WhatsApp] oder auch noch | |
Signal oder Threema. Das heißt, die Masse der Menschen wird der | |
fehleranfälligen Massenüberwachung voll ausgesetzt sein. | |
Wieso fehleranfällig? | |
Es gibt dazu Zahlen der Schweizer Bundespolizei. Die sagt: 86 Prozent der | |
automatisiert eingehenden Meldungen sind nicht strafrechtlich relevant. | |
Einige Dienste scannen nämlich bereits Inhalte und beispielsweise Google | |
hat eigenen Angaben zufolge mehrere Millionen Inhalte zu Kindesmissbrauch | |
erkannt und gemeldet. Bleibt also nicht doch noch ein nennenswerter, | |
relevanter Rest? | |
Die Zahlen von Google beziehen sich darauf, was ihre fehleranfälligen | |
Algorithmen meist zu Unrecht meinen als strafbare Abbildungen erkannt zu | |
haben. Das Problem ist: Die Strafverfolgungsbehörden müssen das ja trotzdem | |
bearbeiten. Und die Flut an maschinellen Anzeigen hält die | |
Strafverfolger:innen davon ab, sich gezielt, um die Aufklärung | |
tatsächlichen Kindesmissbrauchs zu kümmern. Die Kapazitäten fehlen, | |
Ermittlungen dauern daher Monate oder gar Jahre, währenddessen geht der | |
Missbrauch weiter. Wenn anlasslos alle Briefe geöffnet würden oder | |
sämtliche Wohnungen überwacht, würde man auch zufällig einzelne Straftaten | |
finden. Aber trotzdem tun wir das nicht, und zwar aus guten Gründen. Zumal | |
wir wissen, dass ausgehend von Missbrauchsabbildungen fast nie Fälle von | |
Missbrauch selbst entdeckt und verhindert werden. | |
Welches Vorgehen wäre denn vielversprechender? | |
Wenn wir Kinder schützen wollen, dann müssen wir verhindern, dass das | |
Material, das Misshandlungen zeigt, entsteht, wir müssen Misshandlungen | |
selbst verhindern. Zum Beispiel braucht es mehr verdeckte Ermittlungen in | |
Kinderpornoringen, mehr Personal für Ermittlungen und Präventionskonzepte | |
in Kontexten, in denen sich Kinder und Jugendliche bewegen. Ehrlich gesagt: | |
Es gibt keine Möglichkeit, technisch zu verhindern, dass bereits vorhandene | |
Abbildungen weiter zirkulieren. | |
Warum nicht? | |
Kinderpornoforen halten sich nicht an Gesetze. In Kinderpornoringen werden | |
meist nicht direkt Fotos oder Videos rumgeschickt, sondern Links, die auf | |
verschlüsselte Dateien führen. | |
In den Chats könnten die Links erkannt und gemeldet werden. | |
Kinderpornoringe nutzen keine Chat-Apps. Und bekannte Links kann man von | |
kommerziellen Hostern sofort löschen lassen, da braucht es keine | |
Totalüberwachung privater Kommunikation. Das Problem ist: Das | |
Bundeskriminalamt sieht sich überhaupt nicht in der Pflicht, das von | |
Kinderpornoringen geteilte Material zu melden und löschen zu lassen. | |
Wenn die EU bei ihren Plänen bleibt, gibt es zwei Möglichkeiten der | |
technischen Umsetzung: Entweder die Anbieter schwächen die Verschlüsselung | |
und können so mitlesen. Oder sie liefern ein Tool mit, das Inhalte bereits | |
auf dem Telefon scannt, wenn sie in den Chat geladen werden. Letzteres | |
hatte Apple vor, hat aber nach Protesten zurückgerudert. Welche der beiden | |
Möglichkeiten ist das geringere Übel? | |
Beide Methoden führen zu einer kompletten Überwachung der Inhalte. Eine | |
Kontrolle auf dem eigenen Gerät führt zumindest dazu, dass freigegebene | |
Nachrichten auf dem Übertragungsweg noch verschlüsselt sind. Aber nicht | |
umsonst sprechen sich die Five Eyes … | |
… die Geheimdienste der USA, Großbritannien, Australien, Kanada und | |
Neuseeland … | |
… für die Chat-Kontrolle aus. Denn wenn man die Messenger-Anbieter einmal | |
dazu kriegt, ein Spionagetool in ihre Apps einzubauen, dann ist das auch in | |
anderen Fällen nutzbar. Als Nächstes könnte man dann zum Beispiel von ihnen | |
verlangen, die Kommunikation von Zielpersonen im Klartext vor | |
Verschlüsselung auszuleiten. Vielleicht für den Anfang erst mal nur auf | |
richterliche Anordnung, aber der Weg wäre frei. Bislang haben die Anbieter | |
das immer mit dem richtigen Argument abgelehnt, dass mit Hintertür das | |
Vertrauen in verschlüsselte Kommunikation dahin wäre. Übrigens wäre dann | |
auch der Weg frei für andere Staaten. Russland oder China würden natürlich | |
nach ganz anderen Inhalten suchen lassen. Wenn die EU vorangeht, werden | |
andere Staaten nachziehen. Und die Hersteller können dann nicht mehr | |
ablehnen. | |
Wie geht es nun weiter? | |
Ich weiß nicht, wie viel Gegenwind aus dem EU-Parlament kommen wird. Es gab | |
im vergangenen Jahr eine massive Kampagne, in der jeder, der sich gegen | |
Massenüberwachung gestellt hat, sofort in die Ecke von Kindesmissbrauch | |
gedrängt wurde. Daher hoffe ich aktuell darauf, dass einzelne | |
EU-Kommissar:innen, etwa der Digital- oder der Justizkommissar, erkennen, | |
wie gefährlich dieses Vorhaben für die Vertraulichkeit und die Sicherheit | |
der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und auch staatlichen Kommunikation | |
ist. Ansonsten bliebe noch der Rechtsweg – und das Warten darauf, nach | |
vielen Jahren vor dem EuGH recht zu bekommen. Aber auch einige Jahre | |
Massenüberwachung würden schon einen nicht wiedergutzumachenden Schaden | |
anrichten. Einerseits gegenüber denjenigen, die auf vertrauliche | |
Kommunikation angewiesen sind. Und andererseits hinsichtlich all der | |
anderen Länder in der Welt, die nachziehen würden, wenn die EU derartige | |
Pläne beschließt. Diesen Schaden würden wir dann auch durch europäische | |
Gerichtsurteile nicht wieder einfangen können. | |
27 Mar 2022 | |
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Svenja Bergt | |
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