| # taz.de -- Russisches staatsnahes Fernsehen: Fragwürdige Zensur | |
| > Mit dem Verbot der russischen Sender RT und Sputnik hat die EU vielleicht | |
| > Kompetenzen überschritten. Die Klage von RT France könnte Erfolg haben. | |
| Bild: Darf er in der EU oder darf er nicht? Putin und sein medialer Arm RT | |
| Anfang März hat die EU die Verbreitung der russischen Sender RT und Sputnik | |
| verboten. Dabei hat sie vermutlich ihre Kompetenzen überschritten. Am 1. | |
| März beschloss der EU-Ministerrat in der Verordnung 2022/350 [1][ein Sende- | |
| und Verbreitungsverbot] für das Nachrichtenportal Sputnik sowie die | |
| Programme von RT (bis 2009 Russia Today) in Englisch, Französisch, Deutsch | |
| und Spanisch. Entsprechende Rundfunklizenzen seien ausgesetzt. Das Verbot | |
| soll gelten, bis die russische Aggression gegen die Ukraine beendet wird | |
| und Russland seine „Propagandaaktionen“ gegen die EU-Staaten einstellt. | |
| In der Begründung der EU-Verordnung heißt es: „Diese Medien spielen eine | |
| maßgebliche Rolle, um die Aggressionen gegen die Ukraine mit Nachdruck | |
| voranzutreiben und zu unterstützen und die Nachbarländer der Ukraine zu | |
| destabilisieren.“ Deshalb sei es erforderlich, „restriktive Maßnahmen zur | |
| umgehenden Einstellung der Sendetätigkeiten solcher Medien“ zu verhängen. | |
| Die Sender haben daraufhin ihr [2][audiovisuelles Liveprogramm | |
| eingestellt]. RT France hat gegen die EU-Verordnung bereits beim | |
| Europäischen Gericht (EuG) in Luxemburg geklagt und einen Eilantrag | |
| gestellt. Wann darüber entschieden wird, ist unklar. | |
| Die Klage ist aber nicht aussichtslos. Denn die von der EU gewählte | |
| Rechtsgrundlage für Sanktionen (Artikel 215 AEUV) passt hier eigentlich | |
| nicht. „Hier geht es ja nicht darum, Druck auf den russischen Staat oder | |
| nahestehende Unternehmen und Personen auszuüben“, sagt Christian Tietje, | |
| Professor für internationales Wirtschaftsrecht, „vielmehr geht es in dieser | |
| Verordnung um den Schutz der EU-Staaten gegen destabilisierende | |
| Propaganda.“ Für die Regulierung von Medieninhalten seien jedoch die | |
| Mitgliedstaaten der EU zuständig, so Tietje, ein ausgewiesener Experte für | |
| das Recht der Wirtschaftssanktionen. | |
| ## Ungeklärte Zuständigkeiten | |
| Für Deutschland ist dieser Streit nur teilweise relevant, weil RT DE seit | |
| Anfang Februar ohnehin nicht mehr senden darf. Die Medienanstalt | |
| Berlin-Brandenburg (MABB) hat die Ausstrahlung von Livefernsehen untersagt, | |
| weil RT DE keine Zulassung hierfür hat und als staatsfinanzierter Sender | |
| auch keine Lizenz bekommen kann. Das Verwaltungsgericht Berlin hat das | |
| MABB-Sendeverbot bestätigt. Von dem MABB-Verbot war die Website von RT DE | |
| bisher aber nicht betrofffen. Denn für das Verbreiten schriftlicher Inhalte | |
| ist keine Zulassung erforderlich. Dennoch ist die Website www.de.rt.com | |
| seit Anfang März nicht mehr aufrufbar. Dies ist eindeutig eine Folge der | |
| EU-Sanktionen. Internetprovider wie die Deutsche Telekom haben die Website | |
| gesperrt und berufen sich auf „Vorgaben“ der Bundesnetzagentur. | |
| Tatsächlich hat die Bundesnetzagentur in zwei Schreiben vom 4. und 15. März | |
| den Providern mitgeteilt, dass die Sperrung von acht Websites, darunter | |
| www.de.rt.com, nicht gegen die Netzneutralität verstoße, weil die | |
| EU-Verordnung 2022/350 eine Sperrung „rechtfertigt“. Die Bundesnetzagentur | |
| habe jedoch keine Sperrung der Websites „angeordnet“, betont Sprecher Fiete | |
| Wulff, da die EU-Verordnung direkt anwendbar sei. Allerdings ist in der | |
| EU-Verordnung von Websites gar nicht die Rede, sondern von „Sendungen“ und | |
| „Rundfunklizenzen“. | |
| Dass auch Websites gesperrt werden sollen, „die zu den Sendern gehören“, | |
| beruht auf einer Interpretation des gemeinsamen Gremiums europäischer | |
| Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (BEREC). Bisher ist | |
| RT DE nicht gerichtlich gegen die Sperrung ihrer Websites vorgegangen und | |
| reagierte auch nicht auf Anfragen der taz. Allerdings produziert RT DE | |
| weiter Inhalte, die unter neuen URLs verbreitet werden. Die Telekom sperrt | |
| die neuen Websites nicht, weil sie nicht in den Schreiben der | |
| Bundesnetzagentur erwähnt sind. | |
| Die Bundesnetzagentur betont, dass sie nicht für die Kontrolle von | |
| Sanktionen zuständig sei. Das Wirtschaftsministerium erklärte, dass es an | |
| einer Änderung der Außenwirtschaftsverordnung arbeite, damit künftig beim | |
| Verstoß gegen Sendeverbote Bußgelder verhängt werden können. Welche Behörde | |
| dann die Bußgelder verhängt? Dazu schwieg das Ministerium. Die völlig | |
| ungeklärten Zuständigkeiten könnten ein Indiz dafür sein, dass hier vieles | |
| nicht rechtskonform abläuft. | |
| 24 Mar 2022 | |
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| Christian Rath | |
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