# taz.de -- trans* Personen in der Bundeswehr: Wer darf Soldat:in werden? | |
> Werden trans* Menschen bei der Bewerbung für die Bundeswehr | |
> benachteiligt? Das legen interne Dokumente zur Musterung nahe. | |
Bild: Anastasia Biefang ist bei der Bundeswehr und machte 2017 öffentlich, das… | |
Generationen von jungen Menschen haben die Prozedur hinter sich. Wer Soldat | |
oder Soldatin werden wollte, musste die Musterung überstehen: Kniebeugen, | |
Untersuchung der Augen, und jetzt einmal Ausziehen, bitte. Die Bundeswehr | |
will gesunde Rekrut:innen. Daran hat auch das Ende der Wehrpflicht nichts | |
geändert. Nur heißt die Musterung jetzt Assessment. | |
Aber wie entscheidet eine Ärztin oder ein Arzt, wer gesund genug für den | |
Dienst ist? Damit sie sich nicht auf Bauchgefühl und Erfahrung verlassen | |
müssen, gibt es dafür eine Grundlage. Das Dokument trägt den Namen | |
„Zentralvorschrift Wehrmedizinische Begutachtung“ und ist eigentlich nicht | |
öffentlich zugänglich. Die taz hat die aktuelle Version von Juli 2021 | |
[1][von „Frag den Staat“ erhalten]. Die Organisation hatte es mithilfe des | |
Informationsfreiheitsgesetz angefragt und veröffentlicht. | |
In dem Dokument wird ausgeführt, worauf bei der ärztlichen Untersuchung zu | |
achten ist. Es geht um viele mögliche Krankheitsbilder, die überprüft | |
werden: von Kopfschmerz bis Spreizfuß. Auf Seite 36 findet sich ein | |
schnörkelloser Satz, der für einige Menschen das Ende ihrer Bewerbung | |
bedeuten kann: „Psychosexuelle Probleme (Störungen der | |
Geschlechtsidentität o. Ä.) können die Gemeinschaftsfähigkeit und damit die | |
gesundheitliche Eignung infrage stellen.“ | |
An anderer Stelle heißt es: „Störungen der Geschlechtsdifferenzierung (zum | |
Beispiel Zwitter) oder -identität sind nach GZr VI 83 zu beurteilen.“ GZr | |
VI, das ist ein anderer Ausdruck für die niedrigste Tauglichkeitsstufe – | |
dauerhaft nicht dienstfähig. Die oder der Bewerbende bekommt dann eine | |
Absage. | |
Solche Einordnungen seien „rettungslos veraltet“, sagt Mari Günther vom | |
Bundesverband Trans*. „Das stammt aus einer Zeit, in der man flächendeckend | |
davon ausging, dass Homosexualität und Transsexualität schwere psychische | |
Erkrankungen sind.“ Was Günther als „üble Abwertung und Pathologisierung�… | |
bezeichnet, kann auch der Arzt und Psychotherapeut Hagen Löwenberg nicht | |
nachvollziehen. Er berät in seiner Praxis trans* Menschen. „Man kann, wenn | |
es um trans* geht, nicht von psychosexuellen Problemen sprechen, auch eine | |
Störung der Geschlechtsidentität ist obsolet.“ Er beschreibt die Sätze aus | |
dem Dokument der Bundeswehr als „Melodie der 90er Jahre“. | |
## Nicht das erste Mal | |
Tatsächlich stammt der Begriff „Störung der Geschlechtsidentität“ aus | |
einem amerikanischen Diagnosehandbuch aus den 80ern und wurde auch dort | |
erst 2013 angepasst. Die Wehrmedizinische Begutachtung ist mit „Stand Juli | |
2021“ versehen. | |
Es ist nicht das erste Mal, dass die Bundeswehr gesellschaftspolitisch in | |
der Vergangenheit steckengeblieben ist. Erst im vergangenen Sommer | |
entschied der Bundestag, dass schwule Soldaten entschädigt werden, die in | |
[2][der Vergangenheit diskriminiert wurden]. Bis ins Jahr 2000 wurden sie | |
in der Bundeswehr etwa unehrenhaft entlassen, degradiert oder mussten mit | |
Gehaltskürzungen rechnen, wenn ihre Homosexualität bekannt wurde. Bis 1979 | |
war [3][Homosexualität sogar ein Ausmusterungsgrund]. | |
Die Bundeswehr muss sich auch aus Eigennutz verändern, denn sie leidet | |
unter erheblichem Personalmangel. Über 20.000 Stellen waren Ende 2020 | |
unbesetzt. Seit der Abschaffung der Wehrpflicht muss sich die Armee | |
bemühen, sich als attraktiven, modernen Arbeitgeber darzustellen. Gilt das | |
auch für trans* Menschen? | |
Anastasia Biefang ist Oberstleutnantin und stellvertretende Vorsitzende des | |
Vereins QueerBw. Biefang sagt, die Stellen in der Wehrmedizinischen | |
Begutachtung seien nicht nachvollziehbar. „Mir fällt nichts ein, was die | |
Gemeinschaftsfähigkeit beeinträchtigen würde.“ Trans* zu sein, habe keine | |
Auswirkungen auf die Eignung zum Soldat:innenberuf. Sie muss es | |
wissen: Biefang machte als erste Bataillonskommandeurin ihre | |
Transgeschlechtlichkeit öffentlich. Das war 2017. | |
## Unsicherheit im Netz | |
Seit 1994 ist Biefang bei der Bundeswehr, damals waren Frauen noch nicht | |
mal für den Soldat:innenberuf zugelassen. Das ist heute anders. Auch | |
eine Transgeschlechtlichkeit spiele heute laut Biefang keine Rolle mehr. In | |
einem Leitfaden des Verteidigungsministeriums ist eine Diskriminierung von | |
trans* Menschen grundsätzlich verboten. | |
Dass Sätze wie die bereits erwähnten aber immer noch in offiziellen | |
Dokumenten stehen, sorge für Unsicherheit, sagt Biefang. Das zeigt sich | |
auch im Netz. [4][In Foren fragen] junge trans* Menschen, ob sie sich | |
überhaupt bewerben könnten. Die taz hat einige von ihnen kontaktiert. Doch | |
niemand wollte sich dazu äußern. | |
Wie viele trans* Personen während der Einstellung ausgeschlossen wurden, | |
ist nicht bekannt, die Daten werden laut Bundeswehr nicht erhoben. In den | |
letzten Jahren seien 0,05 Prozent der Bewerbenden aufgrund der | |
Gesundheitsziffer GZr VI 83 bei der Bewerbung ausgeschlossen worden. Doch | |
unter der Kennziffer 83 werden nicht nur vermeintliche „Störungen der | |
Geschlechtsdifferenzierung“, sondern auch andere medizinische Befunde | |
zusammengefasst, die nicht anderweitig zugeordnet sind. | |
Auch dem Verein QueerBw sind keine Fälle bekannt, in denen | |
Bewerber:innen aus diesem Grund abgelehnt wurden. Anastasia Biefang | |
sagt, eine bereits angefangene Transition müsse bei der Musterung | |
abgeschlossen sein, wobei jede Person selbst entscheide, wann dies der Fall | |
sei. Schließlich nehme die Bundeswehr auch niemanden an, bei dem eine | |
andere große Operation ansteht. | |
## Kein Tabu, offen zu der Transition zu stehen | |
Eine Pflicht zum Coming-out gebe es ebenso nicht. Gleichzeitig sei es aber | |
auch kein Tabu, offen zu der Transition zu stehen, sagt Biefang, das sei | |
„ein Teil der eigenen Persönlichkeit“. Jede:r solle damit so umgehen, wie | |
es beliebt. | |
Biefang betont, dass vor ihr viele andere den Weg für die eigene Transition | |
geebnet haben. „Ich hatte ein sehr unterstützendes Umfeld, von Anfang an“, | |
sagt sie, sowohl vonseiten ihrer Vorgesetzten als auch von Kamerad:innen. | |
Auswirkungen auf ihre Karriere habe ihr Coming-out keine gehabt. | |
Auch das medizinische Personal nahm sie während ihrer Transition als | |
„fürsorglich und sehr unterstützend“ wahr. Dennoch: „In vielen Fällen … | |
es das erste Mal, dass diese Truppenärztin oder dieser Truppenarzt mit | |
diesem Thema in Berührung kommt.“ Biefang fühlte sich während ihrer | |
Geschlechtsangleichung wie eine „Expertin für alle anderen in dem | |
Verfahren“. | |
Am Verfahren selbst übt Biefang durchaus Kritik. Da die Bundeswehr keine | |
geschlechtsangleichenden Operationen durchführt, müssen zwei | |
Kostenvoranschläge von zivilen Einrichtungen eingereicht werden, die dann | |
eben bewilligt werden oder nicht, erklärt Biefang. Das kann auch bedeuten, | |
dass man nicht dort operiert wird, wo man selbst das möchte. „Per se können | |
sie nicht sagen: Ich möchte zu der Ärztin oder zu dem Arzt“, erklärt sie. | |
## Mehr Klarheit in den Verfahren | |
Für die Betroffenen sei das eine Belastung in einer Zeit, in der man „vor | |
wirklich sehr persönlichen und tief einschneidenden Eingriffen steht“. | |
Tatsächlich werden auch an QueerBw Fälle herangetragen, bei denen trans* | |
Menschen vor ihrer Transition das Gefühl hatten, in Richtung von bestimmten | |
Ärzt:innen gelenkt zu werden, erklärt Biefang. Dabei sind | |
geschlechtsangleichende Operationen eine sehr sensible Angelegenheit, bei | |
der man sich in gute Hände begeben will. | |
Diese vielen Unsicherheiten machen eine Transition für Betroffene noch | |
schwieriger, als sie sowieso schon ist, sagt Biefang. Sie fordert mehr | |
Klarheit in den Verfahren, vor allem auch, weil es ein Eingriff ist, „der | |
tiefe Auswirkungen auf das persönliche Empfinden der eigenen Identität | |
hat“. Auch das medizinische Personal müsste besser aufgeklärt werden und | |
verstehen, dass psychisches Leid, Ängste, aber auch Erwartungen und | |
Ungeduld vor einem Coming-out stehen. | |
Für die Zukunft wünscht sich Anastasia Biefang, dass der sich langsam | |
vollziehende Kulturwandel in den Streitkräften weiter vorangeht, dass | |
„Offenheit und Vielfalt ein gelebtes Moment wird“. Ein erster Schritt sei | |
es, auch in Bezug auf trans* klarer zu kommunizieren. Anastasia Biefang | |
möchte, dass Diversität ein verpflichtender Teil der Ausbildung wird, | |
überall. „Wir dienen stolz und entsprechend unseren Werten – aber wir sind | |
halt queer, sind halt schwul, sind halt lesbisch, sind halt trans*“, | |
erklärt sie. Sichtbarkeit sei dabei der erste Schritt in die richtige | |
Richtung. „Weil man dann weiß: Ich bin nicht allein. Ich bin nicht die | |
Erste. Und“, Biefang macht eine kleine Pause, „wir sind viele.“ | |
Anfang 2022 trat die neue internationale Klassifikation der | |
Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Kraft. Die Diagnose „Störung der | |
Geschlechtsidentität“, zu der zuvor trans* Identität gehörte, wurde | |
abgeschafft. Sie gilt ab dem ICD-11 nicht mehr als psychische Störung. | |
Laut einer Sprecherin des Bundesverteidigungsministeriums würden die | |
Richtlinien „kontinuierlich an den Stand der Wissenschaft und die sich | |
ändernde Gesetzesgrundlage angepasst“. Eine trans* Identität könne „in | |
Einzelfällen, bedingt durch das innere Spannungsbild, mit einer gestörten | |
sozialen Funktionsfähigkeit einhergehen“, heißt es aus dem Ministerium. Am | |
Ende müsse aber jeder Fall einzeln betrachtet werden. Eine differenziertere | |
Überarbeitung der Wehrmedizinischen Begutachtung sei geplant, mit | |
Inkrafttreten der neuen Version rechne man jedoch nicht mehr in diesem | |
Jahr. | |
11 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://fragdenstaat.de/dokumente/118172-wehrmedizinische-begutachtung/ | |
[2] /Homosexuelle-in-der-Bundeswehr/!5711250 | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%BCnter_Kie%C3%9Fling | |
[4] https://www.bundeswehrforum.de/forum/index.php/topic,42545.0.html | |
## AUTOREN | |
Julia Weinzierler | |
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