# taz.de -- Unterschriften gegen Aufrüstungspläne: Nieder mit der Hochrüstung | |
> Zehntausende haben einen Appell gegen die Hochrüstungspläne | |
> unterschrieben. Der Krieg sollte nicht innenpolitisch instrumentalisiert | |
> werden. | |
Bild: Demo für Frieden in der Ukraine am 13. März 2022 in Frankfurt am Main | |
Die Resonanz ist bemerkenswert: Mehrere Zehntausend haben bislang [1][den | |
Appell gegen die Hochrüstungspläne der Bundesregierung] unterschrieben, den | |
ein Kreis von rund 600 Menschen aus Wissenschaft, Politik, Kunst, Kultur | |
und Gewerkschaften am vergangenen Dienstag veröffentlicht hat. Offenkundig | |
gibt es etliche in diesem Land, deren Ohnmachtsgefühle angesichts von | |
Putins Kriegsgräuel nicht zu kapitalen Fehlschlüssen führen. | |
Der Überfall Russlands verlangt zwingend Solidarität mit den Menschen in | |
der Ukraine, die sich verzweifelt dem Aggressor widersetzen. Aber er | |
rechtfertigt nicht das von Kanzler Olaf Scholz dekretierte | |
100-Milliarden-Euro-„Sondervermögen“ und seine Ankündigung, dauerhaft | |
mindestens 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für das deutsche | |
Militär auszugeben. | |
Statt im Hauruckverfahren die höchste Steigerung der deutschen | |
Militärausgaben seit dem Zweiten Weltkrieg durchzupeitschen, fordern die | |
Verfasser:innen des Appells eine „breite demokratische Diskussion über | |
ein umfassendes Sicherheitskonzept, das die Sicherheit vor militärischen | |
Angriffen genauso einschließt wie pandemische und ökologische Aspekte“. Das | |
ist ein berechtigtes Anliegen. Und dazu gehört eine nüchterne | |
Bestandsaufnahme. | |
Dass die Bundeswehr „kaputtgespart“ worden sei, ist ein weitverbreiteter | |
Mythos. Was stimmt: Der Zusammenbruch der Sowjetunion und die Auflösung des | |
Warschauer Paktes 1991 bedeutete das Ende der alten Blockkonfrontation, was | |
eine grundlegende Umorientierung der Verteidigungspolitik in den | |
europäischen Nato-Staaten zur Folge hatte. Das galt insbesondere für | |
Deutschland, durch das einst die hochgerüstete Systemgrenze verlief. | |
Vor der Wiedervereinigung standen mehr als 495.000 Soldaten der Bundeswehr | |
rund 180.000 Soldaten der Nationalen Volksarmee gegenüber. Daraus entstand | |
eine gemeinsame Armee, die über mehrere Etappen auf aktuell knapp 184.000 | |
Menschen systematisch verkleinert wurde. Das umfangreiche | |
DDR-Kriegsgerätearsenal wurde verkauft oder verschenkt, etliches auch | |
verschrottet oder eingelagert, wie jene Strela-Luftabwehrraketen, die jetzt | |
an die Ukraine geliefert werden. | |
Seit Anfang der 90er Jahre steuerten die jeweiligen Bundesregierungen die | |
Bundeswehr weg von der Landes- und Bündnisverteidigung hin zu | |
Out-of-area-Einsätzen außerhalb des Nato-Gebiets. Die Umstellung von der | |
Wehrpflichtigen- zu einer reinen [2][Berufssoldat:innenarmee] 2011 | |
war eine späte Konsequenz daraus. Mit dieser Umorientierung verbunden war, | |
dass mehr als ein Jahrzehnt die deutschen Militärausgaben sanken. | |
„Friedensdividende“ nannte sich das – ein euphemistischer Begriff | |
angesichts der deutschen Kriegsbeteiligungen 1999 in Ex-Jugoslawien und von | |
2001 an in Afghanistan. | |
## Milliarden an Euro versickern Jahr für Jahr | |
Dass sich die Bundeswehr in keinem guten Zustand befindet, lässt sich | |
jedoch mit der Reduzierung des Verteidigungsetats nicht befriedigend | |
erklären. Denn zum einen bekam die Truppe auch in den „mageren“ Jahren | |
immer noch viele Milliarden Euro, die für eine zufriedenstellende | |
Grundausstattung beispielsweise an warmen Unterhosen mehr als ausgereicht | |
hätten. Zum anderen aber gibt es schon längst eine ökonomische Trendwende, | |
ausgelöst durch die russische Annexion der Krim und die von Putin | |
initiierte Sezession der „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk von der | |
Ukraine. | |
Seit dem Nato-Gipfel 2014 in Wales steigen die Militärausgaben der | |
Bündnisstaaten wieder deutlich. In Deutschland wuchs der Verteidigungsetat | |
kontinuierlich von 32,44 Milliarden Euro im Jahr 2014 auf 46,9 Milliarden | |
Euro im vergangenen Jahr an – wobei die tatsächlichen Militärausgaben noch | |
höher waren, da sie sich auch noch in anderen Haushaltsposten verstecken. | |
Wenn Verteidigungsministerin Christine Lambrecht am Mittwoch im Bundestag | |
behauptet, „viel zu lange“ sei „gespart und gekürzt worden“, ist das | |
schlicht unwahr. | |
Schon vor der jetzt angekündigten massiven Steigerung des Wehretats gab | |
Deutschland mehr Geld für das Militär aus als die Atommacht Frankreich. Es | |
ist absurd zu glauben, mit einer solchen Summe sei es nicht möglich, die | |
Bundeswehr angemessen auszustatten. Das große Problem: Es ist der | |
Normalfall, dass Rüstungsprojekte den ursprünglichen Plänen weit | |
hinterherhinken, sich um das Zigfache verteuern und das schließlich | |
gelieferte Material nur begrenzt einsatzfähig ist. | |
Was auch daran liegt, dass die beteiligten Waffenschmieden kaum oder gar | |
nicht in Haftung genommen werden. Milliarden an Euro versickern so Jahr für | |
Jahr. Warnungen des Bundesrechnungshofs werden regelmäßig in den Wind | |
geschlagen. Ein Beschaffungsdesaster jagt das nächste. Was übrigens seit | |
den Skandalen des Verteidigungsministers Franz Josef Strauß um den | |
Schützenpanzer HS-30 und den Starfighter F-104 eine lange Tradition hat. | |
An diesem Missstand werden die zusätzlichen 100 Milliarden Euro ebenso | |
wenig ändern wie die Ankündigung von Scholz, Deutschland werde „von nun an�… | |
jährlich mehr als 2 Prozent des BIPs in die Verteidigung investieren. | |
Beides orientiert sich nicht an einem realen Bedarf und beendet auch nicht | |
das Missmanagement, sondern weckt nur zusätzliche Begehrlichkeiten, | |
möglichst viel vom stark vergrößerten Kuchen abzubekommen. | |
Rheinmetall hat bereits ein 42 Milliarden Euro schweres Produktpaket | |
angeboten, von Panzern bis zu Flugabwehrtürmen, was den Aktienkurs der | |
Düsseldorfer Rüstungsschmiede beflügelt hat. | |
## Kürzungen im sozialen Bereich sind möglich | |
Allerdings ist eine isolierte Diskussion über die Bundeswehr ohnehin wenig | |
sinnvoll, denn Deutschland ist eben Teil der Nato. Und es besteht kein | |
Zweifel daran, dass die Nato konventionell Russland, das jetzt schon große | |
Probleme in der Ukraine hat, klar überlegen ist. Das würde selbst noch | |
gelten, wenn man nur die militärischen Fähigkeiten der europäischen | |
Nato-Mitglieder in Betracht zieht. Es besteht keine ernsthafte Gefahr, dass | |
Putins Truppen über Polen nach Deutschland marschieren könnten. | |
Dieses Szenario ist noch aus einem anderen Grund kein realistisches: Damit | |
würde Putin einen [3][Atomkrieg] riskieren. Dass auch die Ampelkoalition | |
auf die Logik der atomaren Abschreckung setzt, hat sie gerade erst mit | |
ihrer ersten großen Rüstungsentscheidung demonstriert: der Anschaffung von | |
35 F-35-Tarnkappenjets, die künftig anstelle der alten Tornados „die | |
Aufgabe der nuklearen Teilhabe“ erfüllen sollen, wie es Lambrecht | |
formuliert hat. | |
[4][Der Krieg in der Ukraine] ist furchtbar. Gerade deswegen aber darf er | |
in Deutschland nicht innenpolitisch instrumentalisiert werden. „Die auf | |
Jahrzehnte geplante Hochrüstung beendet das Sterben in der Ukraine nicht, | |
macht unsere Welt nicht friedlicher und nicht sicherer“, heißt es in dem | |
Appell. | |
Und zu Recht verweisen die Verfasser:innen auf die Folgen: Eine massive | |
Steigerung der deutschen Militärausgaben in Kombination mit der Ankündigung | |
der Bundesregierung, an der Schuldenbremse festzuhalten, berge „die Gefahr | |
massiver Kürzungen im sozialen, im kulturellen, im öffentlichen Bereich“. | |
Dieser Erfolg sollte Putin nicht gegönnt werden. | |
27 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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