# taz.de -- Homosexuelle in der Bundeswehr: Unehrenhaft entlassen | |
> Bis ins Jahr 2000 war Homosexuellen eine Bundeswehrkarriere verbaut. | |
> Jetzt entschuldigt sich die Ministerin. | |
Bild: Feierliches Gelöbnis von Marine-Soldaten in Berlin | |
BERLIN taz | Die Bundeswehr zerstörte Dierk Kochs Träume im Herbst 1964. | |
Der Hamburger, damals Anfang 20, wollte Seemann werden. Bei der Marine | |
hatte er sich als Zeitsoldat verpflichtet, nach einem bestandenen Lehrgang | |
sollte er in Kürze auf die Fregatte Emden versetzt werden. „Es gab das | |
Gerücht, die Emden würde die Gorch Fock demnächst zu den Olympischen | |
Spielen nach Tokio begleiten. Ich war auf Wolke 7“, erinnert er sich. | |
Doch aus der Reise wurde nichts, und aus den Karrierepläne genauso wenig: | |
Kurz vor der Versetzung teilte der Standortkommandant dem eben noch | |
angehenden Seemann mit, dass es für ihn doch nicht auf die Fregatte geht, | |
sondern in die Schreibstube. Ein paar Wochen später wurde ihm schließlich | |
mitgeteilt, dass er zum Matrosen degradiert und unehrenhaft aus der Marine | |
entlassen wird. Binnen 48 Stunden hatte er die Kaserne zu verlassen. Der | |
Grund für all das: eine kurze Affäre mit einem anderen Soldaten. | |
„Können Sie sich vorstellen, wie mir da zumute war?“, fragt Koch fast | |
sechzig Jahre später. „Ich habe es einfach nicht geglaubt.“ | |
Von den Wochen im Herbst 1964 erzählte Koch am Donnerstagabend bei einer | |
Podiumsdiskussion im Berliner Verteidigungsministerium. Er ist kein | |
Einzelfall: Jahrzehntelang wurden homosexuelle, vor allem schwule | |
Soldat*innen in der Bundeswehr institutionell diskriminiert. Um ihre | |
Schicksale geht es bei der Veranstaltung in Anwesenheit von Ministerin | |
Annegret Kramp-Karrenbauer und hochrangigen Generäle. Der Anlass: die | |
Veröffentlichung [1][der Studie „Tabu und Toleranz“], in der der | |
Oberstleutnant und Militärhistoriker Klaus Storkmann den Umgang mit | |
Homosexuellen von 1955 bis ins Jahr 2000 untersucht hat. | |
Die Praxis, die diese Studie beschreibt, sei beschämend, sagt | |
Kramp-Karrenbauer gleich zu Beginn der Veranstaltung. „Die Haltung der | |
Bundeswehr zur Homosexualität war falsch, auch wenn sie im Einklang mit dem | |
damaligen Zeitgeist stand.“ Zur Wiedergutmachung kündigt sie einen | |
Gesetzesentwurf an: Truppengerichtsurteile wegen einvernehmlicher | |
homosexueller Handlungen will sie aufheben lassen. Betroffene der | |
institutionellen Diskriminierung sollen rehabilitiert werden. Wer wegen | |
seiner Homosexualität benachteiligt wurde, soll eine pauschale | |
Entschädigungszahlung erhalten. | |
## Keine Karriere bis 2000 | |
Die Diskriminierungspraxis gliederte sich in verschiedene Phasen, die die | |
Bundeswehr-Studie auf Basis von Archivrecherchen und | |
Zeitzeug*innen-Interviews detailliert beschreibt. Bis 1969 galt im | |
westdeutschen Strafrecht nach Paragraph 175 noch ein Totalverbot sexueller | |
Handlungen zwischen Männern. Analog dazu wurden der Studie zufolge „bis in | |
die späten 1960er Jahre die homosexuell ‚auffällig Gewordenen‘ in der Reg… | |
aus den Streitkräften entlassen“. | |
Auch nach der Lockerung von Paragraph 175 verurteilten Truppengerichte | |
zunächst noch schwule Soldaten für einvernehmlichen Sex untereinander. Bis | |
1979 blieb Homosexualität ein genereller Ausmusterungsgrund. Aus | |
Personalmangel – geburtenschwache Jahrgängen trafen auf eine zunehmenden | |
Zahl von Kriegsdienstverweigerern – lockerte die Bundeswehr dann auch diese | |
Regel. Karriere durften die Betroffenen in der Armee aber weiterhin nicht | |
machen: Bis ins Jahr 2000 galten Homosexuelle als unbrauchbar für | |
Ausbildungs- oder Führungsaufgaben. Schwule Offiziere mussten ihre sexuelle | |
Orientierung verbergen. | |
„Viele Zeitzeugen berichten aber auch, dass ungeachtet der Vorschriften (…) | |
die Toleranz in der Truppe tatsächlich viel größer war“, schreibt Storkmann | |
in seiner Studie. Tatsächlich zeugen seine Recherchen von einer gewisse | |
Ambivalenz im Alltag: Auf der einen Seite erzählen Zeitzeug*innen von | |
blöden Sprüchen, Beleidigungen, Tabuisierung und Versteckspielen. So heißt | |
es über einen schwulen Soldaten, der 1998 seinen Grundwehrdienst antrat: | |
„Er, der sonst so selbstbewusst schwul lebende, wollte in der Kaserne nicht | |
als Schwuler bekannt werden. Die Mimesis ging so weit, dass er sich Poster | |
nackter Pin-up-Girls in den Spind klebte.“ | |
Auf der anderen Seite sammelte Storkmann auch Beispiele für Toleranz und | |
Solidarität unter Soldaten. So zum Beispiel der Bericht eines schwulen | |
Zeitsoldaten, der in den 1970er Jahren zum Unteroffizier befördert wurde, | |
„obwohl seine homosexuelle Orientierung in Kompanie und Bataillon (…) | |
allgemein bekannt gewesen sei“. Er habe „in sechs Jahren Bundeswehr niemals | |
Diskriminierung erlebt, nichts, gar nichts: keine Beleidigungen, keine | |
Strafen, nicht mal böse Worte“. Nur ein einziges Mal sei er im Speisesaal | |
homophob beleidigt worden. Seine Kameraden hätten ihn da aber sofort | |
verteidigt, erst mit Worten, dann mit Fäusten. | |
## Scharping lenkte ein | |
Für das Ende der Diskriminierung waren dennoch Anstöße von Außen nötig. | |
1998 wurde ein Zugführer wegen seiner Homosexualität von seinem | |
Dienstposten abgezogen. Er zog vor Gericht und reichte | |
Verfassungsbeschwerde ein, das Bundesverfassungsgericht forderte die | |
rot-grüne Bundesregierung zu einer Stellungnahme auf. Der erste Entwurf des | |
Antwortschreibens, in dem die Entscheidung gerechtfertigt wurde, stieß | |
sowohl in einzelnen Referaten des Verteidigungsministeriums als auch in | |
anderen Ministerien auf Skepsis. | |
Zeiten und Werte hatten sich geändert, auf europäischer Ebene gab es zudem | |
erste Urteile zugunsten homosexueller Soldat*innen. Nach anfänglichem | |
Zögern lenkte schließlich auch Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) | |
ein, kam einem Urteil aus Karlsruhe zuvor und kündigte die vollständige | |
Öffnung der Bundeswehr für Homosexuelle an – und das, wie aus der Studie | |
hervorgeht, gegen den Willen der militärischen Führung. | |
Zwanzig Jahre später hat sich die Haltung auch an der Bundeswehrspitze | |
verändert. Im Verteidigungsministerium sagt Generalinspekteur Eberhard Zorn | |
am Donnerstag, dass die Bundeswehr beim Thema Homosexualität mittlerweile | |
„institutionell gut aufgestellt“ sei. Jetzt gehe es darum, dass „die | |
Vorgesetzten aller Ebenen diese Dinge umsetzen“ und „Toleranz auch nach | |
außen zeigen“. | |
## „Es hat sich sehr viel getan“ | |
Seit 2016 hat das Verteidigungsministerium ein eigenes Stabselement für | |
Vielfalt und Chancengerechtigkeit. Die Bundeswehr ist bemüht darum, sich | |
auch für Homosexuelle als attraktiver Arbeitgeber auf- und darzustellen. | |
Die Aufarbeitung der eigenen Diskriminierungsgeschichte ist ein Teil dieser | |
Bestrebungen. Der Arbeitskreis QueerBW, ein Zusammenschluss von | |
LGBTI-Personen in der Bundeswehr, ist mit dieser Entwicklung sehr | |
zufrieden. „In den letzten Jahren hat sich sehr viel getan“, sagt auf dem | |
Podium [2][Sven Bäring, der Vorsitzende der Organisation]. | |
Er selbst habe in sieben Jahren Dienst erst zwei Mal diskriminierende | |
Sprüche zu hören bekommen, sagt der 25-Jährige. Aber er könne auch | |
nachvollziehen, wie es schwulen Soldaten bis ins Jahr 2000 ging: Sogar er | |
habe es in der Grundausbildung noch für sinnvoller erachtet, seine | |
Homosexualität für sich zu behalten. „Ich habe das in der Grundausbildung | |
mitgemacht“, sagt Bäring. „Das ist ein enormer Druck.“ | |
18 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] http://www.zmsbw.de/html/einsatzunterstuetzung/downloads/089201storkmannpre… | |
[2] /Queerer-Soldat-ueber-Kramp-Karrenbauer/!5612296 | |
## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
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