| # taz.de -- Blockade-Debatte im Landesparlament: „Völlig inakzeptabel“ | |
| > SPD-Innensenatorin Iris Spranger verurteilt im Abgeordnetenhaus die | |
| > jüngsten Straßenblockaden. Ihre Koalitionspartner zeigen hingegen | |
| > Verständnis. | |
| Bild: Die Blockaden an Autobahnauffahrten beschäftigten am Donnerstag das Berl… | |
| Berlin taz | Es ist an diesem Donnerstagvormittag von der Besuchertribüne | |
| des Abgeordnetenhauses nicht wirklich zu erkennen, wer da unten im | |
| Plenarsaal eigentlich miteinander koaliert. Es geht um die seit zwei Wochen | |
| währenden Straßenblockaden, und ein Konsens ist dabei bei dem erst im | |
| Dezember vereinbarten rot-grün-roten Bündnis nicht in Sicht. Während die | |
| SPD wie die Opposition aus CDU, FDP und AfD die Aktionen eindeutig | |
| ablehnen, kommt von den Grünen viel Verständnis für die Blockaden. Und für | |
| die Linkspartei ist von Ferat Kocak zu hören, man werde die Klimakrise „mit | |
| allen Mitteln“ bekämpfen. | |
| Aktueller ist im Parlament selten eine Debatte gewesen: Am Morgen hat es | |
| erneut Blockaden an der A100 gegeben. Und erst tags zuvor hat die grüne | |
| Bundesumweltministerin Steffi Lemke solche Aktionen als „Formen des zivilen | |
| Ungehorsams“ eingestuft, die absolut legitim seien. Ganz anders äußerte | |
| sich nicht bloß Bundesjustizminister [1][Marco Buschmann von der FDP] wenig | |
| später via Twitter, sondern auch ein grüner Kollege im Bundeskabinett, | |
| Landwirtschaftsminister Cem Özdemir: „Ich glaube, dass Straßenblockaden | |
| unserem gemeinsamen Ziel schaden.“ | |
| Berlins grüne Umweltsenatorin Bettina Jarasch, Donnerstag wegen Erkrankung | |
| nicht im Parlament, wünschte sich schon vor einer Woche, „dass | |
| Protestformen gewählt werden, mit denen man weder sich selbst noch andere | |
| in Gefahr bringt“. Ihr grüner Parteifreund Vasili Franco spricht nun im | |
| Abgeordnetenhaus zwar auch davon, dass Protest friedlich sein müsse und | |
| keine Menschenleben gefährden dürfe. Ansonsten aber gilt für ihn: | |
| „Politischer Protest, sei er unkonventionell oder anstrengend, war und ist | |
| für mich selbstverständlicher Bestandteil einer gesunden Demokratie. Das | |
| muss und kann man aushalten.“ | |
| Regierungschefin Franziska Giffey (SPD) hatte sich bereits am Dienstag zu | |
| den Blockaden geäußert: Für Klimaschutz und gegen Lebensmittelverschwendung | |
| einzutreten sei legitim – „die Art und Weise, wie das gerade in Berlin | |
| geschieht, ist allerdings grenzüberschreitend und nicht zu akzeptieren“. | |
| Vor diesem Hintergrund lässt es sie sichtlich nicht unberührt, als sich nun | |
| kaum drei Meter neben ihrem Platz auf der Regierungsbank Linkspartei-Redner | |
| Kocak lautstark in Rage redet und Straßenblockaden „ein mildes | |
| Protestmittel“ nennt. | |
| Im taz-Interview hat er [2][schon im November], kurz nach seiner Wahl ins | |
| Abgeordnetenhaus, klargemacht: „Ich bin Aktivist im Parlament.“ Begleitet | |
| von mehrmaligen „Viva la revolución“-Zwischenrufen des AfD-Abgeordneten | |
| Frank-Christian Hansel geißelt Kocak das gegenwärtige Wirtschaftssystem und | |
| fordert abschließend: „System change, not climate change – lassen Sie uns | |
| hier in Berlin damit anfangen!“ | |
| Giffeys während Kocaks Rede vor ihrem Körper verschränkte Arme lösen sich | |
| genau wie ihre dabei angespannte Miene erst, als danach Innensenatorin Ires | |
| Spranger (SPD) ans Mikro tritt. Denn die sagt sofort ohne Umschweife: Was | |
| Berlin seit zwei Wochen mit den Blockaden erlebe, sei „völlig | |
| inakzeptabel.“ In den Reihen der Linksfraktion ist ein einziger | |
| Abgeordneter zu sehen, der das beklatscht: Fraktionsvize Tobias Schulze. | |
| Der applaudiert, soweit von der Pressetribüne sichtbar, gleichfalls als | |
| Einziger seiner Fraktion, als Spranger feststellt, die Blockaden gingen | |
| „weit über die grundgesetzliche geschützte Versammlungsfreiheit hinaus“. | |
| Spranger spricht weit ruhiger als Kocak, doch begleitet von Kopfnicken bei | |
| Giffey in gleicher inhaltlicher Klarheit: „Den Aktivisten ist ihre | |
| Öffentlichkeitsarbeit wichtiger als der Schutz von Leib und Leben ihrer | |
| Mitmenschen.“ Die FDP-Fraktion hat die Senatorin zuvor gedrängt, die | |
| Blockaden nicht bloß zu kritisieren, sondern auch ein wirksames | |
| Polizeikonzept dagegen vorzulegen. „Frau Spranger, seien Sie schneller“, | |
| hat Björn Jotzo, der Innenexperte der Liberalen, nur ein paar Minuten zuvor | |
| gefordert. | |
| Die Senatorin malt tatsächlich aus, wie es weitergehen soll: Sie lobt | |
| richterliche Entscheidungen, Blockierer „in Gewahrsam zu halten“, um | |
| Wiederholungstaten zu verhindern, sie erwähnt eine „gezielte | |
| Gefährderansprache“. Zudem prüfe man, ob Blockierer nicht selbst die durch | |
| die Aktionen entstandenen Kosten übernehmen müssen. Sprangers | |
| SPD-Parteifreund Tom Schreiber fordert wie auch die AfD-Fraktion | |
| beschleunigte Gerichtsverfahren für Blockierer – „die Strafe muss auf dem | |
| Fuß folgen“, meint er. | |
| FDP-Mann Jotzo hat zuvor zwar gleichfalls heftige Kritik an den Blockaden | |
| geäußert, jedoch Forderungen des CDU-Abgeordneten Frank Balzer als | |
| überzogen zurückgewiesen. Wie Balzer zu verlangen, die Blockierer allesamt | |
| dem Haftrichter vorzuführen, bringe nichts – das wecke Erwartungen, „die | |
| der Rechtsstaat hinterher nicht einlösen kann“. | |
| Was Jotzo hingegen fordert, ist ein klares Bekenntnis der Grünen zum | |
| Rechtsstaat: Teile der Partei haben aus seiner Sicht da „ein ambivalentes | |
| Verhältnis“. Das aber ist für den FDPler bei einer Regierungspartei fatal: | |
| „Der Rechtsstaat kann nur funktionieren, wenn die ihn tragenden politischen | |
| Kräfte ihn auch akzeptieren.“ | |
| 10 Feb 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://twitter.com/MarcoBuschmann/status/1491509094250864645 | |
| [2] /Linken-Abgeordneter-Ferat-Kocak/!5809397 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Alberti | |
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