Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Biolehrerin über veraltete Schulbücher: „Nicht nur Scheide oder…
> Die Klitoris war in Schulbüchern unvollständig abgebildet. Nach Kritik
> der Lehrerin Sina Krüger wurden viele Darstellungen erneuert.
Bild: Zur Sexualaufklärung gehören angemessene Abbildungen und sprachsensible…
taz: Frau Krüger, endlich ist eine vollständige Klitoris in den Lehrbüchern
der Verlage Klett, Westermann und Cornelsen abgebildet. Wie fühlt es sich
an?
Sina Krüger: Das ist super! Ich freue mich riesig. Es ist sehr wichtig,
dass das weibliche Geschlechtsorgan korrekt abgebildet ist. Dass Mädchen
und junge Frauen ihren Körper in Schulbüchern angemessen repräsentiert
finden und sie sich mit der Sexualität, die abgebildet ist, auch
identifizieren können.
Welche der Abbildungen finden Sie denn am besten?
Auch wenn alle drei Verlage endlich die Klitoris als Organkomplex
darstellen, haben sie sich unterschiedlich viel getraut. Die Abbildungen
von Cornelsen und Klett finde ich gelungener, der Klett Verlag bildet die
Klitoris am genauesten ab. Zusätzlich zur Abbildung [1][der Klitoris im
Querschnitt] veranschaulichen beide Verlage die Vulva anhand einer
Frontalansicht. Das ist eine realistische Perspektive, die dem ähnlich ist,
was Mädchen und junge Frauen sehen, wenn sie sich zwischen die Beine
schauen.
Sie hatten auch die Sprache in [2][den alten Büchern] kritisiert. Wie
sprachsensibel sind die neuen Auflagen?
Niemand sollte sich für seine Vulva schämen. „Schamlippen“ ist sehr negat…
konnotiert. Der Verlag Klett hat in seinen neuen Abbildungen sogar den
sprachsensiblen Begriff der „Vulvalippen“ verwendet – das freut mich am
meisten, weil ich nicht gedacht hätte, dass sie diesen Schritt gehen. Für
mich ist der Verlag damit mutiger als die anderen, weil das Wort Vulva bei
vielen noch gar nicht so etabliert ist. Aber das weibliche Geschlechtsorgan
heißt eben nicht einfach nur Scheide oder Vagina, weil es eben mehr ist als
nur diese Öffnung, dieser Muskelschlauch.
Sprachsensibel bedeutet auch, nicht mehr von „kleinen und großen
Schamlippen“ zu sprechen – das haben sogar alle drei Verlage umgesetzt.
„Innere und äußere“ ist fachlich korrekt und lässt mehr Spielraum für
Individualität, denn Vulvalippen sind sehr unterschiedlich. Außerdem geht
Cornelsen auf die sexuelle Erregbarkeit der Klitoris ein. Sie wird als
Schwellkörper beschrieben und mit dem Penis verglichen. Damit wird den
Schüler:innen vermittelt, dass es beim Sex eben nicht nur um „Penis wird
in Vagina eingeführt“ geht, sondern auch darum, dass die Klitoris eine
hocherogene Zone ist.
Und bei Westermann?
Da ist noch [3][Luft nach oben]. Die Klitoris wird weder als Organkomplex
mit Schwellkörpern beschrieben, noch wird ihre Rolle für die sexuelle Lust
weiter erläutert. Aber immerhin ist sie jetzt nicht mehr ein Punkt, eine
Erbse oder ein Halbmond, sondern ein eigenständiges Organ, das zum
weiblichen Geschlecht dazugehört.
Meinen Sie, dass durch diese Abbildungen bestimmte Mythen in Hinsicht auf
weibliche Sexualität abgebaut werden können?
Abbildungen alleine reichen nicht, dazu gehören fachlich korrekte und
sprachsensible Texte. In den neuen Auflagen schreibt Cornelsen tatsächlich:
Man könne am Jungfernhäutchen nicht erkennen, ob eine Frau penetrativen Sex
hatte oder nicht. Und: Nicht alle Frauen würden beim ersten Mal bluten. Ich
bin sehr begeistert, denn so räumt das Buch mit diesen Mythen auf.
Sie fordern doch, dass die Verlage den Begriff „Jungfernhäutchen“
streichen.
Das Wort „Jungfernhäutchen“ ist zwar irreführend, aber Kinder und
Jugendliche kennen es schon. Deswegen ist es sinnvoll, den Begriff
aufzugreifen, um zu erklären, warum er im wörtlichen Sinne falsch ist. Es
gibt bei einem gesunden Menschen keine Haut, die die Vagina verschließt. In
dieser Hinsicht finde ich den Text von Cornelsen besonders gut, weil sie
zwar das Jungfernhäutchen ansprechen, aber trotzdem das Fachwort „Hymen“
einführen, welches sprachsensibel und fachlich korrekt ist.
In älteren Auflagen steht noch immer, die Klitoris sei erbsengroß. Welchen
Einfluss hat das auf das Verständnis vom eigenen Körper bei Mädchen und
jungen Frauen?
Wenn man glaubt, dass das einzige Organ, das für sexuelle Erregbarkeit
zuständig ist, so groß wie eine Erbse ist, dann misst man dem eine ganz
andere Bedeutung zu, als wenn man weiß, dass die Klitoris ein rund zehn
Zentimeter langer Organkomplex mit Schwellkörpern ist.
Gerade für Jugendliche, die ihre Sexualität entdecken, ist es bestimmt sehr
beeindruckend zu erfahren, dass Frauen ein Organ haben, das nur für
sexuelle Lust und schöne Gefühle zuständig ist. Zudem ist es für ein
sexualbejahendes und positives Sexualleben wichtig zu wissen, wie man sich
selbst stimulieren kann. Wie schön es doch wäre, wenn sich die eigene
Körperwahrnehmung mit dem erklären lässt, was man in der Schule lernt.
Können denn Abbildungen in Schulbüchern wirklich so viel bewirken?
Schulbücher haben einen hohen Stellenwert im Unterricht. Wenn es im
Schulbuch steht, scheint es etwas Wichtiges zu sein. Es schafft einen Raum
für Schüler:innen, sich zu trauen, Fragen über sexuelle Lust und das
weibliche Geschlecht zu stellen. Das kann Mythen und gesellschaftlichen
Druck abbauen und so zu einer besseren sexuellen Gesundheit bis ins
Erwachsenenalter beitragen.
Außerdem hat es viel mit Repräsentation und Gleichstellung zu tun. Das
männliche Geschlecht ist im Alltag viel präsenter als das weibliche. Mit
der richtigen Repräsentation im Schulbuch kommen wir zumindest von der
Vorstellung weg, dass es einerseits einen großen, starken Penis und
andererseits nur ein Loch zwischen den Beinen gibt, hin zum Wissen von zwei
einzigartigen und unterschiedlichen Sexualorganen. Das kann
Selbstbewusstsein schaffen.
Was würden Sie Lehrkräften empfehlen, die sexuelle Bildung unterrichten?
Nicht nur mit Büchern zu arbeiten! Bildet euch weiter, nutzt
Fortbildungsangebote, schaut bei der Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung (BZgA), bei Pro Familia oder bei [4][Vielma] oder auf Instagram
bei [5][@the.vulva.gallery] vorbei, hier zeichnet Hilde Atlanta vielfältige
Vulven. Damit kann man die Schüler:innen ganz anders abholen.
Liegt es also an den Lehrkräften, sich von den veralteten Darstellungen zu
entfernen?
Die Lehrkräfte sind final für ihr Unterrichtsmaterial zuständig. Wenn ich
das Material sehe und nicht dahinterstehe, dann muss ich es selbst
gestalten oder recherchieren. Das kostet Zeit und Geld. Aber wenn man
möchte, dass Schüler:innen adäquat gebildet und Vorstellungen von
körperlichen Intimidealen abgebaut werden, sollte man diese Mehrarbeit auf
sich nehmen.
8 Feb 2022
## LINKS
[1] /Klitoris-in-Lehrbuechern/!5667301
[2] /Aufklaerung-ueber-Rassismus/!5801611
[3] /Evangelikale-als-Aufklaerer-an-Schulen/!5749136
[4] https://www.vielma.at/
[5] https://www.instagram.com/the.vulva.gallery/
## AUTOREN
Julika Kott
## TAGS
Lust
IG
Klitoris
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Schule
GNS
Sexualaufklärung
Biologie
Klitoris
Vibrator
Vulva
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Aufklärung
Kolumne Beim Friseur
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Abtreibung
Klitoris
## ARTIKEL ZUM THEMA
Binäre Genital-Erzählung: Zeit für Klitoris-Neid
Die Komplexität der Klitoris wurde lange ignoriert, dabei gab es bereits
vor 350 Jahren erste Abbildungen. Warum sich das dringend ändern muss.
Vibratoren-Sammlerin Nadine Beck: „Ein Geschenk an die Menschheit“
Die Kulturwissenschaftlerin Nadine Beck hat über Vibratoren promoviert und
zeigt ihre Sexspielzeuge-Sammlung im L'apotheque Museum auf St. Pauli.
Freiburger Foto-Projekt: Vielfalt der Vulva
In der Kunst taucht die Vulva immer wieder auf. Aber an realistischen
Abbildungen fehlt es nach wie vor. Verschiedene Fotoprojekte wollen das
ändern.
Rassismus im Schulbuch: Ausgeprägte autoritäre Pädagogik
Nach einem rassistischen Vorfall an einer Offenbacher Schule reichte der
Erziehungswissenschaftler Ortmeyer Beschwerde gegen den Schulleiter ein.
Die Wochenvorschau für Berlin: Eine Weile ohne Penetration
Noch immer sprechen Viele von der Vagina, wenn sie die Vulva meinen. Eine
Gynäkologin erhält einen Preis, es gibt Frauenfilme und Romanzen.
Sexualaufklärung in Kinderbüchern: Zwei Störche und ein Pinguinbaby
Bei sexueller Aufklärung geht es heute um viel mehr als zu erklären, wie
Sex funktioniert. Viele Kinderbuchverlage haben darauf reagiert.
Besserer Sex in den Wechseljahren: Auf der Leiter nach oben
Über das Klimakterium kursieren einige Mythen, was daran liegt, dass kaum
jemand offen darüber spricht. Kein Wunder, ist es doch negativ konnotiert.
Aufklärung über Rassismus: Xenophober Hit im Unterricht
Um Diskriminierung im Schulunterricht zu thematisieren, verwenden
Lehrer*innen zuweilen xenophobe Songtexte. Wie weit dürfen sie gehen?
Evangelikale als Aufklärer an Schulen: Senat sieht kein Problem
Ein evangelikaler Verein klärt in Bremer Schulen über Abtreibungen auf. Im
Landtag erklärt die Bildungssenatorin, sie habe keine Einwände.
Klitoris in Lehrbüchern: Größer, als du denkst
Die anatomisch korrekte Abbildung der Klitoris schafft es nur in selten in
Schulbücher. Eine feministische Initiative will das in Frankreich ändern.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.