# taz.de -- Kampf gegen Verdrängung in Berlin: Oase auf der Kapitalismusallee | |
> Eine Hausgemeinschaft in Prenzlauer Berg wehrt sich gegen den Verkauf: | |
> Mithilfe von Genossenschaften wollen sie sich vor der Verdrängung retten. | |
Bild: Auf die Gemeinschaft der K12 will keiner der Mieter*innen verzichten müs… | |
BERLIN taz | In der Kastanienallee 12 hat das Aufbegehren Tradition. Dabei | |
ist die Fassade eher unscheinbar. Unauffällig reiht sie sich ein zwischen | |
Gründerzeithäusern und Neubauten: Cremefarben gestrichen, Erker in der | |
Mitte, Modegeschäft im Erdgeschoss und Schmierereien auf der Haustür. | |
Aktuell zeigen die gelben Banner mit der Aufschrift „This building is an | |
endangered species“, dass sich hier etwas zusammenbraut. | |
Die K12, wie die Mieter*innen ihr Haus nennen, gehört schon lange zur | |
Keimzelle der Mieter*innenselbstorganisation in Prenzlauer Berg. | |
Zu DDR-Zeiten [1][wehrten sich Anwohner*innen hier in | |
Wohnbezirksausschüssen] erfolgreich gegen den Abriss von Altbauten in der | |
grenznahen Gegend. In den achtziger Jahren entstand im Innenbereich des | |
Straßenblocks zwischen Eberswalder und Oderberger Straße mit dem | |
[2][Hirschhof ein Stadtteiltreffpunkt] – und damit ein Geheimtipp der | |
Untergrundkultur Ostberlins. Weil auch Regimegegner ein und aus gingen, | |
führte die Stasi zum Hirschhof eine eigene Akte. | |
Die Anwohner*innen organisierten sich in der „Wir bleiben | |
alle“-Bewegung. Und stellten 1992 hier schließlich die beiden mit 20.000 | |
Teilnehmer*innen bis dato größten Demonstrationen gegen Mieterhöhungen | |
auf die Beine. | |
Heute leben und arbeiten rund 100 Mieter*innen in den 50 Wohnungen und | |
Ateliers: Familien mit Kindern, Künstler*innen und | |
Tech-House-Produzenten, Mitarbeitende der nahen Kirchengemeinde. Viele sind | |
kurz vor oder nach der Wende eingezogen, manche wohnen erst seit ein paar | |
Jahren dort. Lange Zeit konnten sie hier ungestört leben, doch jetzt droht | |
der Verkauf der K12 mit ihren drei Hinterhäusern und die Mieter*innen | |
fürchten um ihr Zuhause. Sie fordern, dass Hausgemeinschaften stärker | |
eingebunden werden, wenn Eigentümer*innen verkaufen. Weil sie ihre | |
Gemeinschaft nicht aufgeben wollen, haben sie sich zusammenschlossen. Ihr | |
Plan: Sie wollen die K12 mit zwei Genossenschaften kaufen. Am Freitag legen | |
sie ein erstes Angebot vor. Können sie so ihre Gemeinschaft retten? | |
## Geringe Kaltmieten und kalte Wohnungen | |
Wer durch die Hauseingang der K12 geht, kriegt einen Einblick in das | |
ungentrifizierte Prenzlauer Berg der neunziger Jahre: In den begrünten | |
Innenhöfen haben die die Bewohner*innen Kunstinstallationen | |
aufgestellt, von den braun-grauen Hinterhäusern bröckelt der Putz, Im Hof | |
Unmengen an Fahrrädern, beklebte Briefkästen, Graffitis. | |
Michaela Hartmann gehört seit über 20 Jahren zu der Hausgemeinschaft, die | |
für viele hier ihr Lebensmittelpunkt ist. Sie kam kurz nach der Wende nach | |
Berlin, um „einfach mal zu schauen“, und ist nie wieder gegangen. „Als | |
Wessi war ich hier die Speerspitze der Gentrifizierung“, erzählt sie und | |
lacht. Hartmann wohnt hier in einer Zwei-Zimmer-Wohnung, im dritten | |
Hinterhaus hat sie ihr Atelier, in dem sie Gitarren repariert und ihre | |
Fotografien ausstellt. | |
Das alles ist auch möglich, weil die Mieten hier gering ausfallen: 3,50 bis | |
4,50 Euro kalt zahlen die Bewohner*innen der K12 pro Quadratmeter. Für | |
Hartmanns Wohnung sind das etwa 260 Euro im Monat, ihre „künstlerische | |
Existenzgrundlage“, wie sie sagt. Doch der Sanierungsbedarf der K12 ist an | |
allen Ecken und Enden sichtbar: Viele der schlecht isolierten Wohnungen | |
haben nur Kohleöfen, einige Mieter*innen teilen sich Toiletten auf dem | |
Gang. Duschen und Badewannen stehen häufig noch in der Küche, manche haben | |
gar keine. Rohre und Elektrik müssten erneuert werden. Die | |
Bewohner*innen rechnen damit, dass eine Vollsanierung nötig sein wird. | |
## Familienzwist verunsichert Hausgemeinschaft | |
Laut Grundbucheintrag gehören die Häuser noch immer Frau K. Die alte Dame, | |
die die Mieter*innen stets gewähren ließ, dafür aber auch recht wenig | |
für den Erhalt der K12 tat, hielt man hier lange für unsterblich. Doch vor | |
zwei Jahren starb die Eigentümerin, ihr Besitz soll an ihre zwei Söhne | |
gehen. Die sind jedoch, so erzählen es die Mieter*innen, seit Jahren | |
zerstritten. Deshalb droht nun eine Teilungsversteigerung: Dabei wird das | |
Haus zwangsweise an den Meistbietenden versteigert und der Erlös fließt der | |
Erbengemeinschaft zu, die ihn unter ich aufteilt. Darüber muss nun das | |
Amtsgericht entscheiden. | |
„Das ist ein Damoklesschwert für alle, die hier wohnen“, sagt Angela | |
Dressler. Sie ist „Dauergast“ in der K12, wie sie sagt, außerdem | |
Organisatorin vom Kieztreff Pankow und Mitglied der Initiative | |
Mieter*innengewerkschaft. Zu den zwei Brüdern habe man in der K12 | |
eigentlich einen guten Draht: Man kenne sich seit Jahren, saß auch immer | |
wieder beim Lagerfeuer zusammen, „aber immer nur mit einem von beiden | |
gleichzeitig“. Einen emotionalen Bezug zu den Häusern gebe es auch auf | |
Eigentümerseite, heißt es von den Anwohner*innen der K12. Die Brüder | |
seien „eher antikapitalistisch eingestellt“. Es ist nicht die Profitgier | |
von großen Investoren, die ihnen Sorgen macht, sondern die Konflikte | |
zwischen den Erben. Also alles nur halb so schlimm? | |
Die Hausgemeinschaft macht sich keine Illusionen: Die vier Gebäude in | |
bester Lage und mit großem Garten seien schließlich der Traum eines jeden | |
Investoren. Schon jetzt riefen Makler*innen Kaufpreise auf, die die | |
Anwohner*innen mit unbezahlbaren Mietsteigerungen zum Auszug zwingen | |
würden. | |
## Zwei Genossenschaften sollen helfen | |
Um dem Verkauf der K12 zuvorzukommen, haben sich die Mieter*innen nun | |
als Verein organisiert. Im Anschluss an die „Wir bleiben alle“-Bewegung, | |
die sich in den achtziger Jahren auf ihrem Hirschhof formierte, wollen sie | |
sich für bezahlbare Mieten und gemeinwohlorientiertes Wohnen einsetzen. | |
Auf das [3][bezirkliche Vorkaufsrecht] haben sie nicht spekuliert, weil die | |
Zwei-Monats-Frist sie abgeschreckt hat: Das Risiko, nach einem Kaufangebot | |
nicht schnell genug reagieren zu können, sei ihnen zu groß gewesen. | |
Rückblickend war das die richtige Taktik: Nach der Entscheidung des | |
Bundesverwaltungsgerichts im vergangenen Jahr ist die Maßnahme zum | |
Milieuschutz so gut wie tot. Stattdessen wollen die Anwohner*innen der | |
K12 die Versteigerung verhindern, indem sie Teil einer Genossenschaft | |
werden: Sie haben Gespräche mit der genossenschaftlichen Immobilienagentur | |
„Häuser Bewegen“ aufgenommen, die Ankaufoptionen an ihre | |
Mitgliedsunternehmen vermittelt. Gemeinsam mit der Selbstbau eG und der | |
Ostseeplatz eG machen die Mieter*innen der K12 den Eigentümern an diesem | |
Freitag nun das erste Kaufangebot. | |
Was sie vorhaben, hat so ähnlich in Kreuzberg erst kürzlich funktioniert: | |
2016 drohte dort der Lause das Aus: einem Komplex, der viele wichtige linke | |
Projekte beherbergt. Der Eigentümer, die dänische Tækker-Gruppe, suchte | |
Käufer für die Lause. Mindestens 20 Millionen Euro wollte der | |
Familienkonzern für den Komplex haben, den er 2006 vom Land Berlin für | |
rund 2,3 Millionen Euro erworben hatte. Die Initiative „Lause bleibt“ | |
setzte Tækker und die Berliner Politik zunehmend unter Druck – und hatte | |
Erfolg: Der dänische Investor verkaufte schließlich für deutlich weniger | |
Geld an das Land Berlin. Vergangenen Freitag haben die Genossenschaft Eine | |
für Alle eG und die Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) den | |
Erbbaurechtsvertrag unterschrieben, [4][die Lause ist gesichert.] | |
Auf ein ähnliches Schicksal hofft man auch in der K12. Einfach wird es hier | |
jedoch vermutlich auch nicht: Zwar gibt es Förderdarlehen vom Land Berlin, | |
die sogenannte Genossenschaftsförderung für Bestandserwerb. Voraussetzung | |
für die Auszahlung ist allerdings ein Eigenkapitalanteil von zehn Prozent. | |
Weil die Sanierungskosten nochmal ungefähr doppelt so hoch sind wie der | |
Kaufpreis, muss die Hausgemeinschaft circa 1,5 Millionen Euro | |
zusammenbekommen. Sie hoffen nun auf Direktkredite und Einlagen in die | |
Genossenschaft durch Dritte, auch um Mieterhöhungen möglichst niedrig | |
halten zu können. | |
## Kredite gegen die Verdrängung von Künstler*innen | |
Unterstützung kommt auch vom [5][Berufsverband bildender Künstler*innen | |
(bbk)], der sich den Kampf gegen die Verdrängung von Künstler*innen aus | |
dem Stadtgebiet auf die Fahne geschrieben hat. Der Verband wirbt aktuell | |
bei der Senatsverwaltung dafür, auch für gewerbetreibende Künstler*innen | |
niedrigschwellige Genossenschaftskredite anzubieten. „Es geht ja gar nicht | |
darum, dass viel Geld ausgegeben werden soll“, sagt Martin Schwegmann vom | |
bbk, „Die Kredite werden schließlich alle irgendwann zurückgezahlt.“ | |
In der K12 bleibt man zuversichtlich – und hofft auf einen | |
Paradigmenwechsel: „Mieter*innen sind nicht das Mobiliar, das einfach | |
mitverkauft und bei Bedarf rausgeschmissen werden kann“, findet Michaela | |
Hartmann. Sie und ihre Nachbar*innen wünschen sich eine Ankaufspolitik, | |
die sicherstellt, dass möglichst viel Bestand in die Hände von | |
gemeinwohlorientierten Akteur*innen kommt. | |
Eigentümer*innen sollten sich außerdem mit Hausgemeinschaften und | |
Genossenschaften zusammensetzen, bevor sie an Dritte verkaufen: „Der | |
Hausverkauf wird immer günstiger, wenn man die Hausgemeinschaft mitdenkt“, | |
sagt Angela Dressler. Wer vernetze Mieter*innen verdrängen wolle, müsse | |
sich auf kostspielige Konflikte einstellen: „Jede gut organisierte | |
Hausgemeinschaft treibt den Preis in die Höhe.“ | |
4 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Friedliche-Revolution-und-Stadtplanung/!5632997 | |
[2] /Stadtgeschichte/!5036105 | |
[3] /Vorkaufsrecht-in-Berlin/!5814822 | |
[4] /Linker-Freiraum-vor-der-Rettung/!5827442 | |
[5] https://www.bbk-berlin.de/berufsverband-bildender-kuenstler_innen-berlin | |
## AUTOREN | |
Johanna Jürgens | |
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