# taz.de -- Stadtgeschichte: Der Hirsch ist erlegt | |
> Im Hirschhof hat sich vor der Wende der Untergrund der DDR getroffen hat. | |
> Jetzt soll die Hofanlage in Prenzlauer Berg der Allgemeinheit entzogen | |
> werden. | |
Bild: Röhrendes Unrecht: Ein echter Hirsch wie dieser steht freilich nicht im … | |
Erster, zweiter, dritter, vierter. So viele Hinterhöfe müssen durchquert | |
werden, um von der Kastanienallee aus zum Hirschhof zu kommen, grün und | |
ruhig mitten in Prenzlauer Berg. Vier Hinterhöfe sind selten geworden in | |
Berlin, schon deswegen ist der Hirschhof was Besonderes. Wirklich | |
außergewöhnlich aber macht ihn seine Geschichte, die noch mehr Kapitel hat | |
als die Häuser hier Hinterhöfe – und die trotzdem jetzt zu Ende geht. | |
Denn der Hirschhof, das aus verschiedenen, ineinander übergehenden | |
Hinterhöfen bestehende Areal im Dreieck Kastanienallee/Oderberger | |
Straße/Eberswalder Straße, ist mittlerweile nicht nur rechtlich eindeutig | |
Privateigentum, sondern soll bald auch so aussehen. Schluss mit | |
gemeinschaftlich genutzter Fläche, Schluss mit Erinnerung an | |
DDR-Protestkultur, Schluss mit nicht verregelten, öffentlichen Räumen in | |
Prenzlauer Berg. Seit dieser Woche steht ein neuer Zaun, eine weitere | |
Grundstücksgrenze wird bereits durch eine Schnur markiert. Im Auftrag des | |
Bezirks tragen Arbeiter das weg, was öffentlich ist. Auch die große | |
Hirschskulptur gehört dazu, die der Fläche seit drei Jahrzehnten ihren | |
Namen gibt. | |
„Hier wird ein historischer Ort zerstört“, sagt Antonia de la Cruz, die | |
seit zwölf Jahren in der Kastanienallee 12 wohnt, dem Haus mit den vier | |
Hinterhöfen. Sie sitzt an einem Gartentisch im weitläufigen Hirschhof, der | |
Blick geht von den Beeten über das Spielgerüst zum kleinen Amphitheater. | |
Sie habe immer geglaubt, es sei Konsens unter den AnwohnerInnen und | |
Hausverwaltungen, dass das Gelände gemeinsam genutzt werden solle, dass | |
auch Leuten von außerhalb die Türen geöffnet werden. „Das war hier doch | |
immer ein öffentlicher Ort, an dem man sich begegnen konnte“, sagt sie, | |
„ein Ort mit einer ganz besonderen Geschichte der Begegnung noch dazu.“ | |
Als öffentliches Gelände geschaffen wurde der Hirschhof in der späten DDR. | |
Damals sollten die Altbauten in der Gegend abgerissen und durch | |
Plattenbauten ersetzt werden. Dagegen protestierten AnwohnerInnen, die den | |
örtlichen Wohnbezirksausschuss (WBA) regelrecht unterwanderten und in | |
Eigenregie den Hirschhof schufen – als Nachbarschaftspark, | |
Veranstaltungsort, Oppositionellentreffpunkt. Der Bezirk steuerte 1983 eine | |
Million Ostmark für die Umbauten bei, ab 1985 traf sich hier an | |
Sommerabenden Nachbarschaft und Untergrund zum Streiten und Trinken. | |
Eine „förmliche Widmung“, die den Hirschhof als öffentliche Grünfläche | |
auszeichnet, gab es dabei nie, im Unterschied zum bundesdeutschen schrieb | |
das DDR-Recht so etwas nicht vor. Die „Wir bleiben alle“-Bewegung, in | |
Anlehnung an den Wohnbezirksausschuss ebenfalls WBA abgekürzt, schaffte es | |
nach der Wende trotz großer Proteste nicht, die Sanierung der meisten | |
umliegenden Häuser zu verhindern. | |
Dennoch blieb der öffentliche Charakter des Geländes erhalten, die | |
AnwohnerInnen ließen die Zugänge offen. 2005 dann ein weiterer Schritt hin | |
zum Privatgelände: Der bisherige Haupteingang über die Oderberger Straße 15 | |
wurde verschlossen. Der Zugang über die Kastanienallee wurde allerdings | |
weiter genutzt. „Auch nachdem wir eine Schließanlage hatten, haben wir | |
immer für Besucher die Tür geöffnet“, sagt de la Cruz. | |
Die neue Eigentümergesellschaft aus der Kastanienallee 10 zog derweil gegen | |
den Bezirk vor Gericht und klagte auf eine private Nutzung ihrer Anteile | |
des Areals. „Die Anwohner haben die Anteile mit ihren Wohnungen erworben | |
und wollen sie auch dementsprechend nutzen“, sagt Frank Boermann, Anwalt | |
der Eigentümergesellschaft. Der Bezirk versuchte dagegen, den öffentlichen | |
Charakter des Grundstücks anhand von Dokumenten nachzuweisen – und | |
scheiterte damit: 2011 gab das Oberverwaltungsgericht den Eigentümern | |
recht: Der Hirschhof sei keine öffentliche Grünanlage. | |
Die einzige verbliebene Chance, ein Enteignungsverfahren, hat der Bezirk | |
nun verworfen. Aufgrund der geringen Aussicht auf Erfolg habe man sich | |
gegen ein solches Verfahren entschlossen, sagt Baustadtrat Jens-Holger | |
Kirchner, auch wenn das eine „bittere Entscheidung“ sei. Vom Tisch sind | |
damit auch die Pläne des Bezirks, das Gelände mit einem Nachbargrundstück | |
in öffentlicher Hand zu verbinden, auf dem unter dem Namen „Neuer | |
Hirschhof“ vor zwei Jahren ein Spielplatz eröffnet wurde. Stattdessen ist | |
der Weg nun endgültig frei für eine Einzäunung der einzelnen Grundstücke – | |
der jetzt aufgestellte hohe Zaun zwischen den Grundstücken der Oderberger | |
15 und der Kastanienallee 12 ist ein erster Schritt. | |
„Das ist nicht in unserem Sinne“, sagt Bernd Krüger, der in der Oderberger | |
Straße 15 wohnt und sich in einer Anwohnerinitiative engagiert. „Eine | |
Erweiterung des Areals wäre gut für den Kiez gewesen“, sagt er, „wir | |
brauchen hier öffentlich nutzbare, unkommerzielle Orte“. Krüger sitzt mit | |
am Gartentisch im Hirschhof, auch andere Nachbarn sind mittlerweile dazu | |
gekommen. Jeder hat etwas anderes gehört: Die Eigentümer aus der 10 wollen | |
den Zaun, sagt einer, die seien sich selbst nicht einig, eine andere, ein | |
dritter weiß von einem Brief, der in der Nummer 11 verteilt worden sei und | |
in dem die Eigentümerin das „Ende des Hirschhofs“ verkündet habe. | |
Ja, es habe manchmal Beschwerden gegeben über Feiern im Hof oder darüber, | |
dass „Fremde“ aufs Gelände gelassen werden, sagt de la Cruz. Gleichzeitig | |
betont sie: „Nichts von dem, was hier gemeinschaftlich genutzt wird, ist | |
jemals kaputt gemacht worden oder weggekommen“. Und im Vergleich zu früher, | |
erinnert sich ein anderer Nachbar, sei der Hirschhof ohnehin schon seit | |
Jahren viel ruhiger. | |
Die Hirschskulptur ist scharfkantig und rostig, die großen Steine | |
überwuchert, das eine oder andere Mäuerchen wirkt nicht sehr stabil: Der | |
Hirschhof, wenngleich genutzt und gepflegt, fällt heraus aus dieser Gegend | |
mit ihren Boutiquen und Sushi-Lounges. „Jahrelang haben die Kinder aus den | |
ganzen umliegenden Häusern hier zusammen gespielt, sind über Zäune | |
geklettert und haben sich Geheimverstecke gebaut“, sagt ein Nachbar. Auf | |
dem neuen Spielplatz, dem „Neuen Hirschhof“, würde sich sein Sohn hingegen | |
langweilen: „Das ist alles so sicher und steril, da gibt es nichts mehr zu | |
entdecken“, sagt er. Das Problem haben im Prenzlauer Berg nicht nur Kinder. | |
5 Aug 2014 | |
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