# taz.de -- Housing Action Days: Erst geschützt, jetzt schutzlos | |
> Das Programm „Soziale Stadterneuerung“ sollte Mieter schützen. Mit | |
> Auslaufen der Bindungen droht nun die Verdrängung. Am Samstag wird | |
> demonstriert. | |
Bild: Protest von Mieter:innen in der Florastraße | |
Berlin taz | Öffentliche Förderung: Das klang in den wilden neunziger | |
Jahren in Ostberlin nach staatlichem Schutz vor der privaten Spekulation | |
mit Wohnraum. Fast 18.000 Wohnungen wurden von 1990 bis 2003 im Rahmen des | |
Programms [1][„Soziale Stadterneuerung“] vom Senat und der Investitionsbank | |
Berlin-Brandenburg gefördert. Diejenigen, die in den Wohnungen lebten, | |
mussten zunächst nicht befürchten, verdrängt zu werden. Für viele ein | |
Glücksfall. | |
Nun aber droht eine nachgeholte Verdrängung großen Ausmaßes. Ulrike Hamann, | |
Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins, spricht deshalb von einer | |
„dramatischen Lage“. Denn die 20 oder 30 Jahre währenden sozialen | |
Bindungen, die mit der öffentlichen Förderung von den Eigentümern erkauft | |
wurden, laufen seit 2017 nach und nach aus – und das Rad dreht sich immer | |
schneller. | |
„Vor allem in Pankow droht eine Welle von Mieterhöhungen und | |
Eigenbedarfskündigungen“, sagt Hamann. Wie der Mieterverein fürchtet auch | |
das Bündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn neue „Verdrängungswellen�… | |
Im Rahmen der Aktionswoche zum Housing Action Day 2023 ruft es deshalb zu | |
einer Demo am Samstag auf. Sie soll um 13 Uhr am Thälmann-Denkmal in | |
Prenzlauer Berg starten. | |
Das die Demo dort beginnt, ist kein Zufall. Der Prenzlauer Berg, aber auch | |
der Kiez rund um die Florastraße in Pankow – ebenso wie Kieze in | |
Friedrichshain und Lichtenberg – sind besonders stark vom Auslaufen der | |
Sozialbindungen betroffen. Das zeigt eine [2][interaktive Karte], | |
veröffentlicht vom „Kieztreffen Pankow“, einem Zusammenschluss von | |
Mieter:innen und Hausgemeinschaften. | |
## Welle der Entmietung | |
Von den berlinweit 6.390 Wohnungen, die im Rahmen der „Sozialen | |
Stadterneuerung“ modernisiert wurden und sich derzeit noch in der | |
Sozialbindung befinden, liegen alleine 3.600 in Pankow. Deren | |
Mieter:innen drohen nicht nur drastische Mieterhöhungen, sondern in | |
vielen Fällen auch Kündigungen wegen Eigenbedarfs. | |
„Es geht jetzt um die letzten bezahlbaren Wohnungen in Prenzlauer Berg“, | |
sagt Hanna vom Kieztreffen Pankow. Jeder Förderauslauf sei für die | |
Bewohner:innen eine Hiobsbotschaft. Sie selbst wohnt in einem Haus im | |
Helmholzkiez, in dem die Bindung bereits 2018 auslief. Die Ankündigung der | |
Aufteilung folgte sofort, ebenso satte Mieterhöhungen und | |
Luxusmodernisierung bis hin zu vergoldeten Briefkästen. Heute werden im | |
Haus 80 Prozent der Wohnungen möbliert für maximal ein Jahr und zu Preisen | |
von bis zu 30 Euro pro Quadratmeter vermietet. | |
Tatsächlich hat sich der Schutz von damals heute in eine Bedrohung | |
umgewandelt. Zu den Sozialbindungen gehörte nicht nur eine weitgehende | |
Reduzierung der Modernisierungsumlage, um Luxusmodernisierungen zu | |
verhindern. Auch ein Verbot von Eigenbedarfskündigungen war festgeschrieben | |
sowie ein Belegungsrecht der Bezirksämter bei frei werdenden Wohnungen, | |
etwa um Sanierungsbetroffene oder WBS-Inhaber:innen mit Wohnraum zu | |
versorgen. | |
## Gefahr Eigenbedarfskündigungen | |
Was die Bindung freilich nicht untersagte, war die Umwandlung von Miet- in | |
Eigentumswohnungen. Das bestätigt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung | |
in der Antwort auf eine [3][Anfrage des Linken-Abgeordneten Niklas | |
Schenker]. „Innerhalb der Förderungsverträge (…) wurde die Umwandlung in | |
Wohnungseigentum zugelassen.“ | |
Schnelle Kündigungen drohen nun jenen Mieter:innen, deren Wohnung in der | |
Zwischenzeit weiterverkauft wurde. Denn nach einem Weiterverkauf beginnt | |
die Zehnjahresfrist, in der eine Eigenbedarfskündigung ausgeschlossen ist. | |
Liegt der Weiterverkauf schon zehn Jahre zurück, gilt nur noch die normale | |
Kündigungsfrist, heißt es beim Mieterverein. Selbst bei langjährigen | |
Mietverhältnissen liegt diese bei maximal neun Monaten. Laut Kieztreffen | |
Pankow sind 50 Prozent der Häuser, die nun aus der Bindung fliegen, bereits | |
aufgeteilt, so sagen es Rechtsanwälte, die mit ihnen zusammenarbeiten. | |
Das Kieztreffen versucht seit 2021 betroffene Mieter:innen und Häuser zu | |
vernetzen. Dass die Politik keine Konzepte habe, ihnen zu helfen, sei ein | |
„Drama“, sagt Hanna. Mit dem Kippen des Vorkaufsrechts und des | |
Mietendeckels seien die letzten Werkzeuge, die man hatte, außer Kraft | |
gesetzt worden. Dennoch könne die Politik aktiv werden: Das zeige das | |
derzeitige Bemühen um 500 Wohnungen an der Weberwiese, die von einem | |
privaten Eigentümer nun einzeln veräußert werden sollen. | |
Die „akute Verdrängungsgefahr trifft Mieter:innen in der ganzen Stadt“, | |
sagt Hanna. Für die Demo hofft sie auf 1.000 Teilnehmer:innen. Vier Jahre | |
ist es her, als 40.000 Menschen an einer Demo vom Mietenwahnsinn-Bündnis | |
teilnahmen. Warum das Mobilisierungspotential inzwischen geringer ist? | |
Neben den Einschlägen durch Corona sei es vor allem die Wegnahme der | |
politischen Werkzeuge, so Hanna. | |
Die nachholende Verdrängung wird in diesem Jahr ihren Höhepunkt erreichen. | |
Dann fallen in allen Ostbezirken 1.914 einst sanierungsgeförderte Wohnungen | |
aus der Bindung, heißt es in der Antwort des Senats auf die Anfrage von | |
Niklas Schenker. Auch der Verlust der klassischen Sozialwohnungen wird sich | |
fortsetzen. Von noch existierenden 89.000 Wohnungen werden in diesem Jahr | |
5.343 wegfallen. Ein Verlust, der durch Neubau nicht kompensiert wird. | |
30 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Das-Ende-der-Behutsamkeit/!463004/ | |
[2] https://mg-berlin.org/vernetzungen/kieztreffen-pankow/#uagb-tabs__tab3 | |
[3] https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/19/SchrAnfr/S19-13… | |
## AUTOREN | |
Erik Peter | |
Uwe Rada | |
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