| # taz.de -- Rechte bei der Bundestagspolizei: Bursche und Bauernopfer | |
| > Nach einem Rechtsextremismus-Skandal wurde ein neuer Sicherheitschef im | |
| > Bundestag eingesetzt. Der steht politisch selbst rechts außen. | |
| Bild: Norman P. ist Jurist und Burschenschafter – und wurde Sicherheits-Refe… | |
| Berlin taz | Fünf Seiten lang ist der Fragebogen, ganz oben auf der Seite | |
| prangt der Bundesadler. Die Überschrift lautet: „Verwaltungsermittlungen | |
| zum Pressebericht der Tageszeitung (taz)“. Alle Polizist:innen des | |
| Bundestags mussten einzeln zum Gespräch erscheinen und 15 Fragen | |
| beantworten. Fragen wie: „Existieren Chatgruppen der Kolleginnen und | |
| Kollegen?“ oder: „Haben Sie davon gehört, dass jemand den Hitlergruß | |
| gezeigt hat?“ | |
| Im Juli 2021 hatte die taz [1][eine Recherche über Rechtsextremismus bei | |
| der Bundestagspolizei] veröffentlicht. Es ging um einen Reichsbürger in | |
| Uniform, einen Hitlergruß im Reichstagsgebäude und rassistische Aussagen in | |
| Chatgruppen. Der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble kündigte | |
| daraufhin an, den Vorwürfen nachzugehen. Mehr als 200 Beamt:innen wurden | |
| seitdem befragt, darunter sogar 30 ehemalige. Das ist ein ungewöhnlich | |
| großer Aufwand. Hat die Bundestagsverwaltung die Tragweite des Problems | |
| also erkannt? | |
| Wer den Fragebogen und die Ergebnisse der internen Ermittlungen genauer | |
| betrachtet, bekommt Zweifel. Und auch eine aktuelle Personalie zeigt, dass | |
| es offenbar wenig Interesse daran gibt, sich wirklich mit der Problematik | |
| auseinanderzusetzen. Neuer Leiter des Sicherheitsreferats und damit | |
| Vorgesetzter aller Polizist:innen im Bundestag wurde nun ausgerechnet | |
| ein Beamter, der politisch selbst weit rechts verortet ist. | |
| Öffentlich würde die Verwaltung des Bundestags die Sache am liebsten | |
| totschweigen. Die Pressestelle teilt lediglich mit, dass die internen | |
| Ermittlungen inzwischen weitestgehend abgeschlossen seien. Zu eingeleiteten | |
| Disziplinarverfahren wolle man nichts sagen – Datenschutz. | |
| ## Rassistisch und rechtsextrem | |
| Doch was die internen Ermittler:innen nach taz-Informationen | |
| zusammengetragen haben, zeigt, dass es ein Problem gibt: Es wurden fünf | |
| Disziplinarverfahren gegen Bundestagspolizist:innen eröffnet. Bei | |
| zwei der betroffenen Beamten sind die Vorwürfe so schwerwiegend, dass sie | |
| vom Dienst suspendiert sind. Dabei handelt es sich um zwei von der taz | |
| recherchierte Fälle: einen Polizisten, der Mitglied einer | |
| Reichsbürgerpartei war, und einen Beamten, der im Reichstagsgebäude den | |
| Hitlergruß gezeigt haben soll. Gegen diesen hat die Berliner | |
| Staatsanwaltschaft nach taz-Informationen ein Ermittlungsverfahren | |
| eingeleitet. Zudem wird ein Pförtner eines externen Sicherheitsdienstes, | |
| der am Westeingang saß und rassistisch aufgefallen ist, nicht mehr im | |
| Bundestag eingesetzt. | |
| Bei der internen Ermittlung berichteten zudem mehrere Befragte von | |
| rassistischen und rechtsextremen Äußerungen und Handlungen von | |
| Bundestagspolizist:innen. Außerdem von homophoben Äußerungen, in einem Fall | |
| von der Androhung von Schlägen. | |
| In der Bundestagsverwaltung scheint man der Auffassung zu sein, dass mit | |
| der Identifizierung von vermeintlichen Einzelfällen das Problem erledigt | |
| ist. „Pauschale Unterstellungen“, heißt es in einem Vermerk, „sind auch … | |
| Ergebnis der Verwaltungsermittlungen nicht angebracht.“ | |
| Doch so einfach ist die Sache nicht. | |
| Im vergangenen Sommer hatte die damalige Vizepräsidentin des Bundestags, | |
| Claudia Roth, [2][in der taz eine externe Untersuchung der | |
| Bundestagspolizei gefordert]. Doch man entschied sich für eine interne | |
| Aufarbeitung. Der Fragebogen, mit dem die Polizist:innen befragt | |
| wurden, liegt der taz vor. Die Beamt:innen wurden teils sehr suggestiv | |
| befragt. Auf: „Haben Sie beobachtet, wie ein Beamter den Hitlergruß gezeigt | |
| hat?“ folgt die Nachfrage: „Eventuell im Rahmen von Imitation, Rumalbern?“ | |
| Andere Fragen sind so allgemein formuliert, dass darauf keine sinnvollen | |
| Antworten zu erwarten sind. Etwa: „Sind Ihnen sonst | |
| rassistische/rechtsextreme/verfassungsfeindliche Handlungen oder Äußerungen | |
| aufgefallen oder haben Sie davon gehört?“ | |
| ## Auf der Jagd nach Whistleblowern | |
| Es ist vor diesem Hintergrund nicht überraschend, dass alle Befragten | |
| aussagen, dass es keine problematischen Inhalte in Polizei-Chatgruppen | |
| gegeben habe. Eingehend überprüft wurde das nicht. | |
| Die Verantwortlichen interessierten sich besonders dafür, wer die taz über | |
| rechtsextreme Vorfälle bei der Polizei informiert hat. 3 von 15 Fragen | |
| drehen sich darum: „Haben Sie mit der taz gesprochen?“, „Haben Sie | |
| Namen/personenbezogene Daten an die taz oder an Dritte herausgegeben?“ Mit | |
| der letzten Frage werden die Beamt:innen dann sogar implizit dazu | |
| aufgefordert, mögliche Whistleblower zu melden: „Haben Sie eine Erklärung | |
| dafür, wie die Daten nach außen gelangt sind?“ | |
| Statt Polizist:innen darin zu ermutigen, gegen Diskriminierung | |
| einzustehen, entsteht der gegenteilige Eindruck: Die Aufklärung der | |
| Vorfälle ist unerwünscht. Die Pressestelle betont, dass nach der | |
| taz-Veröffentlichung eine interne Vertrauensperson für | |
| Bundestagsmitarbeitende bestimmt wurde. | |
| Der Druck auf Whistleblower:innen jedenfalls steigt: Ein Polizist | |
| berichtet der taz, dass Kolleg:innen sich gegenseitig verdächtigen. Die | |
| Kolleg:innen, gegen die disziplinarisch vorgegangen werde, seien | |
| „Bauernopfer“. An den Strukturen ändere sich nichts, leitende Beamte, die | |
| zum Teil seit Jahrzehnten in den Leitungspositionen seien, blieben auf | |
| ihren Posten. | |
| Bevor der scheidende Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) im Juli | |
| Beamt:innen der Bundestagspolizei zum Gespräch traf, hätten Vorgesetzte | |
| sie angehalten, gegenüber Schäuble nicht über Probleme zu sprechen. So | |
| berichten es Teilnehmer:innen. Dennoch hätten sich vereinzelt | |
| Polizist:innen gemeldet und von diskriminierenden Handlungen und | |
| Äußerungen gesprochen. Daraufhin hätten sich leitende Beamte gemeldet und | |
| ihren Vorrednern widersprochen. | |
| ## Weit rechts stehende Verbindung | |
| Dass es in der Bundestagsverwaltung weiterhin an Sensibilität mangelt, | |
| zeigt auch die schon erwähnte Personalentscheidung: Das Referat ZR3, das | |
| für die Sicherheit im Parlament zuständig ist, hat seit Anfang Dezember | |
| einen neuen Leiter. Dieser ist laut einer internen Beschreibung zuständig | |
| für die „Unterstützung der Präsidentin bei der Ausübung der Polizeigewalt | |
| und des Hausrechts“, er soll auch Abgeordnete in Sicherheitsfragen beraten. | |
| Der Jurist Norman P. ist Anfang 50 und arbeitet seit vielen Jahren in der | |
| Bundestagsverwaltung, zuletzt leitete er ein Personalreferat. Nun ist er | |
| nicht nur für die Polizei im Bundestag verantwortlich, sondern auch für die | |
| Beamt:innen, die an den Pforten entscheiden, wer das Gebäude betreten darf. | |
| Doch ist Norman P. geeignet, die Bundestagspolizei nach einem | |
| Rechtsextremismusskandal zu führen? | |
| Recherchen der taz ergeben, dass Norman P. Mitglied der Berliner | |
| Burschenschaft Gothia ist. Gothia ist eine politisch weit rechts stehende | |
| Verbindung. Sie ist Teil des Dachverbands Deutsche Burschenschaft, den | |
| andere Verbindungen verlassen haben, nachdem extrem Rechte das Ruder | |
| übernahmen. Ins Gothia-Haus wurden unter anderem der Holocaustleugner Horst | |
| Mahler und mehrfach Referenten des Instituts für Staatspolitik eingeladen, | |
| das heute vom Verfassungsschutz beobachtet wird. | |
| Eine Reihe von Mitgliedern sind [3][durch eine Nähe zur völkischen | |
| Identitären Bewegung aufgefallen, es gibt personelle Überschneidungen mit | |
| der AfD]. Norman P. war nicht nur während seiner Studienzeit bei der Gothia | |
| aktiv. Er lebt das Prinzip der Burschenschaft als Bund fürs Leben. Noch | |
| 2020 nahm er nach taz-Recherchen an einem Altherrentreffen der | |
| Burschenschaft teil und wurde als Kassenprüfer wiedergewählt. | |
| Norman P.s Burschenschaftsengagement ist auch deshalb problematisch, weil | |
| er Teil eines Netzwerkes von Gothia-Mitgliedern in der Bundestagsverwaltung | |
| ist. Bereits im vergangenen Jahr hatte die taz unter anderem über einen | |
| Burschenschaftler berichtet, der beim Besucherdienst des Bundestags | |
| arbeitet. Wie Norman P. ist auch dieser Mann Oberstleutnant der Reserve und | |
| zudem Funktionär einer Berliner Reservistenkameradschaft, in der vor allem | |
| Gothia-Leute organisiert sind; er hat Norman P. auch schon mal zum Schießen | |
| eingeladen. Auf Facebook ist der Besucherdienstmitarbeiter der Gruppe „Wir | |
| Deutsche rufen Georg Friedrich von Preußen zum Deutschen König aus“ | |
| beigetreten. | |
| Im Jahr 2013 wurde der damalige Berliner Staatssekretär Michael Büge (CDU) | |
| entlassen, nachdem bekannt wurde, dass er Mitglied von Gothia ist. | |
| Norman P. war früher auch politisch aktiv. Bei der Bundestagswahl 1998 | |
| kandidierte er zusammen mit zwei seiner Bundesbrüder für die | |
| rechtspopulistische Splitterpartei Bund Freier Bürger (BFB), einer Art | |
| AfD-Vorläuferin, euroskeptisch, flüchtlingsfeindlich und nationalistisch. | |
| Wenige Tage vor dem Wahltermin veranstaltete der BFB eine Demonstration | |
| gegen das Holocaust-Mahnmal in Berlin. | |
| ## Zunächst kaltgestellt | |
| Diese Ereignisse sind mehr als 20 Jahre her, und es ist möglich, dass P. | |
| seine politischen Einstellungen seitdem geändert hat. Aber er ist für die | |
| taz nicht zu sprechen. „Wir sehen derzeit keinen Anlass für ein | |
| persönliches Gespräch mit dem neuen Leiter des Referats“, teilt die | |
| Pressestelle des Bundestags mit. Als wir Norman P. anrufen, beendet er das | |
| Gespräch sofort. | |
| Wie bewertet er heute sein Engagement beim Bund Freier Bürger? | |
| Beeinträchtigt sein Engagement für die Burschenschaft Gothia die Aufklärung | |
| bei der Bundestagspolizei? Auf diese schriftlichen Fragen antworteten weder | |
| Norman P. noch die Pressestelle des Bundestags. Nach der taz-Anfrage wurde | |
| Norman P. zunächst kaltgestellt. „Mit Zustimmung des Beamten wird er bis | |
| zur Klärung des Sachverhalts seine Aufgaben nicht wahrnehmen“, teilte die | |
| Pressestelle mit. Damit sei aber ausdrücklich keine Vorverurteilung | |
| verbunden. Die in den Fragen mitgeteilten Informationen zum Hintergrund der | |
| Person seien der Bundestagsverwaltung bisher nicht bekannt. | |
| Die Sicherheitsbeauftragten der Fraktionen wurden bislang nur spärlich über | |
| die internen Ermittlungen informiert – dabei geht es um ihre Sicherheit. | |
| Sie wurden überhaupt erst nach einer taz-Anfrage im Oktober darüber in | |
| Kenntnis gesetzt, dass es eine umfangreiche Befragung der | |
| Bundestagspolizist:innen gibt. Auch über die Ergebnisse erfuhen sie | |
| bislang keine Details. | |
| Irene Mihalic, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im | |
| Bundestag, gibt sich damit nicht zufrieden. Man werde erneut einen Bericht | |
| zu der Sache anfordern, sagte sie der taz. „Die Mitarbeiterinnen und | |
| Mitarbeiter mit sicherheitsrelevanten Aufgaben sowie die Angehörigen der | |
| Bundestagspolizei dürfen keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass sie | |
| mit beiden Beinen fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehen.“ | |
| Wieso hat keiner der Verantwortlichen hingeschaut, wer die Stelle als | |
| Referatsleiter für Polizei und Sicherungsaufgaben bekommt? Diese Frage muss | |
| sich auch die neue Bundestagspräsidentin, Bärbel Bas, gefallen lassen. Die | |
| SPD-Politikerin ist nicht nur politisch verantwortlich für die | |
| Bundestagspolizei, ihr Amtsantritt zog auch eine Personalrochade in der | |
| Parlamentsverwaltung nach sich. „Dieses Haus sortiert gern nach Farben“, | |
| heißt es in der Verwaltung. | |
| Das bedeutet: Wenn das Parteibuch der Präsidentin von Schwarz zu Rot | |
| wechselt, hat das Einfluss auf Leitungspositionen unten in der Hierarchie. | |
| Der überraschende Wahlsieg der SPD führte dazu, dass ein SPDler, der im | |
| Sommer die Arbeit als neuer Referatsleiter der Polizei angetreten hatte, | |
| nun das Büro der Bundestagspräsidentin leitet. Am Ende wurde der CDU-Mann | |
| Norman P. Leiter des Sicherheitsreferats. Bundestagspräsidentin Bas selbst | |
| wollte sich nicht zu der Angelegenheit äußern. | |
| 21 Jan 2022 | |
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