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# taz.de -- Corona-Impfpflicht in der Pflege: Das Gesundheitsamt entscheidet
> Keine Impfung, kein Job: Wer in Pflegeberufen arbeitet, muss bis Mitte
> März geimpft sein. Dennoch könnte ungeimpftes Personal im Dienst bleiben.
Bild: Zum Schutz vulnerabler Gruppen: Im Dezember wurde die Impfpflicht für Pf…
Linda A. ist resigniert. „Am 16. März 2022 bin ich vermutlich meinen Job
los“, sagt die Krankenpflegerin – nach zwölf Jahren auf der
Intensivstation. Nicht, weil sie aufhören will oder es dort keine Arbeit
mehr gäbe. Im Gegenteil, ihre Kolleg*innen und sie betreuen 28
Intensivbetten. A. würde auch gerne weiter dort arbeiten, „ich habe den Job
schon immer gerne gemacht“, sagt sie. Aber sie ist ungeimpft, und laut
Gesetz kann ihr das Gesundheitsamt dann verbieten, weiterhin im
Gesundheitswesen tätig zu sein.
Am 10. Dezember hat der Bundestag [1][eine einrichtungsbezogene Impfpflicht
beschlossen]. Sie gilt für Menschen, die in der Pflege tätig sind. Bis 15.
März müssen sie bei ihren Einrichtungen einen Impfnachweis erbringen. Was
bedeutet das für ungeimpfte Pfleger*innen?
Dass es Corona gibt, steht für Linda A. außer Frage. „Ich habe zuhauf
Coronapatienten betreut und gehöre auch nicht zu den Querdenkern“, betont
sie. Die Abgrenzung ist ihr wichtig. Grundsätzlich habe sie auch nichts
gegen Impfungen – „aber, ich habe Angst vor der mRNA-Impfung und ihren
Nebenwirkungen“. Sie zweifelt gleichzeitig auch an der Impfeffektivität.
Die Kosten-Nutzen-Rechnung gehe für sie nicht auf. Deswegen wolle sie sich
nicht impfen lassen, selbst wenn davon ihr Job abhängt.
Zwar ist die deutliche Mehrheit des Personals in der Pflege geimpft, aber
wie Linda A. wollen sich auch einige andere nicht impfen lassen. Mit
impfskeptischen Kolleg*innen in der Klinik habe sie sich bereits
vernetzt. Im Internet finden sich Dutzende Annoncen von ungeimpften
Pflegekräften, die nach neuen Jobs suchen. In manchen [2][Einrichtungen in
Sachsen soll die Hälfte der Mitarbeiter*innen] nicht geimpft sein.
Auch andere Mitarbeiter*innen, zum Beispiel in den Küchen, müssen sich
impfen lassen. Wenn alle Betroffenen ab dem 16. März nicht mehr arbeiten
dürften, könnte das die Personalnot im Gesundheitssektor weiter verstärken.
## „Ermessen im Einzelfall“
Aber werden zum Stichtag alle ungeimipften Krankenhausmitarbeiter aus dem
Dienst ausscheiden? Das ist eher unwahrscheinlich. Zwar tritt dann die
einrichtungsbezogene Impfpflicht in Kraft, aber die Arbeitsverträge von
ungeimpften Pflegekräften lösen sich an diesem Tag dennoch nicht in Luft
auf. Wer dann beispielsweise in Krankenhäusern, Tageskliniken oder einem
Pflegeheim arbeitet und der Leitung noch keinen Impfnachweis vorgelegt hat,
muss mit Ermittlungen durch das Gesundheitsamt rechnen. Das kann
Betroffenen dann untersagen, die Einrichtung zu betreten oder für sie zu
arbeiten, wenn die Mitarbeiter*innen trotz Aufforderung keinen
Nachweis vorlegen.
Die Einrichtungen dürfen zudem ab dem 16. März niemanden ohne Impfnachweis
mehr einstellen. Das Gesetz verpflichtet die Einrichtungen weiterhin dazu,
dem Gesundheitsamt Personal ohne Nachweis zu melden. Kommen sie dieser
Verpflichtung nicht nach, müssen sie mit Geldbußen von bis zu 2.500 Euro
rechnen.
Doch auch der Bundesregierung dürfte klar sein, dass die Pflege jede
Arbeitskraft braucht. Das Bundesgesundheitsministerium teilte der taz mit,
dass auch bei Nichtvorlage „keine Verpflichtung zur Freistellung von
Bestandspersonal durch die Leitung der Einrichtung oder des Unternehmens“
bestehe. Stattdessen entscheide das zuständige Gesundheitsamt „nach
pflichtgemäßem Ermessen im Einzelfall über die weiteren Maßnahmen“ wie
Betretungs- oder Tätigkeitsverbote und werde „dabei auch die
Personalsituation in der Einrichtung berücksichtigen“. Heißt: Automatisch
verliert niemand seinen Job. Über den konkreten Fall lasse sich bisher aber
nur spekulieren und der hänge dann auch von den jeweiligen
Gesundheitsämtern ab, schreibt das Bundesgesundheitsministerium. Linda A.
hofft, dass sich ihre Vorgesetzten dafür einsetzen, dass sie weiter ins
Krankenhaus kommen kann.
## Um vulnerable Gruppen zu schützen
Der Personalmangel ist kein neues Problem, sondern belastete die Pflege
schon vor der Pandemie, gibt Kordula Schulz-Asche zu bedenken. Die grüne
Bundestagsabgeordnete gehört zur Arbeitsgruppe Gesundheit. „Jahrzehntelange
schwere Arbeitsbedingungen und geringe Bezahlung“ hätten dazu beigetragen,
dass viele die Pflegeberufe verlassen. Das Problem nun allein auf die
Dauerbelastung mit Covid-19 oder auf die Impfpflicht zurückzuführen, halte
sie für falsch.
Linda A. stimmt zu, dass die stationäre Pflege schon vor Ausbruch der
Pandemie ein anstrengender Beruf war. Aber während der Covid-Krise habe
sich der Arbeitsalltag im Krankenhaus verschärft, berichtet sie: „Anfangs
fehlten die nötigen Schutzmittel. Ewig mussten wir ein und dieselbe Maske
tragen, bis sie nur noch durchnässt war.“ Kolleg*innen im Haus hätten
auch arbeiten müssen, obwohl sie sich als Kontaktpersonen eigentlich in
Quarantäne hätten begeben müssen. Auf die Pfleger*innen konnte die
Gesellschaft nicht verzichten.
Die für schwere Coronaverläufe besonders anfälligen Gruppen, Menschen mit
Vorerkrankungen oder in einem höheren Alter, sind auch ohne Corona
besonders auf die Pfleger*innen angewiesen. Damit sich die vulnerablen
Patienten nun nicht bei ihren Betreuern anstecken, sei eine hohe Impfquote
aus „medizinisch-epidemiologischer Sicht“ nötig, steht [3][im
Gesetzesantrag] für die einrichtungsbezogene Impfpflicht.
Der Bundestag nahm ihn mit großer Mehrheit an. Auch Kordula Schulz-Asche
stimmte mit Ja. Aus wissenschaftlicher Perspektive gäbe es keine Bedenken
gegenüber den Covid-Impfstoffen. Medizinisch gebildetes Personal müsse das
eigentlich wissen. Pflegekräfte, die sich nicht auf den Stand der
Wissenschaft stützten, „sollten nicht mehr in menschennahen Bereichen
eingesetzt werden“.
Wie viele Menschen in der Pflege bisher noch keine Impfspritze bekommen
haben, lässt sich nicht genau beziffern. Laut dem Coronamonitor des RKI ist
die Impfquote beim Pflegepersonal nicht höher als in anderen Berufen – etwa
eine von zehn Personen ist nicht geimpft.
Allerdings liegt die Befragung bereits ein paar Monate zurück. Es könnte
mittlerweile noch weniger Ungeimpfte geben. Andererseits geht das RKI davon
aus, dass ein höherer Anteil nicht geimpft ist. Belegen lässt sich das
nicht, aber der statistische Effekt der sogenannten sozialen Erwünschtheit
könnte eine Rolle spielen. Menschen antworten bei Befragungen nicht immer
wahrheitsgetreu, sondern orientieren sich manchmal an dem, was sie für
gesellschaftlich erwünscht halten. In diesem Fall: Sie geben an, sie wären
geimpft, obwohl sie es nicht sind.
## Besuch darf ungeimpft bleiben
Viele Ungeimpfte in der Pflege, die die taz kontaktiert hat, wollten sich
nicht dazu äußern. Der Druck auf sie sei hoch, erzählt Eric Kipal. Er
leitet ein Altenheim und möchte sich ebenfalls nicht impfen lassen und auch
nicht mit seinem echten Namen in der Zeitung zitiert werden, aus Sorge,
dass sein Arbeitgeber den Artikel lesen und ihn benachteiligen könnte.
Darum wurde sein Name in diesem Artikel geändert.
Er habe „mehr Respekt vor den Impf-Nebenwirkungen“ als vor der Krankheit,
sagt Kipal. Natürlich kenne er die offiziellen Statistiken, dass die
Risiken bei einer Erkrankung viel höher liegen. Aber er kenne auch andere
Zahlen aus dem Internet. „Was stimmt, weiß ich auch nicht.“ Außerdem sei …
für ihn nicht verständlich, warum das Pflegepersonal geimpft sein müsse,
ihre Patient*innen oder deren Besuch aber nicht.
Letzteres sieht auch die Gewerkschaft Verdi kritisch. Es stoße bei nicht
wenigen – auch geimpften – Beschäftigten auf Unverständnis, dass
ausgerechnet diejenigen in die Pflicht genommen würden, die in der Pandemie
bereits vielfach rund um die Uhr über ihre physischen und psychischen
Grenzen gehen mussten, sagte ein Verdi-Sprecher der taz. Zum Schutz der
vulnerablen Gruppen sei es erforderlich, dass alle Menschen schnell und
unkompliziert Impfungen erhalten. Die Impfquote insgesamt zu erhöhen, müsse
das Ziel sein. Das lasse sich allein durch eine einrichtungsbezogene
Impfpflicht nicht erreichen.
Eric Kipal hört auch Bedenken von seinen geimpften Mitarbeiter*innen. Immer
wieder gäbe es dabei Konfrontationen, weil er nicht geimpft ist. Er sei
kein Coronaleugner und kein Impfgegner. Wer den Impfstoffen vertraue, solle
sich impfen lassen. Aber für ihn käme das mit den aktuell verfügbaren
Impfstoffen auf keinen Fall infrage und „deswegen ist unklar, ob ich nach
dem 15. März noch hier arbeiten kann. Aber ich hoffe es.“
## Impfpflicht in anderen Ländern
Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU im Bundestag,
argumentiert hingegen, der Schutz vulnerabler Gruppen habe an dieser Stelle
Vorrang. „Wer in diesem sensiblen Bereich arbeitet, muss das anerkennen“,
findet Sorge. Von ungeimpftem Personal gehe ebenso eine Gefahr für die
Patient*innen aus wie vom Personalmangel. Aber „der Blick in andere
Länder wie Frankreich oder Italien zeigt: Die positiven Effekte der
Impfpflicht im Gesundheitswesen überwiegen deutlich.“
Italien hat bereits im vergangenen Frühjahr eine Impfpflicht für
medizinische Berufe eingeführt. Im November teilte der dortige Verband der
Pflegekräfte mit, dass weniger als ein Prozent der Pfleger*innen in
Italien suspendiert worden seien. Bei den Ärzt*innen sehe es ähnlich aus.
Allerdings entdeckte die italienische Polizei bei Kontrollen im Dezember
rund 300 Fälle, bei denen Ungeimpfte trotzdem im medizinischen Bereich
tätig waren. In der italienischen Tageszeitung La Repubblica sprach sich
Giampiero Avruscio, der Präsident des nationalen Verbandes der
Krankenhäuser, dafür aus, die ungeimpften Ärzt*innen wieder
zurückzuholen.
In Großbritannien sollte die Impfpflicht schon vor dem Winter eingeführt
werden, wie [4][der Guardian berichtete]. Aber nach Warnungen sei der
Gesundheitsminister Sajid Javid besorgt gewesen, dass zu viele vor der
Hochsaison aus dem Beruf abwandern. Darum verschob er den Termin in den
April 2022. Bis dahin könnte für einige Beschäftigte schon eine vierte
Impfung nötig sein. In Israel bekommen ältere Menschen sie bereits
„effektiv und sicher“, wie Ministerpräsident Naftali Bennett in dieser
Woche öffentlich versicherte.
Doch Linda A. berichtet, selbst ihre geimpften Kolleg*innen seien davon
genervt, nun schon wieder eine Impfung zu bekommen. Auch die ungefährliche,
normale Impfnachwirkung sei bei manchen sehr stark. Sie selbst versuchte im
Dezember auf Ebay Kleinanzeigen einen neuen Job in der Pflege zu finden.
Vielversprechende Angebote habe sie aber keine bekommen.
11 Jan 2022
## LINKS
[1] /Corona-im-Gesundheitswesen/!5818718
[2] /Impfpflicht-in-Gesundheitsberufen/!5821531
[3] https://dserver.bundestag.de/btd/20/001/2000188.pdf
[4] https://www.theguardian.com/society/2021/nov/09/covid-vaccine-to-be-compuls…
## AUTOREN
David Muschenich
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