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# taz.de -- Stressminderung auf Intensivstationen: Licht und Duft im Gerätepark
> Ein Lübecker Apotheker propagiert sanfte Methoden, um den Stress für
> Intensivpatient*innen zu verringern und so die Heilung
> voranzubringen.
Bild: Viel Technik, viel Lärm und Stress: Ein Intensivplatz am Sana Klinikum O…
Neumünster taz | Maschinen piepen schrill, Türen gehen zischend auf und zu,
Stimmen schallen: Der Lärmpegel auf einer Intensivstation ist hoch, damit
auch das [1][Stresslevel] der Patient*innen. Der Lübecker Apotheker Jörg
Riedl schlägt Lösungen vor, die den Schwerstkranken helfen und kaum Geld,
sondern nur einige Vorurteile kosten.
Massagen mit Bergamottöl, Jasminduft im Krankenzimmer, wärmende oder
kühlende Wickel – als Jörg Riedl vor zehn Jahren mit solchen Vorschlägen
auf die Intensivstation des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH)
kam, sah er in skeptische Mienen mit hochgezogenen Augenbrauen: „Die
Kollegen dachten wohl, wir wedeln mit Häckeldeckchen und machen
Schamanismus“, sagt der 51-Jährige, der im Universitären Krebszentrum Nord
in Lübeck als Stationsapotheker arbeitet. Inzwischen hat er alle
Beteiligten davon überzeugt, dass solche sanften Methoden gut in den
Gerätepark der Intensivstation passen.
Seine Erfahrungen und allgemeine Studien zum Thema hat er in einem
Fachartikel zusammengefasst: „Palliative komplementäre Maßnahmen auf der
Intensivstation – alles Voodoo oder sinnvolle Ergänzung der Therapie?“ Die
Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin
(DIVI) und der Deutsche Ärzteverlag haben den Aufsatz mit einem Preis
ausgezeichnet, weil der Text „interdisziplinäre Ansätze und Schnittstellen
der intensivmedizinischen Berufsgruppen“ zeige, wie es bei der
Preisverleihung hieß.
Riedl, der auch zur Ethikkommission des Uniklinikums gehört, ist als
Stationsapotheker eng in die Abläufe auf der Intensivstation eingebunden.
Sein Schwerpunkt liegt bei der Versorgung von Krebskranken, bei denen nicht
mehr die Heilung, sondern ein schmerz- und angstfreies Sterben im Zentrum
steht. „Es geht um Symptomlinderung“, sagt Riedl.
Dazu braucht es manchmal einen Aufenthalt auf der Intensivstation, und der
ist – gerade für Schwerstkranke und Hochbetagte – anstrengend, schreibt
Riedl in seinem Aufsatz: Neben „akustischen, optischen und olfaktorischen
Störfaktoren“ liegt das besonders an den „Interaktionen“, etwa „das Er…
von Vitalparametern, die Medikamentenapplikation, das Absaugen und die
Anlage neuer Venenzugänge“.
Mehr als acht Mal pro Stunde tritt eine Pflegekraft oder Ärzt*in ans Bett,
nachts genauso wie tagsüber. Eine Studie, die 50
Intensivpatient*innen auf vier Intensivstationen 147 Nächte lang
beobachtete, registrierte „in der gesamten Zeit nur neun ununterbrochene
Episoden von zwei bis drei Stunden Schlaf“, schreibt Riedl. „Neben Lärm
könnten auch Schmerzen, depressive Verstimmungen und Medikamente den
Schlaf-Wach-Rhythmus verändern, die Schlafqualität mindern und
Schlafstörungen verursachen.“
Die Folgen sind fatal, zeigen weitere Studien: Wer schlecht schläft, ist
erschöpft, gestresst – und das wirkt sich körperlich aus. So heilen Wunden
schlechter und es dauert länger, bis die Kranken sich erholen. Ältere
geraten in Verwirrungszustände.
In der Intensivmedizin habe das früher kaum eine Rolle gespielt, sagt
Riedl: „Das ist Hightech, die Spitze dessen, was mit technischer
Unterstützung möglich ist. Die primäre Aufgabe ist, den Menschen am Leben
zu erhalten.“ Spätfolgen, auch wenn sie jahrelang andauern, seien da
zunächst unwichtig, „Beifang“ sozusagen. Doch das Bewusstsein wandle sich,
weiß Riedl, der auch Kurse für [2][Palliativversorgung] abhält: „Früher
waren dort die Intensivmediziner so selten wie karierte Maiglöckchen, heute
nehmen sie regelmäßig teil.“
Ein Grund könnte sein, dass dank des medizinischen Fortschritts immer mehr
Menschen auf der Intensivstation liegen, bei denen es nicht mehr um Heilung
geht: Hochbetagte und Schwerstkranke. „Für sie geht es darum, das Leben zu
erleichtern, nicht zu retten“, sagt Riedl. „Sicher kann ich jeden mit
Medikamenten ruhigstellen, aber das wünscht der Patient meist nicht.“
## Neuseeland ist weiter
So kommen die sanften Hilfen ins Spiel: Blumenduft und Öle, beruhigende
Farben und Musik, „intelligente“ Geräte, die nicht laut Alarm geben, und
Abläufe, die den Kranken mehr Ruhepausen gönnen und Angehörige einbinden:
„Wenn die zum Beispiel die Hände der Kranken massieren, haben sie das
Gefühl, helfen zu können, das mindert auch ihren Stress“, sagt Riedl.
Dass er als Apotheker auf die Kraft von Düften und Ölen setzt, sei nicht
ungewöhnlich: „Sicher haben Heilpflanzen im Lauf der Zeit an Bedeutung für
die Behandlung verloren, aber das Wissen darum ist eine Kernsäule unserer
Ausbildung und des Berufs.“ Allerdings fehle oft die „Transformation in der
Praxis“.
Er selbst hat seine erste Erfahrungen mit komplementären Methoden im
Intensivbereich in Neuseeland gesammelt: „Ich stand da als junger Apotheker
und habe dumm geguckt, was die da alles machen.“
## Keine Kraft für eine Umstellung
Aktuell seien die meisten Intensivstationen durch die Versorgung der
Coronapatient*innen zu sehr belastet für Umstellungen, sagt Riedl.
Dennoch lautet sein Tipp für Krankenhäuser, sich auf das Thema einzulassen.
Oft seien die Pflegekräfte, die die meiste Zeit am Krankenbett verbrächten,
besonders offen. „Es ist wichtig, die Pflege hinter sich zu haben“, weiß
Riedl. Aber er weiß auch, dass jede Änderung im System auf Widerstände
stößt. „Es braucht immer eine Person, die das Thema vorantreibt, am besten
jemanden mit kommunikativen Fähigkeiten, Fachwissen und Erfahrung.“
Sinnvoll sei es, nicht sofort alles zu ändern, sondern mit kleinen Zielen
zu beginnen. Damit ließe sich auch die Geschäftsführung überzeugen: „Mit
kleinen Mitteln lässt sich viel erreichen. Ein Aromaöl kostet schließlich
nur ein paar Euro.“
10 Jan 2022
## LINKS
[1] /Folgen-der-Coronakrise/!5788021
[2] /Neuer-Studiengang/!5766034
## AUTOREN
Esther Geißlinger
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