| # taz.de -- Verhandlungen mit Russland: Angst vor dem Bazillus der Revolution | |
| > Welches Ziel auch immer Putin verfolgt – er dürfte das genaue Gegenteil | |
| > erreichen. Russland treibt seine Nachbarstaaten in die Arme der Nato. | |
| Bild: Warten auf den Nato-Beitritt? Ukrainischer Soldat im Gebiet Donezk an der… | |
| Moskau will seine Truppen von der Grenze zur Ukraine abziehen, | |
| vorausgesetzt allerdings das westliche Verteidigungsbündnis geht in | |
| Vorleistung und verpflichtet sich zu rechtlich verbindlichen | |
| Sicherheitsgarantien. Will heißen: keine weitere Aufnahme ehemaliger | |
| Sowjetrepubliken in die Nato nebst Reduzierung militärischer Aktivitäten in | |
| den osteuropäischen und baltischen Staaten sowie Verzicht auf die | |
| Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen in Europa. | |
| [1][Ein Non-starter.] Sollte sich die Nato darauf einlassen, könnte sie | |
| gleich dichtmachen. Sie würde Russland de facto ein Vetorecht über künftige | |
| Entscheidungen einräumen. Tatsächlich stehen die im Fall ehemaliger | |
| Sowjetrepubliken gar nicht zur Disposition. Wer über gesunden | |
| Menschenverstand verfügt, weiß: Ein Nato-Beitritt der Ukraine oder | |
| Georgiens ist aktuell indiskutabel. | |
| Ohne Frage: Russland hat, wie jeder andere Staat auch, berechtigte | |
| Sicherheitsinteressen. Und subjektive Ängste vor der Einkreisung des | |
| eigenen Imperiums, die es ernst zu nehmen gelte, wie es unlängst in einem | |
| Kommentar in der taz hieß. Daher spreche nichts dagegen, wenn Nato und die | |
| Vereinigten Staaten gegenüber Russland weitgehende Sicherheitsgarantien | |
| abgäben, was die Unverletzlichkeit der russischen Landesgrenzen betreffe, | |
| heißt es dort weiter. | |
| Zu glauben, ein derartiger Schritt könne Russlands Position beeinflussen, | |
| ist gelinde gesagt naiv. Denn die von der Nato geforderten Garantien sind | |
| in Wahrheit nur eine vornehme Umschreibung dessen, worum es Moskau wirklich | |
| geht: einen Freifahrtschein, um in seinen ehemaligen Bruderstaaten zu tun | |
| und zu lassen, was es will. | |
| Oder anders gesagt: die größte geopolitische Katastrophe des 20. | |
| Jahrhunderts, als die Russlands Präsident Wladimir Putin den Zerfall der | |
| Sowjetunion einst bezeichnete, so weit es geht rückgängig und | |
| Absetzbewegungen ehemaliger Satelliten in Richtung Westen zunichte zu | |
| machen. Wie das in der Praxis aussieht, musste die Ukraine mit der Annexion | |
| der Krim 2014 und dem andauernden Krieg in der Ostukraine, der über | |
| 13.000 Menschen das Leben gekostet hat, leidvoll erfahren. Und nicht nur | |
| sie. | |
| ## Festgefahrene Positionen | |
| So verschiebt sich die Grenze zwischen Südossetien und Georgien immer | |
| weiter in georgisches Kernland. Achtung vor Souveränität, territorialer | |
| Integrität, Selbstbestimmung? Fehlanzeige. Die [2][USA, die Nato, die OSZE | |
| und Russland] haben diese Woche miteinander gesprochen – ohne Ergebnis. Ein | |
| Dialog sieht anders aus. Die Positionen sind festgefahren. Auf russischer | |
| Seite schwingt immer ein und dasselbe Narrativ mit. | |
| Da ist von „farbigen Revolutionen“ die Rede, die der Westen angezettelt | |
| habe – mit dem Ziel auch Russland zu destabilisieren. Auch für die jüngsten | |
| Unruhen in Kasachstan sind die „Hauptschuldigen“ ausgemacht: in | |
| Terrorlagern im Ausland ausgebildete Kämpfer. Beweise? Wie immer keine. Er | |
| werde keine „Farben-Revolutionen“ in ehemaligen Sowjetstaaten tolerieren, | |
| sagte Putin in Moskau. Ein Ausdruck der Angst, der „Bazillus der | |
| Revolution“ könne auf Russland überspringen. | |
| Da, wo die Softpower nur aus den Gewehrläufen kommt, bleiben Reaktionen | |
| nicht aus. Ein Beitritt zur Nato war in der Ukraine in der Bevölkerung | |
| lange Zeit nicht mehrheitsfähig. Seit 2014 hat sich das grundlegend | |
| geändert. Russlands militärische Muskelspiele an der Grenze zum Nachbarn | |
| dürften diesen Trend weiter verstärken. Auch dass in Schweden und Finnland | |
| über einen Nato-Beitritt diskutiert wird, spricht Bände. | |
| Schließlich hat auch Helsinki so Erfahrungen mit der „Finnlandisierung“ | |
| seiner Außenpolitik gemacht, die Absprachen mit Moskau bei wichtigen | |
| Entscheidungen erforderte. Trotzdem droht, fordert und provoziert Russland | |
| weiter. Unmittelbar nach den Gesprächen hielt das russische Militär neue | |
| Manöver ab. Zudem sieht Moskau vorerst keinen weiteren Gesprächsbedarf in | |
| Sachen Ukraine. | |
| Keine guten Voraussetzungen für eine Fortsetzung des Dialogs, den | |
| Politiker*innen wie die [3][grüne Außenministerin Annalena Baerbock] | |
| richtigerweise einfordern – auch wenn in diesem Machtpoker der EU | |
| allenfalls eine Statistenrolle zukommt. Solange geredet wird, besteht | |
| Hoffnung, dass die Waffen schweigen. Die Leidtragenden einer Eskalation | |
| wären zuallererst die Menschen in der Ukraine. | |
| 15 Jan 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-973043.html | |
| [2] /Nach-US-Russland-Treffen-in-Genf/!5825173 | |
| [3] https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/baerbock-blinken-treffen-russland… | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Oertel | |
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