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# taz.de -- SPD-Fraktionschef über russische Ängste: „Die Nato bietet keine…
> SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warnt vor einem Konfrontationskurs mit
> Russland – und träumt von Allianzen ohne Militär.
taz: Herr Mützenich, was ist bei [1][der Ampel] anders als bei der Großen
Koalition?
Rolf Mützenich: Wir sprechen auf Augenhöhe und arbeiten gemeinsam.
Das war mit der Union nicht so?
Die Union hat uns gegenüber immer klar gemacht, dass sie die stärkste
Fraktion ist, und damit unnötige Konflikte provoziert.
Die größte Fraktion ist jetzt die SPD. Ist Augenhöhe da das richtige Wort?
Wir wollen [2][den Koalitionsvertrag] zusammen erfolgreich umsetzen. Dafür
brauchen wir alle Abgeordneten aus den drei Ampelfraktionen. Dass die
SPD-Fraktion qualitativ und quantitativ besonders stark ist, muss kein
Nachteil sein.
Die Grünen mussten – [3][Stichwort Tempolimit, Nord Stream 2] und EU-Siegel
für Atomkraft – eine Menge einstecken. Tun Ihnen die Grünen leid?
Mitleid ist keine politische Kategorie. Aber ich kann verstehen, dass der
Weg aus der Opposition in die Regierung schwierig ist. Das ist mitunter ein
harter Realitätsschock.
Stört Sie an der Ampel etwas?
Nein, es gibt keine Störgeräusche.
Was wird mit der Impfpflicht? Kommt die noch?
Wenn es nach der Mehrheit der Mitglieder meiner Fraktion geht – ja. Wir
hatten am Dienstag eine ausführliche, offene Debatte mit Expertinnen und
Experten über ethische und rechtliche Fragen der Impfpflicht. Ich rechne
damit, dass viele Kolleginnen und Kollegen einen Gruppenantrag für die
Einführung einer Impfpflicht unterstützen werden, dem sich auch viele
Abgeordnete vonseiten unserer Koalitionspartner anschließen können. Wir
sind dazu in einem engen, respektvollen Austausch.
Aber wann gilt die Impfpflicht?
Das muss gut überlegt und vorbereitet sein. Wir müssen genügend Impfstoff
bereithalten, und wir werden vor der Impfpflicht eine Informationskampagne
machen. Auch die auf Einrichtungen des Gesundheitssystems bezogene
Impfpflicht, die wir Ende 2021 beschlossen haben, tritt ja erst am 15. März
in Kraft.
Das klingt nach sehr lange …
Die Impfpflicht wird rechtzeitig in Kraft treten, um eine weitere Welle der
Pandemie im Verlauf dieses Jahres zu kontrollieren und vielleicht sogar zu
verhindern.
Also im Herbst?
Ohne ein konkretes Datum zu nennen: Die Impfpflicht wird früh genug kommen,
um zu verhindern, dass sich Situationen wie in den letzten beiden Wintern
wiederholen. Wir müssen in eine endemische Lage kommen.
Olaf Scholz hatte die Impfpflicht schon für März angekündigt.
FDP-Justizminister Buschmann forderte eine schnelle Entscheidung, Grüne wie
Britta Haßelmann wollen mehr Zeit. Warum gibt die Ampel bei der Impfpflicht
so ein konfuses Bild ab?
Das sehe ich völlig anders. Wir führen eine sachliche, ehrliche Debatte
über einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff, der aber ein wirksames
Mittel ist, um die Pandemie in Zukunft in den Griff zu bekommen.
Bundeskanzler Scholz hat gesagt, dass wir diesen Prozess im März im
Bundestag abschließen wollen. Das ist auch mein Ziel.
Omikron verbreitet sich so schnell, dass es sich im März schon erledigt
haben kann. Und dann?
Das ist ein Trugschluss. Ich warne davor, Omikron für das Ende der Pandemie
zu halten.
Und wie soll die Impfpflicht konkret aussehen? Gibt es Strafen für
Impfverweigerer?
Es wird Sanktionen geben und einen Bußgeldkatalog.
Bußgeld heißt – am Ende auch Haftstrafen?
Ich will der Ausgestaltung nicht vorgreifen. Die Sanktionen müssen wirksam,
aber auch verhältnismäßig sein.
Wer Bußgelder nicht bezahlt, kann im Gefängnis landen.
Wir werden genau prüfen, welche Sanktionen angemessen sind.
In Italien gibt es eine Impfpflicht für über 50-Jährige. Ist das
nachahmenswert?
Wir sollten uns auf jeden Fall auch mit den Erfahrungen anderer Länder
auseinandersetzen. Wir werden auch sehen, was wir von der auf Einrichtungen
bezogenen Impfpflicht lernen können. Es ist gut, dass wir derzeit noch
einen breiten Ermessensspielraum haben. Aber ich plädiere dafür, dass wir
im Bundestag im März über eine überschaubare Zahl von Anträgen abstimmen.
Dies ist eine Gewissensentscheidung. Die Union sollte das berücksichtigen
und keinem plumpen Oppositionsreflex folgen.
Themenwechsel: Wie gefährlich ist der Konflikt zwischen Russland, der
Ukraine und der Nato?
Das Eskalationspotenzial ist groß und ist vor allem durch Russland
befördert worden. Die Besetzung der Krim war völkerrechtswidrig, kann aber
offensichtlich zurzeit nicht gelöst werden. In der Ostukraine hilft
Russland den Separatisten mit militärischer Ausrüstung und politischer
Unterstützung. Allerdings erfüllt auch die ukrainische Regierung die
Minsker Vereinbarung nicht. Diese hatte sich dort verpflichtet, mehr
Autonomierechte im gesamten Land zuzugestehen. Wir haben es also mit einer
sehr komplexen, konfliktreichen Gemengelage zu tun.
Putin betont immer wieder, dass die Nato Russland einkreise. Ist da was
dran?
De facto gibt es diese „Einkreisung“ nicht. Gleichwohl sollten die
Nato-Länder beachten, dass diese Ängste in Russland sehr wohl seit Langem
existieren. Wir sollten diese Gedankengänge nachvollziehen, unabhängig
davon, ob wir sie akzeptieren.
Sie verstehen also, dass sich Russland bedroht fühlt.
Gedanklich kann ich die russische Bedrohungsanalyse nachvollziehen, auch
wenn ich sie nicht teile. Die Militärausgaben der Nato sind um ein
Vielfaches höher als die Russlands. Alleine die USA geben mehr als das
Zehnfache für ihr Verteidigungsbudget aus. Die Nato-Raketenabwehrsysteme,
die in Rumänien und Polen angeblich wegen der iranischen Drohung
stationiert wurden, können aus Sicht Moskaus als Teil einer
Erstschlagsdoktrin missgedeutet werden. Auf Nato-Seite mögen wir das anders
sehen, aber Russland sieht es so. Zu alledem gibt es einen ungezügelten,
unkontrollierten Rüstungswettlauf. Darüber müssen die Nato und Russland
sprechen. Wir brauchen dringend Abrüstungsinitiativen.
Welchen Nutzen hat Aggression gegen die Ukraine für Putin?
Ein Teil der Sicherheitsstrategie im Kreml besteht zurzeit darin, außerhalb
des russischen Staatsgebiets Konflikte zu schüren. Putin glaubt mit diesem
Unfrieden außerhalb des eigenen Territoriums mehr Sicherheit zu gewinnen.
Er „zündelt“ nach außen, um seine Macht im Inneren zu konsolidieren. Auch
wenn diese russische Sicherheitspolitik ein Irrweg ist, müssen wir uns mit
diesen Denkkategorien auseinandersetzen und versuchen, sie aufzuweichen.
Das habe ich jedenfalls aus der Entspannungspolitik gelernt.
Zu Putins Taktik gehört: Russland redet gleichrangig mit den USA; Europa
hält er für zweitrangig. Was bedeutet das für Deutschland?
Russland kompensiert mit den Gesprächen „auf Augenhöhe“ mit den USA einen
schon vorhandenen Minderwertigkeitskomplex. Zuerst einmal ist es wichtig,
dass überhaupt geredet wird. Wir sollten zudem beachten, dass die USA für
Europa auch ohne Präsident Trump nicht mehr der Partner sind, der sie mal
waren. Die USA waren zu Beginn bereit, alleine mit Russland zu reden oder
nur mit ganz wenigen Nato-Partnern. Das haben in Deutschland nicht alle auf
dem Schirm. Deutschland sollte sich aber auch nicht klein machen und den
Nato-Russland-Rat, die OSZE und das Minsker Format stärker nutzen. Aber das
Wichtigste ist die Beruhigung und eine Lösung der Krise – egal in welchem
Format.
Wenn Sie sagen, dass nicht alle die Veränderung der USA auf dem Schirm
haben, meinen Sie Außenministerin Baerbock?
Ich habe das nicht personalisiert. Ich beziehe mich auf manche Debatten in
Deutschland.
Ist die Ampel in der Außenpolitik gespalten?
Es gibt keine Spaltung in der Koalition.
Wer macht denn die Außenpolitik – Scholz oder Baerbock?
Die Außenpolitik wird von der Regierung gemacht im Zusammenspiel von
Kanzleramt, Außenministerium, Bundesministerium der wirtschaftlichen
Zusammenarbeit und dem Verteidigungsministerium bis hin zur Umweltpolitik.
Sie haben kürzlich gesagt: Die Außenpolitik wird im Kanzleramt bestimmt.
Diese Aussage klang für die Grünen nicht nach Augenhöhe.
Und ich kann nur jedem empfehlen, diesen Satz nicht zu überhöhen. Natürlich
gestaltet der Bundeskanzler allein schon durch seine häufigen
internationalen Kontakte die Außenpolitik maßgeblich mit.
Dass Olaf Scholz sich für Außenpolitik interessiert, merkt man öffentlich
bisher nicht.
Was Sie bei Herrn Scholz zu erkennen glauben, kann ich nicht
nachvollziehen. Fest steht: er handelt mit Wissen und Erfahrung in einem
internationalen Kontext. Er hat schon als Finanzminister und Vizekanzler
internationale Vorhaben wie das 750-Milliarden-Euro-Coronaprogramm in der
EU und die globale Mindeststeuer auf den Weg gebracht hat.
Ist Scholz in Bezug auf Russland Taube oder Falke?
Diese Kategorien helfen heute nicht mehr weiter. Der Kanzler schätzt die
Situation realistisch ein und macht sich, ebenso wie ich, große Sorgen
wegen des Eskalationspotenzials.
Der Sicherheitsexperte Wolfgang Ischinger hat kürzlich gesagt: Putin wird
nicht in der Ukraine einmarschieren, weil das Risiko zu groß wäre.
Wenn Ischingers Einschätzung allein auf Putin bezogen ist, dann sehe ich
das ähnlich. Das Problem in diesem Konflikt ist aber, dass auch
nichtstaatliche Akteure und innere Machtkämpfe über das Handeln
entscheiden.
Sie meinen die prorussischen Rebellen im Donbass?
Sowohl auf russischer als auch auf ukrainischer Seite müssen Sie mit
Akteuren rechnen, die eine zusätzliche Konfliktdynamik für sich als
vorteilhaft erachten. Daher meine Sorgen vor einer Eskalation.
Halten Sie zusätzlichen Druck auf den Kreml für sinnvoll? Zum Beispiel die
Drohung, Nord Stream 2 zu beerdigen, wenn Russland noch aggressiver
auftritt?
Der Westen hat der russischen Seite in den letzten Wochen sehr deutlich
gemacht, mit welchen Konsequenzen sie zu rechnen hätte, wenn sie eine
völkerrechtswidrige Intervention betreiben würde. Das ist ein breites
Instrumentarium. Ich kann aber nur davor warnen, sich einzelne Teile daraus
herauszunehmen. Sonst könnte ich auch fordern, dass in Zukunft die USA auf
Öl aus Russland – ihrem drittwichtigsten Lieferanten – verzichten. So
gestalte ich keine kluge Außenpolitik.
Wie kann eine langfristige Lösung des Konflikts mit Russland aussehen?
Wir brauchen perspektivisch eine europäische Friedensordnung unter
Einschluss Russlands – auch wenn dies derzeit noch illusorisch erscheint.
Ich hoffe dennoch auf eine künftige gesamteuropäische Friedensordnung, die
als „pluralistische Sicherheitsgemeinschaft“ Krieg zwischen ihren
Mitgliedern ausschließt und am Ende die Militärbündnisse überwindet.
Also die Überwindung der Nato …
Ein solches Szenario ist für die nächsten Jahrzehnte sicherlich
unrealistisch. Aber ich finde, wir sollten wenigstens damit anfangen, die
alleinige Fixierung auf militärisch-politische Überlegungen zu überwinden.
Wir müssen ja auch zur Kenntnis nehmen, dass selbst die Nato keine
hundertprozentige Garantie mehr für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie
bietet – wenn sie es denn je tat.
Sie meinen die Türkei …
… und auch Polen, Ungarn und die USA unter Trump. Wir sollten alle
gemeinsam daran arbeiten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit weltweit zu
stärken und regionale und internationale Friedensordnungen zu etablieren,
unter deren Schirm sich alle versammeln können.
12 Jan 2022
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## AUTOREN
Stefan Reinecke
Tobias Schulze
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