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# taz.de -- Gespräche zwischen USA und Russland: Strategische Gegnerschaft
> In Genf beraten die USA und Russland über die Ukraine. Von der Illusion
> einer „strategischen Partnerschaft“ haben sich beide längst
> verabschiedet.
Bild: Zwischen Ost und West: Bewaffnete ukrainische Kräfte in der ostukrainisc…
Moskau taz | Zweimal ließ Moskau im vergangenen Jahr Militär an der Grenze
zur Ukraine aufmarschieren. Bis zu 100.000 Mann sollen aktuell
bereitstehen. Sie dienen als Drohkulisse, könnten aber auch jederzeit als
Interventionsarmee eingesetzt werden. Am Sonntagabend hat in Genf ein
Krisentreffen zwischen den USA und Russland zur Beilegung des
Ukrainekonflikts begonnen. Für Montag ist ein Austausch zwischen Russlands
Vize-Außenminister Sergej Rjabkow und seiner US-Amtskollegin Wendy Sherman
geplant.
Moskau verlangt von der Nato Sicherheitsgarantien, die dem
Selbstverständnis des Verteidigungsbündnisses zuwiderlaufen. So soll es
zusagen, die Ukraine nicht aufzunehmen. Bislang können Staaten aber selbst
entscheiden, ob sie dem Bündnis angehören wollen. Russland hofft, in seinem
Umfeld wieder einen Sicherheitscordon zu schaffen, in dem die umliegenden
Länder nur begrenzt Souveränität genießen. Damit erhebt Moskau fast 80
Jahre nach der Konferenz von Jalta erneut den Anspruch auf eine umfassende
Einflusszone, die als Puffer zu Westeuropa dient.
Nach dem Zusammenbruch der UdSSR 1991 und der Wiedervereinigung
Deutschlands sind sowjetische und russische Herrschaftsansprüche nicht ad
acta gelegt worden. In den Wirren des Umbruchs schwelten sie vor sich hin.
Dennoch akzeptierte das neue Moskau unter Präsident Boris Jelzin die
Aufnahme ehemaliger Mitglieder des aufgelösten östlichen
Verteidigungsbündnisses, des Warschauer Pakts: Ungarn, Polen und später
Tschechien wurden schließlich 1999 in die Nato aufgenommen.
Moskau hatte dem zugestimmt unter der Bedingung, dass das Verhältnis
zwischen der Nato und Russland auf neue Fundamente gestellt wird. Dies
geschah durch die Aushandlung der „Nato-Russland-Grundakte“ ab 1996. Der
Kompromiss: Eine Nato-Erweiterung kann stattfinden, jedoch werden die
Truppen sowie die Stationierung nuklearer Waffen in den neuen
Mitgliedstaaten beschränkt. Darüber hinaus wurde als beratendes Gremium der
Nato-Russland-Rat gegründet.
## Maximal drei neue Nato-Mitglieder
Lange belastete das Gerücht die Beziehungen zu Russland, der Westen habe
nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 zugesagt, das westliche
Militärbündnis nicht zu erweitern. Zu jenem Zeitpunkt hatten die drei
baltischen Staaten die UdSSR jedoch noch nicht verlassen und auch das
Bündnis des Warschauer Pakts bestand weiter.
Über Staaten, die es noch nicht wieder gab, oder potenzielle
Aufnahmeanträge konnte und wurde damals nicht entschieden. Die
innenpolitische Stimmung wurde und wird durch die vermeintliche
Nichteinhaltung westlicher Versprechungen in Russland jedoch regelmäßig
angeheizt. Auch Präsident Wladimir Putin hat sich wiederholt daran
beteiligt, als er den Westen als nicht verlässlich und vertragstreu
darstellte.
Mit der Nato-Russland-Grundakte stimmte Russland einer Nato-Osterweiterung
auch schriftlich zu. Die erste Erweiterungsrunde tagte 1997 auf dem
Nato-Gipfel in Madrid. Die USA wollten maximal drei neue Mitglieder
aufnehmen: Polen, Ungarn und Tschechien.
Zu harschen Verstimmungen kam es mehr als zehn Jahre später auf dem
Nato-Gipfel in der rumänischen Hauptstadt Bukarest im April 2008. Die
US-Regierung unter George W. Bush plädierte für eine Aufnahme der Ukraine
und Georgiens. Berlin und Paris lehnten den Vorstoß ab. Womöglich war
Wladimir Putins erboste Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 der
Grund für die deutsch-französische Ablehnung. „Keinen Schritt weiter!“,
hatte der Kremlchef gedroht.
Die USA ließen sich jedoch keine Vorschriften machen und ignorierten die
Warnung aus Moskau. In einer Kompromissformel ohne Aufnahmedatum und
weitere Aufnahmeschritte einigte man sich in Bukarest in Bezug auf die
Ukraine und Georgien auf die Formel: „Diese Länder werden Mitglieder der
Nato werden.“
Berlin und Paris waren zufrieden, da keine konkreten Zusagen gemacht
wurden. Moskau aber wertete die Formel als eine Mitgliedschaftsperspektive,
die langfristig den Verlust der russischen Einflusssphäre bedeuten würde,
auf die Moskau traditionell Anspruch erhob. Bis heute sind weder Georgien
noch die Ukraine der Nato beigetreten.
## Norwegen hätte ein Vorbild sein können
Bei der Nato-Erweiterung hätten sich auch andere, langsamere oder
behutsamere Wege finden lassen. Oft wird das Beispiel des
Nato-Gründungsmitglieds Norwegen angeführt, das weder fremde Militärbasen
noch nukleare Waffen auf seinem Territorium in Friedenszeiten zuließ. Das
hätte für Osteuropa und das Baltikum Vorbild sein können, um dem in den
neunziger Jahren geschwächten Russland keinen Vorwand für Bedenken zu
liefern. Sowjetexperten im Westen hätten ahnen können, dass die
Großmachtideologien von russischen Vertretern, die den imperialen Anspruch
des Landes nie aufgeben würden, kurz nach der Schwächephase wieder
auftauchen würden.
In den USA setzte sich trotz warnender Stimmen die Haltung durch, Russland
dürfe bei der Nato-Erweiterung keine abgefederte Sonderbehandlung erfahren.
Der Sturm der Duma in Moskau 1993 und der Krieg in Tschetschenien 1994
dienten in den USA als Argument, ihre Eindämmungspolitik über den Kalten
Krieg hinaus auch gegenüber Russland und Boris Jelzin aufrechtzuerhalten.
[1][Das war eine westliche Fehlentscheidung], die jedoch nicht darüber
hinwegtäuschen darf, dass der endgültige Vertrauensbruch erst ab 2008 mit
dem russischen Einmarsch in Georgien einsetzte. Dieser war ein
Paradigmenwechsel seitens Moskaus. Russland trennte die Gebiete Abchasien
und Südossetien von der Republik Georgien ab. Ein Staat mit offenen
territorialen Ansprüchen genießt kein Aufnahmerecht in die Nato.
Ähnlich verfuhr Russland mit der Ukraine. Moskau besetzte 2014 die Krim und
unterstützte separatistische Kreise im Donbass. Der Krieg hat bislang rund
15.000 Todesopfer gefordert. Moskau hat kein Interesse, die Konflikte in
beiden Staaten beizulegen. Sie verhindern das Abdriften in die Obhut der
Nato und sichern zudem den territorialen Zusammenhalt der Einflusssphäre.
## Missverständnisse sind kein Zufall
Das Verhältnis zwischen Moskau und dem Westen hat sich längst von der
Illusion einer „strategischen Partnerschaft“ zu einer „strategischen
Gegnerschaft“ gewandelt. Noch 2010 verpflichteten sich Russland und die EU
zur Gründung einer Modernisierungspartnerschaft. Zu diesem Zeitpunkt war
das Verhältnis aber bereits zerrüttet. Missverständnisse und
Fehlwahrnehmungen sind keine Zufälligkeiten, sie beruhen auf
Machtstrukturen des Systems Putin und stellen eine strategische Realität
dar. Der Westen muss darauf eine Antwort finden.
Der Kreml versucht, die europäische Sicherheitsarchitektur zu verändern,
[2][und verlangt, eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine dauerhaft
auszuschließen]. Eine solche Zusage wird Russland nicht erhalten. Auch die
Geschichte auf die Zeit vor 1997 zurückzudrehen, wie es Putin wünscht, wird
nicht gelingen. Auf Abschreckung durch militärische Stärke kann der Westen
nicht verzichten. Auch die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine zu stärken
ist schließlich ein Moment der Abschreckung.
Aufgabe der westlichen Diplomaten wird es sein, Russlands Einwände nicht zu
übergehen und ernsthafte Gegenvorschläge vorzulegen. Ansatzpunkte gibt es
genug. Die Auffrischung der Helsinki-Schlussakte und der Charta von Paris,
die Aktualisierung des Budapester Memorandums von 1994. Auch die Nutzung
des Nato-Russland-Rats zur Krisenbekämpfung wäre denkbar. Klar ist
überdies: Russland möchte mit den USA verhandeln – ohne Europa. Auch dem
muss vorgebeugt werden.
10 Jan 2022
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## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
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