# taz.de -- Kasachstan, die Ukraine und der Westen: Gegen die Logik des Kalten … | |
> Der Umgang mit Putin verlangt Fingerspitzengefühl. Gewalt und Drohungen | |
> sind fehl am Platz. Die Nato sollte Russlands Ängste ernst nehmen. | |
Bild: Auch Soldaten schickt der kasachische Präsident Tokajew zum Einsatz gege… | |
In Kasachstan melden die Behörden 164 Todesopfer, dazu mehr als 2.200 | |
Verletzte und 6.000 Festnahmen. Aber was dort wirklich geschieht, wissen | |
wir immer noch nicht. Handelt es sich um einen spontanen [1][Aufstand], | |
ausgelöst durch erhöhte Autogaspreise? Oder waren die Proteste von langer | |
Hand geplant, etwa durch oppositionelle Kräfte aus dem Staatsapparat oder | |
von Kräften der Zivilgesellschaft? Wie viele Zivilisten kamen ums Leben, | |
und wie viele Polizisten und Militärs? | |
Die autokratischen Herrscher des Landes sind nicht von der Art, dass man | |
ihren Zahlen vertrauen möchte, schon gar nicht aber den Versicherungen, | |
dass es sich bei den Aufständischen um „Terroristen“ handelt. Kasachstan | |
ist ein schwarzes Loch in dieser so eng vernetzten, scheinbar über alle | |
Entwicklungen jederzeit informierten Welt, das sich einer genauen | |
Beurteilung entzieht. | |
Sicher ist allerdings: Für den russischen Präsidenten kommt der Konflikt zu | |
einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Deshalb lässt sich ausschließen, dass | |
Moskau bei der Inszenierung des Aufstands die Finger im Spiel gehabt haben | |
könnte. Die außenpolitischen Anstrengungen von Wladimir Putin – militärisch | |
wie diplomatisch – sind derzeit auf die Ukraine ausgerichtet, die sich nach | |
seinem Willen in einen russischen Hinterhof zurückverwandeln soll und | |
keinesfalls in die Einflusssphäre des Westens geraten möge. | |
Instabile Verhältnisse südlich von Russland kommen da höchst ungelegen, | |
zumal die Gefahr einer demokratischen „Ansteckung“ in den Nachbarländern | |
besteht. Kasachstan zählt zu diesem ziemlich weitläufigen Hinterhof | |
Russlands und ist mit Moskau durch ein gemeinsames Militärabkommen | |
verbunden. Deshalb überrascht es wenig, dass dort nun russische | |
Fallschirmjäger für Ordnung in Putins Sinne sorgen sollen. | |
Die Dominanz Moskaus in Kasachstan ist auch im Westen mehr oder weniger | |
akzeptiert – die Proteste der USA, der Nato und der [2][Europäischen Union] | |
halten sich dementsprechend in Grenzen. Das ist tragisch für die Menschen, | |
die in Almaty gegen die Herrscherclique demonstrieren und die nun in Haft | |
sitzen, festgenommen oder gar zu Tode gekommen sind. Aber internationale | |
Politik fragt wenig nach Menschenrechten. | |
## Putins nostalgische Machtallüren | |
Welchem der wieder entstandenen Blöcke die Ukraine hinzuzuzählen ist, dem | |
Westen oder dem Osten, ist dagegen zwischen den USA und Russland | |
umstritten. Die USA und ihre Unterstützer können sich darauf berufen, dass | |
es jedem Land selbst überlassen bleiben muss, welchem Bündnis es sich | |
anschließen möchte. | |
Tatsächlich erinnert die Vorstellung Russlands, dass der Ukraine dieses | |
Recht im Fall eines Nato-Beitritts entzogen werden sollte, verzweifelt an | |
die Logik des Kalten Kriegs, die die Welt in zwei Machtblöcke aufgeteilt | |
hat. Diese Vorstellung ist aus der Zeit gefallen, impliziert sie doch, dass | |
Weltmächte über Wohl und Wehe des restlichen Globus alleine entscheiden. | |
Sie passt zu Putins Politik, der gerne wieder auf gleicher Höhe wie [3][Joe | |
Biden] sitzen will, als ein Weltmachtführer. | |
Aber die Ukraine hat ein Recht auf Selbstbestimmung, genauso wie Polen, | |
Rumänien oder die baltischen Staaten. Einstweilen steht ein Beitritt der | |
Ukraine zur Nato ohnehin nicht auf der Tagesordnung, dafür hat die | |
russische Seite mit der Besetzung von Krim und Ostukraine selbst gesorgt. | |
Die russische Furcht vor einer Einkreisung des eigenen Imperiums, so | |
irrational sie auch erscheinen mag, muss dennoch ernst genommen werden. | |
Wladimir Putin würde nicht mit dem Säbel rasseln, ginge es ihm lediglich um | |
ein untergeordnetes Problem. Seine Truppenaufmärsche nahe der | |
russisch-ukrainischen Grenze verschlingen Unsummen an Geld, das nicht | |
unendlich zur Verfügung steht. Er riskiert dabei eine Menge. Deshalb ist es | |
einerseits angebracht, dem russischen Präsidenten in der Ukraine seine | |
Grenzen aufzuzeigen. | |
Dass dies nicht mit Gewalt und Drohungen funktioniert, versteht sich von | |
selbst, denn dann begäbe man sich auf eine Stufe mit dem Autokraten. Aber | |
jedes Eingeständnis, dass Moskau bei der Gestaltung der Zukunft eines | |
unabhängigen Landes ein automatisches Mitspracherecht besitzt, entspräche | |
der Negation von Souveränität und der Einmischung in die inneren | |
Angelegenheiten eines Staates. | |
Ein Rechtsprinzip, das ansonsten von autokratischen Systemen immer dann | |
hochgehalten wird, wenn diese die eigene Bevölkerung drangsalieren. | |
Andererseits spricht nichts dagegen, wenn [4][Nato und die Vereinigten | |
Staaten gegenüber Russland] weitgehende Sicherheitsgarantien abgeben, was | |
die Unverletzlichkeit der russischen Landesgrenzen betrifft. Es ist an der | |
Zeit, die subjektiven Ängste der russischen Führung ernst zu nehmen, ohne | |
deshalb einen faulen Kompromiss auf Kosten Dritter einzugehen. | |
9 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Proteste-in-Kasachstan/!5826604 | |
[2] https://www.tagesschau.de/ausland/asien/kasachstan-schiessbefehl-103.html | |
[3] /Konflikt-um-die-Ukraine/!5825545 | |
[4] /US-Sicherheitsexperte-ueber-Ukraine-Streit/!5818612 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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