# taz.de -- Christian Lindners Finanzpolitik: In der Realpolitik angekommen | |
> Corona-Milliarden fürs Klima nutzen: Was Christian Lindner (FDP) als | |
> Oppositionspolitiker ablehnte, setzt er als Finanzminister um. | |
Bild: Zieht ihm das Ministerium bald die Schuhe aus? Christian Lindner (FDP) im… | |
Berlin taz | Man kann sich gut vorstellen, wie Christian Lindner als | |
Oppositionspolitiker auf den Vorschlag reagiert hätte, 60 Milliarden Euro | |
nicht benötigter Corona-Hilfsgelder für künftige Klimaschutzinvestitionen | |
beiseitezulegen. Schließlich hatte die Große Koalition vor eineinhalb | |
Jahren praktisch das Gleiche gemacht und von den zusätzlichen Krediten, die | |
wegen der Coronakrise trotz Schuldenbremse ausnahmsweise zulässig waren, 28 | |
Milliarden Euro in den Energie- und Klimafonds geschoben, ein | |
Sondervermögen des Bundes, aus dem längerfristige Klimainvestitionen | |
bezahlt werden. „Die Bundesregierung verschiebt Steuergelder in | |
Nebenhaushalte und Rücklagen und untergräbt damit den Grundsatz der | |
Jährlichkeit“, hatte sich die FDP-Fraktion unter Lindners Vorsitz damals in | |
einem Entschließungsantrag erregt. Dieses Vorgehen sei „alles andere als | |
generationengerecht und nachhaltig“. | |
Jetzt nutzt die neue Bundesregierung denselben Trick in deutlich größerem | |
Ausmaß: Das Bundeskabinett verabschiedete am Montag einen | |
Nachtragshaushalt, mit dem 60 Milliarden Euro nicht benötigter Coronahilfen | |
in den inzwischen in Klima- und Transformationsfonds umbenannten Sondertopf | |
verschoben werden; noch in dieser Woche soll der Bundestag diesen Nachtrag | |
in erster Lesung beraten. Doch diesmal hat Christian Lindner keinerlei | |
Einwände. Im Gegenteil: „Das ist ein Signal unserer Handlungsfähigkeit“, | |
sagte er am Montag nach der Kabinettssitzung. „Und es ist Ausdruck unseres | |
Gestaltungswillens.“ | |
Gleiche Fakten, gleicher Mann, gegensätzliche Einschätzung: Was auf den | |
ersten Blick verwundert, ist auf den zweiten leicht zu erklären: Im Jahr | |
2020 führte Lindner die zweitgrößte Oppositionsfraktion im Bundestag; 2021 | |
ist er als Minister verantwortlich für die Finanzen der Bundesregierung. | |
Und als solcher hat er ein Problem: Um die anspruchsvollen Klimaschutzziele | |
zu erreichen, muss die Bundesregierung in den nächsten Jahren Hunderte | |
Milliarden Euro zusätzlich investieren. Doch im Wahlkampf hat die FDP | |
Steuererhöhungen ebenso ausgeschlossen wie ein Aufweichen der | |
Schuldenbremse, die die Möglichkeit des Bundes, Kredite aufzunehmen, eng | |
begrenzt. | |
Dass [1][zusätzliche Ausgaben ohne neue Einnahmen oder mehr Schulden] mit | |
den einfachsten Regeln der Mathematik im Konflikt stehen, konnte dem | |
Oppositionspolitiker Christian Lindner egal sein; der Finanzminister | |
Lindner muss dagegen einen Haushalt vorlegen, bei dem die Zahlen am Ende | |
zueinander passen. Darum haben sich mit dem Wechsel ins neue Amt nicht nur | |
Tonfall und Rhetorik von Christian Lindner deutlich verändert. [2][Wie | |
schon in der Coronapolitik], wo viele Positionen der FDP ebenfalls im | |
Widerspruch zur Realität standen und darum kurzfristig aufgegeben werden | |
mussten, hat Lindner auch bei zentralen Positionen einen schnellen Wechsel | |
vollzogen. | |
## Elegante Lösung, die vielleicht nicht verfassungskonform ist | |
Technisch ist die Lösung einfach: Die im Grundgesetz festgeschriebene | |
Schuldenbremse erlaubt dem Bund im Normalfall, neue Schulden maximal in | |
Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufzunehmen. Für das Jahr | |
2021 wären das ungefähr 12 Milliarden Euro. Doch im Fall außergewöhnlicher | |
Krisen kann die Schuldenbremse außer Kraft gesetzt werden. Wegen der | |
finanziellen Folgen der Coronapandemie ist das in den Jahren 2020 bis 2022 | |
der Fall; erst 2023 muss die Schuldenbremse wieder eingehalten werden. Doch | |
weil sich die Wirtschaft schneller erholt hat als erwartet, werden die 240 | |
Milliarden Euro, die der Bund in diesem Jahr aufnehmen darf, gar nicht in | |
vollem Umfang benötigt. | |
Statt auf einen Teil der neuen Kredite zu verzichten, widmet die Regierung | |
diese jetzt um und verschiebt 60 Milliarden Euro in den Klima- und | |
Transformationsfonds. Für die Ampelkoalitionäre ist das eine elegante | |
Lösung, die formal an der Schuldenbremse festhält und trotzdem viel Geld | |
für die Zeit zurücklegt, wenn diese wieder gilt. | |
Doch unproblematisch ist der Plan trotzdem nicht: Denn zum einen ist | |
unklar, ob das Vorgehen, auf das sich die Ampelkoalition im Grundsatz schon | |
in den Koalitionsverhandlungen verständigt hatte, verfassungskonform ist. | |
In Hessen war die Einrichtung eines Corona-Sondervermögens vom | |
Staatsgerichtshof kürzlich für unzulässig erklärt worden. Auch der | |
Bundesrechnungshof hat rechtliche Zweifel am geplanten Vorgehen angemeldet. | |
Der neue Regierungssprecher, Steffen Hebestreit, wies derartige Stimmen am | |
Montag zurück, ohne aber im Detail auf die möglichen rechtlichen Probleme | |
einzugehen. „Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien halten | |
dieses Vorgehen für völlig verfassungskonform“, sagte er lediglich. | |
Um dem Eindruck einer Zweckentfremdung der Coronahilfegelder für den | |
Klimaschutz entgegenzuwirken, betonte der neue Finanzminister am Montag, | |
dass ein enger Zusammenhang zwischen den beiden Ausgaben bestehe. „Wir | |
sehen, dass es aufgrund der Pandemie eine geringere Investitionstätigkeit | |
gibt“, sagte Lindner. Und darauf solle nun durch zusätzliche staatliche | |
Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen reagiert werden, unter anderem in die | |
Wasserstoffwirtschaft. Wann genau die jetzt geparkten Gelder ausgegeben | |
werden sollen, blieb aber offen. | |
Zum anderen droht Gegenwind von der Opposition. Denn CDU und CSU wollen aus | |
Lindners Sinneswandel politisches Kapital schlagen – und haben dazu | |
ebenfalls eine Kehrtwende vollzogen, allerdings genau in die umgekehrte | |
Richtung: „Der Plan von Christian Lindner, 60 Milliarden für die | |
Finanzierung teurer Wahlversprechen abzuzweigen, ist skandalös und | |
verfassungsrechtlich bedenklich“, schrieb CSU-Generalsekretär Markus Blume | |
auf Twitter. Dass seine Partei genau dieses Vorgehen im Pandemiejahr 2020 | |
noch mitgetragen, umgesetzt und verteidigt hat, hat Blume offenbar ebenso | |
schnell vergessen wie Lindner seine bisherige Ablehnung eines solchen | |
Vorgehens. | |
13 Dec 2021 | |
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[1] /Finanzpolitik-unter-Christian-Lindner/!5815522 | |
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## AUTOREN | |
Malte Kreutzfeldt | |
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