| # taz.de -- Florian Toncar über Finanzpolitik: „40 Prozent Staatsquote reich… | |
| > Statt mehr Geld umzuverteilen, soll der Staat die Chancen für alle | |
| > verbessern, fordert der FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar. Helfen sollen | |
| > Entlastungen in Milliardenhöhe. | |
| Bild: Die Steuerpolitik der Ampel: den Reichen nicht zu viel wegnehmen | |
| taz: Unsere Gesellschaft steht vor gigantischen Aufgaben. Der Staat muss | |
| große Summen beispielsweise in den Klimaschutz und das Gesundheitssystem | |
| investieren. Sollte das nicht heißen: Wohlstandszuwächse kommen künftig | |
| eher der Gesellschaft zugute und weniger den Individuen? | |
| Florian Toncar: Wir leben in einer sozialen Marktwirtschaft. Am Anfang | |
| stehen die Ideen, Anstrengungen und Arbeitsleistungen von Menschen. Von | |
| ihnen lebt unser Gemeinwesen, auf sie greift der Fiskus ja schon heute | |
| schon in erheblichem Maße zu. So erreicht die Staatsquote unter normalen | |
| Umständen um die 44 Prozent, wegen Corona jetzt über 50 Prozent. Der Staat | |
| verwaltet rund die Hälfte des Erwirtschafteten oder verteilt es um. Das ist | |
| eher zu viel als zu wenig. 40 Prozent sollten eigentlich reichen. | |
| In den Koalitionsverhandlungen hat die FDP durchgesetzt, dass keine Steuern | |
| erhöht werden. Warum kann man Privathaushalten, die beispielsweise 10.000 | |
| Euro pro Monat verdienen und zwei Wohnungen besitzen, nicht zumuten, etwas | |
| mehr an die Gemeinschaft abzugeben? | |
| Wir haben zu Recht einen progressiven Steuertarif, mit zunehmendem | |
| Einkommen steigt auch der Steuersatz. Auch die von Ihnen erwähnten | |
| Haushalte tragen daher in hohem Maße zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben | |
| bei. Dafür fehlt ihnen manchmal die Anerkennung. Ich finde, wir sollten | |
| eher überlegen, wie wir in Deutschland für alle Menschen die Chancen | |
| verbessern, durch eigene Anstrengung zu Wohlstand zu kommen. Es geht darum, | |
| den Kuchen zu vergrößern, anstatt darüber zu reden, wie man ihn verteilt. | |
| Diese Haushalte würden trotzdem wohlhabender, nur nicht ganz so schnell. | |
| Dass Bürgerinnen und Bürger im Laufe ihres Lebens ihr Vermögen mehren | |
| wollen, um fürs Alter vorzusorgen oder etwas zu hinterlassen, kann ich gut | |
| verstehen. Wenn es gelingt, bekommt der Staat auf diesem Weg eine Menge | |
| Geld ab. Ich störe mich nicht am Erfolg der Erfolgreichen, sondern vielmehr | |
| an den Barrieren, die Bildungschancen und sozialen Aufstieg erschweren. | |
| Deshalb sollten wir Hartz IV zu einem Bürgergeld mit besseren | |
| Zuverdienstmöglichkeiten umbauen, die mittleren Einkommen steuerlich | |
| entlasten und den Erwerb einer Immobilie für die eigene Familie | |
| erleichtern. | |
| Der Liberalismus betont die Rechte der Individuen gegenüber der | |
| Gesellschaft. Müsste es angesichts des bereits sehr hohen materiellen | |
| Niveaus, von dem viele Privathaushalte hierzulande profitieren, nicht um | |
| eine neue Balance gehen? | |
| Ja, der Liberalismus will die Individuen möglichst stark machen, auch | |
| gegenüber Staat und Gesellschaft. Aber er weiß ebenso gut, dass der Staat | |
| auch Voraussetzungen für Freiheit schafft, etwa Bildung, Sicherheit und | |
| eine funktionierende Justiz. Dabei entstehen immer wieder Zielkonflikte: | |
| Wie bringt man die unterschiedlichen Interessen so in Einklang, dass für | |
| möglichst viele Menschen möglichst viel Freiheit entsteht? Ich halte es | |
| jedoch für eine Fehleinschätzung, dass wir in Deutschland zu starke | |
| Individuen und eine zu schwache Gesellschaft haben. Eher wird zu viel vom | |
| Staat erwartet. Erfüllt er die Erwartungen dann nicht, führt das zu | |
| Enttäuschung und Misstrauen der Bürgerinnen und Bürger in ihn. Insofern | |
| verteidigt der Liberalismus den Staat gerade dadurch, dass er ihm Schranken | |
| setzt. | |
| Die Beiträge zur Rente lassen sich ab 2023 komplett von der eigenen Steuer | |
| absetzen, kündigte [1][Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) | |
| kürzlich an]. Um wie viele Milliarden Euro geht es dabei? | |
| Wir setzen damit das Urteil des Bundesfinanzhofes um, und zwar in einer | |
| Weise, die sicherstellt, dass es in Zukunft zu keiner Doppelbesteuerung von | |
| Rentenbeiträgen und Renten kommen wird. Die Beitragszahlerinnen und | |
| Beitragszahler sowie die Rentnerinnen und Rentner profitieren von dieser | |
| Entlastung im Umfang von mehreren Milliarden Euro pro Jahr. | |
| Insgesamt stellte Lindner für die kommenden vier Jahre Entlastungen von 30 | |
| Milliarden Euro für Bürger und mittelständische Firmen in Aussicht. Wie | |
| schlüsseln Sie diese Summe auf? | |
| Es wird in den nächsten Jahren Entlastungen in der Größenordnung von | |
| schätzungsweise 30 Milliarden Euro geben. Den größten Anteil daran hat die | |
| vereinbarte Abschaffung der sogenannten EEG-Umlage für Ökostrom. Deren Höhe | |
| lässt sich im Voraus nicht exakt beziffern, da sie von der Entwicklung des | |
| Strompreises abhängig ist und von Jahr zu Jahr schwankt, aber das ist eine | |
| beträchtliche Größenordnung. Hinzu kommen weitere Entlastungen, zum | |
| Beispiel bei der Altersversorgung sowie höhere Steuerfreibeträge für Sparen | |
| und Ausbildung. Zur Bewältigung der Coronapandemie und ihrer | |
| wirtschaftlichen Folgen haben wir uns vorgenommen, Superabschreibungen und | |
| weitere investitionsfördernde steuerliche Regeln einzuführen. Dazu kommen | |
| steuerliche Verbesserungen bei der Mitarbeiterkapitalbeteiligung in | |
| Unternehmen. Es kommt also eine Menge zusammen. | |
| Die [2][neue Ampelregierung will 60 Milliarden Euro] nicht benötigter | |
| Kredite aus 2021 in dieses Jahr verschieben – und damit ein Guthaben für | |
| die Zukunft anlegen. Könnte es 2022 nochmals zu einer ähnlichen Operation | |
| kommen? | |
| Die nicht benötigten Kredite aus dem vergangenen Jahr verbuchen wir mit dem | |
| Nachtragshaushalt im Energie- und Klimafonds. Das gibt uns die Möglichkeit, | |
| Investitionen im Bereich Klimaschutz anzustoßen und dadurch Wirtschaft und | |
| Gesellschaft in Richtung Zukunft zu entwickeln. Der Haushalt für 2022 | |
| befindet sich gerade in der Aufstellung, wir gehen in der mittelfristigen | |
| Finanzplanung davon aus, dass die Neuverschuldung unter 100 Milliarden | |
| Euro bleibt. Wie hoch der Zuschuss für den Energie- und Klimafonds 2022 | |
| sein wird, ist Teil der Haushaltsverhandlungen. | |
| Der Koalitionsvertrag entwickelt die Perspektive, dass öffentliche | |
| Unternehmen wie die Deutsche Bahn AG Investitionen finanzieren, die der | |
| Bundeshaushalt aufgrund der Schuldenbremse nicht leisten kann. Wollen Sie | |
| deshalb die Schulden-Obergrenze der Bahn erhöhen, die gegenwärtig bei 32 | |
| Milliarden Euro liegt? | |
| Zunächst müssen wir mit der Deutschen Bahn über ihren Investitionsbedarf | |
| sprechen. Das ist ein Prozess, der wahrscheinlich mehr Zeit erfordert als | |
| ein paar Monate. | |
| Auch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben soll eine aktivere Rolle | |
| spielen. | |
| Der Neubau von 400.000 Wohnungen pro Jahr ist ein hohes Ziel. Dabei ist | |
| zunächst die Wohnungswirtschaft gefragt. Die BImA ist nur ein Akteur unter | |
| vielen. Doch sie wird ihren Beitrag leisten. Inwiefern sie dafür Kredite | |
| aufnehmen muss, wird zu diskutieren sein. | |
| 14 Jan 2022 | |
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