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# taz.de -- Künstliche Intelligenz im Service: Die miauende Robo-Kellnerin
> Roboterdesign wirkt oft stereotyp, dabei steckt darin sogar utopisches
> Potenzial. Die Dienstleistungs-Zukunft könnte der KI gelten.
Bild: BellaBot: Die weibliche Bedienung als schnurrendes Gastro-Kätzlein
Bella ist der Traum eines jeden Arbeitgebers: Sie wird nicht krank, braucht
keinen Urlaub und fordert keine Lohnerhöhung. Zudem hat sie immer gute
Laune und streikt auch nicht. Behände umkurvt sie Hindernisse und liefert
zuverlässig Essen und Getränke aus. Doch Bella ist kein Mensch, sondern
eine Maschine. Genauer gesagt: ein Roboter.
BellaBot verfügt über einen 3-D-Raum-Scan zur Hinderniserkennung, eine
Ablage mit Infrarotsensoren sowie ein multimediales Steuerelement, das auf
Sprachkommandos und Berührungen mit einer KI-Stimme reagieren kann.
Streichelt man den Roboter, [1][gibt er ein emotionales Feedback:] Auf dem
Display erscheint dann eine katzenartige Mimik mit Augen, Mund und
Schnurrbarthaaren.
Der selbstfahrende Servierroboter, der in einer chinesischen
Robotikschmiede produziert wird und eine Traglast von 13 Kilogramm je
Tablett stemmen kann, ist für die Gastronomie, Krankenhäuser sowie für
Büros und Kantinen ausgerichtet. In einigen Hotels und Restaurants in
Deutschland wird der Roboter bereits eingesetzt, zum Beispiel in Grömitz an
der Ostsee oder im ostwestfälischen Warburg. [2][Für die gebeutelte Hotel-
und Gastrobranche], die unter Umsatzeinbußen und Personalmangel leidet,
kommen die Roboter wie gerufen. Sie können die Belegschaft im
Servicebereich entlasten, zudem besteht [3][beim Kontakt Mensch/Maschine]
kaum eine Infektionsgefahr; und auf Dauer rechnet sich die knapp 20.000
Euro teure Anschaffung des Roboters.
Es geht hier aber nicht nur um betriebswirtschaftliche Kalkulationen,
sondern auch um ethische Fragen: Warum hat der Bot, der als „miauende
Robo-Kellnerin“ tituliert wurde, einen weiblichen Namen? Und warum ist er
nach einer Katze modelliert? [4][Warum werden über das Design Stereotype
produziert und Männerfantasien bedient] – die weibliche Bedienung als
schnurrendes Kätzlein, das per Knopfdruck Bier auf den Tisch stellt?
Akzeptanz durch Design
Oliver Bendel ist Professor an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) in
Brugg-Windisch in der Schweiz und Experte für Maschinenethik. Er hat
zahlreiche Publikationen zu dem Thema verfasst und war mehrfach
Sachverständiger des Deutschen Bundestags. Im E-Mail-Interview mit der taz
sagt er, dass das Design von Robotern einen starken Einfluss auf ihre
Akzeptanz in einem sozialen Gefüge habe. „Indem wir menschliche oder
tierische Attribute auf Roboter übertragen, machen wir sie persönlicher,
sympathischer, einschätzbarer.“
In asiatischen Ländern gebe man Robotern gerne eine Tiergestalt, so Bendel.
Der in Japan entwickelte Therapieroboter Paro etwa ist einer Robbe
nachempfunden, der Pflegeroboter Robear sieht aus wie ein Bär. Die
Geschlechtlichkeit spiele hier eine nachgeordnete Rolle. Und wenn das
Werkzeug Augen bekomme, sei dagegen nichts einzuwenden, so Bendel. Es sei
ein geschickter Trick: „Man hilft BellaBot automatisch, etwa in den Aufzug
hinein, und man drückt gerne den passenden Knopf für sie“, sagt der
Maschinenethiker. „Dinghafte Gestaltungen mit tierhaften Elementen“ seien
daher keine schlechte Idee.
Es gibt aber auch anthropomorphe Roboter, die wie Menschen aussehen. Die
Robo-Frau Sophia zum Beispiel, eine Kreatur der Hongkonger Robotikschmiede
Hanson Robotics. Der humanoide Roboter, der nach Audrey Hepburn und
Nofretete modelliert sein soll, hatte schon einen gemeinsamen Auftritt mit
Bundeskanzlerin Angela Merkel. In diesem Sommer erblickte Sophias kleine
Schwester das Licht der Welt: Grace. Die Robo-Frau, die mit ihrem braunen
Bob und hellen Teint an Anime-Charaktere erinnert, wurde eigens dafür
entwickelt, PflegerInnen bei der Arbeit im Krankenhaus zu unterstützen.
Mithilfe von Kameras und Sensoren erkennt der Pflegeroboter Gesichter und
Stimmen, er kann Blickkontakt halten, die Temperatur messen und dank KI
Diagnosen auf Englisch oder Chinesisch stellen. Sieht so die Zukunft der
Pflege aus?
Grace könnte problemlos auch in Restaurants bedienen. Gerade erst hat ein
Roboterfabrikant eine Summe von 200 000 Dollar ausgelobt, wenn man sein
Gesicht einem Roboter leiht, der 2023 in Shopping-Malls und Flughäfen
herumfährt. Aber wollen wir Roboter um uns herum haben, die so aussehen wie
wir? Oder lieber Maschinen, die auch wie solche aussehen?
Unheimliches Lächeln
Für Bendel hängt das vom Einsatzgebiet ab: „Ein Barkeeper wird meist mit
Hilfe eines Cobots umgesetzt. Man nutzt also einen Roboterarm, der kaum
etwas von einem Menschen oder einem Tier hat, außer dass es eben ein Arm
ist.“ Für einen Roboter, der Kaffee oder Cocktails zubereitet, bräuchte es
kein humanoides Design. Roboter wie Sophia oder Grace kann sich Bendel aber
durchaus als Bedienungen im Raum vorstellen, die sich von Tisch zu Tisch
bewegen und Teller abräumen oder Essen servieren. „Allerdings wirken sie
unheimlich, wenn sie lächeln“, berichtet der Wissenschaftler. Und in der
Gastronomie müsse oft gelächelt werden. Für Sophia und Co. sei es daher
„wohl zu früh“, in Restaurants und Bars eingesetzt zu werden – auch wegen
der motorischen Fähigkeiten, die noch „stark unterentwickelt“ seien.
Bendel hält Roboter für eine sinnvolle Assistenz im Dienstleistungsgewerbe.
Er verweist aber auch auf die ingenieurtechnischen Herausforderungen: „Ich
habe jahrelang in Szenekneipen und Studentencafés bedient und kenne die
Tücken des Geschäfts. In manchen Lokalen hat man unebenen Boden,
Stützbalken etc. Einige gehen über mehrere Etagen. Überall stehen Tische
und Stühle. Das ist alles nicht ganz einfach für einen rollenden Roboter.“
Hinzu komme, dass der Bot nicht mit anderen Bedienungen oder mit Gästen
kollidieren sollte. Transportroboter wie Relay, der bereits durch
Hotelflure kurvt und Zahnpasta oder Kaffee aufs Zimmer bringt, könnten
dennoch gewisse Routinearbeiten erledigen und beim Abräumen helfen, so
Bendel. „Relay ist dinghaft gestaltet, zeigt jedoch Augen auf dem Display
und gibt niedliche Töne von sich.“
Wo verläuft die Grenze von Niedlichkeit und Sexismus? Selbst wenn man sich
für ein geschlechtsneutrales Design entscheidet, entbindet das nicht von
der Genderfrage, weil die Stimme bestimmte Rollenbilder evoziert. Da steht
dann zwar ein Kätzchen oder Bär vor einem, aber die Stimme ist immer
weiblich. Virtuelle Assistenten wie Siri und Alexa tragen weibliche Namen
und haben in der Standardeinstellung Frauenstimmen (außer in
Großbritannien, wo Siri wie der traditionelle Butler männlich ist), auch
die meisten Navis werden von Frauen eingesprochen. Darin manifestiert sich
die tradierte Vorstellung von der Frau als Dienerin und Dienstleisterin.
Doch diese Rollenklischees werden allmählich überwunden. So macht seit
vergangenem Jahr die trans Schauspielerin und Synchronsprecherin Philippa
Jarke in der Berliner U-Bahn die Ansagen.
Mehr Diversität
Und auch die Technik macht Fortschritte. So haben zwei dänische Unternehmen
ein Computerprogramm entwickelt, das eine genderneutrale Stimme produziert.
Q, wie das Programm heißt, spricht wie ein Jugendlicher kurz vor dem
Stimmbruch. Das könnte ein Modell für Transgender-Roboter sein.
Auch wenn das im Moment noch sehr nach Utopie klingt, könne die Koexistenz
von Mensch und Maschine Diversität in der Gesellschaft erhöhen, meint
Bendel: „Soziale Robotik trägt die Chance in sich, eine Vielfalt in der
Fiktionalität darzustellen, die dann eine Vielfalt in der Realität fördern
kann. Wir werden mit immer mehr Elfen, Kobolden, Mangamädchen,
Meerjungfrauen, Meerjungmännern, blauen und grünen Avataren etc.
zusammenleben, die es zuerst im Virtuellen und Robotischen und dann im
Menschlichen gibt.“
„Unsere großen Themen werden immer Sexualität und Tod sein“, ist sich
Bendel sicher. [5][Das bedeute aber nicht, dass wir Roboter als
geschlechtliche Wesen gestalten müssen]. „In einigen Bereichen ergibt das
Sinn, eben wenn wir die Roboter als Partner sehen oder wenn sie in einer
bestimmten Rolle Empathie und Emotionen zeigen sollen.“ Doch häufig könne
man darauf verzichten. Ein Barista, der nichts anderes als ein
gesichtsloser Cobot ist, sei an sich schon faszinierend, findet Bendel. Und
wenn der Kaffee gut schmeckt und nicht verschüttet wird, hat der Roboter
seinen Dienst getan.
9 Dec 2021
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## AUTOREN
Adrian Lobe
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