# taz.de -- Gastronomie und Corona: Weder Koch noch Kellner | |
> Gastronomen klagen, ihnen sei in der Pandemie das Personal abhanden | |
> gekommen. Selbst schuld, sagt die Gewerkschaft. | |
Bild: Nach der Krise ist vor der Krise: In der Gastronomie rumpelt es | |
HANNOVER taz | Seit 17 Jahren arbeitet Maximilian „Max“ Nowka in der | |
Gastronomie, gehört als Barkeeper zu den festen Größen im überschaubaren | |
hannoverschen Nachtleben. „Also, ich kann zurzeit nirgendwo ein Bier | |
trinken, ohne angequatscht zu werden, ob ich da nicht arbeiten möchte“, | |
sagt er. | |
Er hat mitten in der Pandemie den Arbeitgeber gewechselt, ist dann | |
praktisch nahtlos in Kurzarbeit gegangen. Jetzt soll es so langsam wieder | |
losgehen, doch Nowka zögert: „Ich will eigentlich nicht zurück ins | |
Hamsterrad. Diese Pandemiezeit hat mir klar gemacht, dass es auch noch | |
etwas anderes gibt als dieses Nachtleben.“ | |
Am liebsten, sagt er, würde er etwas ganz anderes machen. Im Wald arbeiten, | |
zum Beispiel. Er hat da ein paar Kontakte zu Forstwissenschaftlern. Und | |
Gastronomie dann nur noch im Sommer, so für zwei, drei Monate, zum | |
Gehaltaufstocken. | |
Es sind Töne wie diese, die Bettina G. stutzig machen. Als Betriebsleiterin | |
für verschiedene Restaurants und Bars habe sie einiges an Personal kommen | |
und gehen sehen, sagt sie. „Die Fluktuation war immer hoch, in manchen | |
Läden ist der Umgang halt auch sehr rau, das muss man schon abkönnen.“ Um | |
den cholerischen Chefs keine Angriffsfläche zu bieten, möchte sie ihren | |
vollen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen. | |
## Die Aushilfen gingen zuerst – sie hatten ja auch keine Wahl | |
Grundsätzlich habe es für sie immer zwei Sorten von Angestellten gegeben: | |
Die, für die das alles nur eine Phase ist – die spätestens dann endet, wenn | |
die Selbstfindung oder das Studium vorbei sind oder man Familie will. | |
Und die, die sie „Hardcore-Gastro-Gewächse“ nennt: „Das sind Leute, die | |
sich nie was anderes vorstellen konnten, oft schon aus Gastro-Familien | |
kommen, für so ein normales, bürgerliches Leben gar nicht taugen, für die | |
Gastro halt alles ist: Lebensstil, Familie, Berufung.“ Wenn selbst die | |
gehen, wird es eng, sagt sie. | |
Die Frage ist aber auch immer, welche Alternativen man überhaupt hat. Sie | |
hatte die Bewerbung für den Rewe schon geschrieben, sagt Lotta Möller, die | |
kellnert seit sie 18 ist. Abgeschickt hat sie die dann aber doch nicht und | |
stattdessen mit der Chefin den Laden renoviert und das neue Kassensystem | |
installiert. | |
„Ich liebe diesen Job, es gibt wenige Arbeitsplätze, an denen ich mich so | |
wohl fühle.“ Die Zitterpartie, die große Unsicherheit, ob und wie es | |
weitergeht – die sei das Schlimmste gewesen. Und so ganz weg ist die Angst | |
immer noch nicht: „Wer weiß, was im Herbst kommt.“ Sie versteht, dass sich | |
viele der Aushilfen da lieber was anderes gesucht haben. | |
So ganz klar sei das Bild noch gar nicht, sagt Rainer Balke vom Deutschen | |
Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) Niedersachsen. [1][Weil die Betriebe | |
angesichts der sinkenden Inzidenzen] gerade erst wieder so richtig | |
hochfahren, zeige sich auch erst jetzt, wie viele Arbeitnehmer ihnen | |
tatsächlich abhanden gekommen sind. | |
## Weder Kurzarbeitergeld noch sonstwas | |
„Da muss man ja auch differenzieren zwischen den Angestellten, die man mit | |
dem Kurzarbeitergeld weiterhin auf der Payroll hat, und den Aushilfen in | |
geringfügiger Beschäftigung, bei denen man schauen muss, ob man sie | |
zurückgewinnen kann.“ Letztere machen in der Branche allerdings rund die | |
Hälfte der Beschäftigten aus, räumt er ein. | |
Die Aushilfen seien natürlich als allererstes unter den Tisch gefallen, | |
sagt Thomas Domke von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). | |
Denen blieb ja gar nichts anderes übrig als im Einzelhandel, bei den | |
Lieferdiensten oder in der Pflege anzuheuern – schließlich bekamen sie | |
weder Kurzarbeitergeld noch sonst irgendeine Unterstützung. | |
Aber auch von den Angestellten hätten viele festgestellt, dass 80 Prozent | |
von wenig dann eben endgültig zu wenig sei, sagt Domke, vor allem, wenn | |
auch noch die Trinkgelder fehlen. Auf durchschnittlich 12,08 Euro pro | |
Stunde kommt eine gelernte Köchin nach NGG-Angaben. Ungelernte Kräfte lägen | |
bei einem Stundenlohn von 9,80 Euro. | |
## Welche Betriebe tatsächlich überleben ist noch nicht raus | |
Das Problem sei absolut hausgemacht, die Schwierigkeiten, | |
Ausbildungsstellen zu besetzen und die vielen Ausbildungsabbrecher sei ja | |
schon vor Corona jahrzehntelang geklagt worden. Er hoffe, dass die | |
Arbeitgeber nun endlich einmal aufwachen und einsehen, dass sie ihre Leute | |
besser bezahlen und besser behandeln müssten, sagt der | |
Gewerkschaftssekretär mit Blick auf die anstehenden Tarifverhandlungen. | |
Man müsse, sagt Dehoga-Geschäftsführer Balke, ja aber auch erst einmal | |
sehen, welche Betriebe den Wiedereintritt in den Markt überstehen und | |
welche nicht. „Die Corona-Hilfen haben zwar durch die Krise geholfen, in | |
dem sie die Fixkosten ausgeglichen haben – aber jetzt braucht man eben | |
frisches Kapital für die Wiedereröffnung und das muss man auch erst einmal | |
bekommen.“ [2][Frühestens im Herbst oder am Jahresende werde] man hier | |
klarer sehen. | |
Jetzt neben der Wiedereröffnung auch noch Azubis anzuwerben, überfordere | |
die meisten Betriebe, sagt Balke. Aber auf noch einen Jahrgang zu | |
verzichten, sei eben auch nicht drin. Der Dehoga will darum den Beginn des | |
Ausbildungsjahres noch ein Stückchen nach hinten schieben. Irgendwoher muss | |
es ja kommen, das neue Personal. | |
20 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
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