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# taz.de -- Gastronomie öffnet in Berlin: Viel zu komplizierte Auflagen
> Seit Anfang Mai 2020 begleitet die taz Gastronom*innen durch die
> Pandemie. Wie geht es ihnen angesichts der ersten Öffnungsschritte am
> Freitag?
Bild: Draußen nicht nur Kännchen: Ab heute wird serviert
Berlin taz | Die erste Reaktion von [1][Mengling Tang], Inhaberin des
gehobenen chinesischen Restaurants Peking Ente in einem der DDR-Wohnblöcke
aus den 1980er Jahren in der Voßstraße: Irgendwas zwischen Kichern und
Weinen. „Klar freue ich mich“, sagt die 46-Jährige am Telefon, während im
Hintergrund die Töpfe in ihrem Restaurant klappern, das die Eltern nach der
Flucht aus China 1999 eröffnen konnten und das sie nun weiterführt. „Wir
wollen endlich unsere Gäste wiedersehen“, fügt sie an und seufzt.
Doch dann gibt die sonst so resolute wie fröhliche Frau, die seit dem
Lockdown im Dezember persönlich Bestellungen an Gäste in der ganzen Stadt
ausfährt, zu: „Wissen Sie, das alles grenzt langsam an eine Tragikomödie.“
Das Problem, mit dem sich die Gastronom*innen in dieser Stadt derzeit
sehr schwer tun, sind [2][die vielen Auflagen], unter denen sie ab dem
heutigen Freitag wieder draußen ihre Gäste bewirten können. Dass die
Kellner*innen Masken tragen, die Gäste ihre Kontaktdaten hinterlassen
und Abstand wahren müssen, dass es außerdem regnen könnte: Das kennen die
meisten noch vom letzten Sommer, nach dem ersten Lockdown.
Doch nun kommt auch noch hinzu – und Achtung, jetzt wird es kompliziert:
Die Gäste müssen qua Impfpass nachweisen, dass sie vollständig geimpft
sind. Wenn diese genesen sind, müssen sie entweder einen positiven
PCR-Test, der mindestens 6 Monate zurückliegt, plus die erste Impfung
nachweisen oder einen positiven PCR-Test, der mindestens 28 Tage bis
maximal 6 Monate zurückliegt.
Und wer weder geimpft noch genesen ist, kann einen Schnell- oder PCR-Test
vorlegen, der durch ein Testzentrum erstellt wurde, den Nachweis eines
Schnell- oder Selbsttests, der durch die oder den Arbeitgeber*in
ausgestellt wurde – oder die Restaurants bieten Selbsttests vor Ort an, die
sie durchs Betriebspersonal beaufsichtigen lassen müssen.
Mengling Tang, die seit einem Jahr alles versucht, was möglich ist, hat
bereits Tests bestellt. Aber sie weiß, dass es jetzt erst einmal noch lange
nicht um Umsätze gehen kann. „Wir können draußen höchstens 50 Personen
bewirten“, sagt sie und weist dann darauf hin, dass es besonders zur
Mittagszeit problematisch bleiben wird, wenn die wenigen Menschen, die
bereits wieder im Büro arbeiten, nur eine halbe Stunde bleiben können.
„Eigentlich wollen wir nur zeigen, dass wir noch da sind“, fügt sie an.
## „Nur noch verwirrt“
Weitaus problematischer noch als Mengling Tang sehen das alles Arzu Bulut
und Lale Yanik, die Inhaberinnen des türkischen Restaurants Osmans Töchter
in der Pappelallee. „Wir waren eigentlich euphorisch, wollten noch nicht
sofort, aber am 1. Juni wieder eröffnen“, berichtet Bulut. „Aber dann haben
wir uns durchgelesen, was wir alles machen müssen, und nun sind wir nur
noch verwirrt.“
Die beiden wissen bislang noch nicht, wie sie kontrollieren sollen, dass
die fünf Personen, die sie maximal an einen Tisch setzen dürfen, wirklich
nur aus zwei Haushalten kommen. Was, wenn ein Haushalt in zwei Wohnungen
wohnt, weil beispielsweise das Paar getrennt lebt? Diese gehören laut
Regelung zu einem Haushalt. Aber kontrollieren kann man das nicht einmal,
wenn man die Personalausweise der Gäste checkt.
„Wie soll ich wissen, in welchem Verhältnis diese Menschen zueinander
stehen? Was geht mich das überhaupt an?“, sagt Arzu Bulut, die mit ihrer
Geschäftspartnerin während des Lockdowns beschlossen hat, kein Essen mehr
zu liefern, sondern gleich einen professionellen Online-Versand von Meze,
von so leckeren wie frischen türkischen Vorspeisen, aufzuziehen.
Für viele Gastronom*innen in der Stadt sind die neuen Auflagen zu
umständlich, zu bürokratisch, sie haben zu wenig mit der Gastfreundschaft
und der guten Laune zu tun, die sie ihren Besucher*innen
entgegenbringen wollen. Sie sagen, dass es ja das Ziel eines
Restaurantbesuches ist, sich zu entspannen – und dass ein Restaurant keine
Arztpraxis ist. Zurück bleibt also Verunsicherung.
„Ich habe überhaupt kein Gefühl mehr, was am Wochenende passieren wird“,
sagt deshalb Mengling Tang. Werden sich die Gäste freudig auf die neuen
Freiheiten stürzen – oder doch lieber abwarten, bis alles noch etwas
einfacher wird?
Viele der Berliner Gaststätten haben erst kürzlich die staatliche
Unterstützung erhalten, die zur Überbrückung des Dezembers gedacht war. Den
19.000 Gaststätten, Kneipen, Cafés, Bars, Eisdielen und Caterern in der
Stadt droht eine riesige Pleitewelle, es herrscht zunehmend Existenzangst,
ja Panik. Weil für viele der Unternehmen bis vor Kurzem die Pflicht
ausgesetzt war, bei Zahlungsunfähigkeit Insolvenz anzumelden, lässt sich
noch nicht in Zahlen ausdrücken, wie viel Schaden der Lockdown angerichtet
hat. Doch laut Hotel- und Gaststättenverband beschäftigt sich ein Viertel
der Branche mit der Geschäftsaufgabe.
Einer der drei Gastronom*innen, die die taz seit über einem Jahr
begleitet, ist übrigens seit Wochen nicht für die Presse zu sprechen; er
ist aus familiären Gründen gerade nicht in der Stadt, sagt er. Mario
Dzeladini (60) ist in Mazedonien aufgewachsen und seit 1980 in Berlin. „Ich
habe von ganz unten angefangen“, hatte er vor einem Jahr berichtet. Auf den
großen Terrassen, so ein Mitarbeiter am Telefon, wird das Firenze trotzdem
erst mal am Freitag wieder eröffnen.
21 May 2021
## LINKS
[1] /Berlins-Selbststaendige-in-der-Krise/!5729613
[2] /Coronanotbremse-bleibt-laenger-in-Kraft/!5766220
## AUTOREN
Susanne Messmer
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
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Wirtschaft
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