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# taz.de -- Coronalockerungen in Berlin: Pfingsten heißt Freiheit
> Am Feiertagswochenende kehrte das Leben in die Stadt zurück. Essen gehen,
> Shoppen, Freiluftkino: Alles wieder möglich. Wie geht es nun weiter?
Bild: Die Cafés waren voll an Pfingsten in Berlin
Berlin taz | Pfeif auf den Datenschutz. Eine der ersten Erkenntnisse des
Wochenendes, an dem sich Berlin wieder frei macht. Es ist Pfingstfreitag um
16.20 Uhr. Vor einer Viertelstunde haben wir im Testzentrum Pankow einen
Corona-Schnelltest gemacht. Marke kurz und schmerzlos, erst in den Rachen,
dann tief in den Nasenraum. Zehn Minuten später ist das Ergebnis auf dem
Handy. Dann einchecken im neuen Open-Air-Café am Pankower Anger. Luca-App.
Nicht ganz sicher, schreibt die taz. Aber praktisch. Es erspart das
Ausfüllen des Zettels zur Kontaktnachverfolgung.
Berlin hat seine Freiheit wieder. Schon zwei Tage vor dem Pfingstfreitag
haben wir online einen Termin gebucht. Essen gehen bei Anna Blume im
Prenzlauer Berg. Auf dem Weg von Pankow dahin die bange Frage: Haben die
die Buchung registriert? Denn schon am Bahnhof Vinetastraße war die Bar
neben dem Varia Vineta rappelvoll. Auch in den Außenbereichen der Cafés in
der Schönhauser gab es kaum mehr freie Plätze. Am Anna Blume dann aufatmen.
Von der Reservierung weiß zwar keiner was. Aber es sind genügend Tische
frei. Also lautet die zweite Erkenntnis: Vergiss die Platzbuchung. Wer
einen freien Platz findet, hat automatisch einen Termin vereinbart.
Dann der Moment, auf den wir sechs Monate gewartet haben. Die Kellnerin
bringt zwei Gläser Rosé. Nicht den süffigen, neoanginfarbigen, sondern den
blassen, herben. Das Klingen der Gläser, das Auflachen, der Blick auf die
anderen Gäste. Am Nachbartisch ein einzelner Mann, ein Bier hat er vor sich
und daddelt auf dem Handy. Vor uns zur Straße hin ein Lesbenpärchen mit
zwei Gläsern Weißwein, lachend. Glücksgefühle gehen auch auf Bestellung.
Kurze Zeit später: Wir sind froh, dass wir noch Plätze unter einem der
großen Schirme gefunden hatten. In Missachtung der Wetter-App entscheidet
sich der Himmel für eine Husche. Das ist die dritte Erkenntnis der Rückkehr
ins fast normale Leben: Ein Regenschauer ist der natürliche Feind der
Außengastronomie.
Einen Zander und einen weiteren Rosé später treten wir die Rückfahrt an.
Noch immer sind die Kneipen voll. In der Mühlenstraße hat ein neues
Testzentrum geöffnet, in den Räumen eines Bordells. Auf dem Balkon noch
schnell einen Absacker nehmen. Es ist fast wie früher. Nur die Flieger am
Himmel über Pankow fehlen. Uwe Rada
## Boutiquen statt Malls
Wie gut, dass die tagesaktuellen Tests abgeschafft wurden und ein negativer
Schnelltest stattdessen 24 Stunden gültig ist. So lassen sich zwei Fliegen
mit einer Klappe schlagen: Essen am Abend und am nächsten Vormittag
gemütlich bummeln.
Oder mitbummeln und beraten. Erste Station ist eine Boutique an der
Sredzkistraße. Aufmerksam kontrolliert die Inhaberin unsere Testergebnisse.
Einchecken mit der Luca-App ist nicht, es muss alles noch händisch
ausgefüllt werden. So wie nach der ersten Welle in diesem im Nachhinein so
unbeschwerten Sommer 2020.
Corona-Erinnerung: Sie reicht nicht unbedingt mehr zurück ins Leben vor der
Pandemie, sondern umfasst bereits alle Phasen der Pandemie selbst: Die
Angst vor Türklinken und versehentlichen Berührungen, die rauhe Haut vom
Händewaschen, die Ablösung der Stoffmaske durch die Livinguard, dann FFP2,
erst weiß, dann schwarz. Umfasst auch die selbstgebastelte Illusion, mit
dem Sommer 2020 sei alles vorbei, den Schrecken der zweiten, das „#Müten“
gegen die dritte Welle. Und jetzt, was kommt nach dem Öffnen im Mai 2021?
Die Mutantenphase der Pandemie?
Wir sind nicht die Einzigen in der Boutique. Eine Frau schiebt eher
unlustig ein Sommerkleid nach dem andern am Haken zur Seite. Ihre Bekannte
muss draußen bleiben, kein Test. Die Inhaberin stellt ihr einen Stuhl vor
die Tür. Es donnert, gleich kommt die nächste Husche.
Im Klamottenladen nebenan hat die Besitzerin bereits die Außenauslage in
Sicherheit gebracht. Ich warte draußen, flüchte mich aber dann doch vor dem
Regen in den Laden. Der Besitzerin habe ich beim Plaudern gesagt, ich hätte
auch einen Test. Sie will ihn nicht sehen. Voller Eile habe ich vergessen,
die Maske aufzusetzen. Ich habe es erst gemerkt, als ich dachte, irgendwas
stimmt nicht. Keine Maske stimmt also nicht, die Maske ist das neue Normal.
Wann wird sich das wieder ändern?
Auf dem Kollwitzmarkt dürfen nun auch die Stände wieder öffnen, die keine
Lebensmittel verkaufen. Alle sind sie wieder da, der Stand mit den
Frühstücksbrettern, die Fahrradrucksäcke, und voll ist der Markt, als hätte
es nie eine Pandemie gegeben. Aluhüte trägt hier keiner, aber jeder trägt
eine Maske. Hedonistisch und staatstragend geht es zu am Prenzlauer Berg.
Auf dem Rückweg noch was einkaufen in den Schönhauser Allee Arcaden.
Überraschend sind hier die meisten Geschäfte zu. Rollläden unten, als sei
irgendwas Schlimmes passiert. Das Leben findet wieder auf der Straße statt.
In den Cafés, in den Boutiquen, individuell, handmade. Die Pandemie als der
Anfang vom Ende der Malls? Es wird garantiert wieder anders kommen, als wir
denken. Uwe Rada
## Fast allein bei Liebermann
Angenehmer könnte ein Museumsbesuch dieser Tage wohl kaum sein: Am
Gartentor zur Liebermann-Villa am Wannsee stehen am Samstag um Punkt 12 Uhr
mittags – dem frühesten Zeitfenster – drei Menschen mit Maske im Freien und
warten auf ihren Einlass. Es bildet sich keine Schlange, von einer
Wartezeit kann nicht die Rede sein. Wohl auch, weil alle Besucher*innen
das Ticket bereits vorab ausgedruckt und mit den eigenen Kontaktdaten
versehen haben. Die Frau am Gartentor nimmt die DIN-A4-Seiten rasch
entgegen und wünscht viel Spaß.
An der Eingangstüre zur Villa folgt dann eine zweite Kontrolle: Ein Mann in
Anzugweste bittet freundlich um einen Test-, Impf-, oder Genesungsnachweis.
Wer nur in den Gartenbereich möchte, spart sich diesen Schritt.
In der Liebermann-Villa selbst tritt die Pandemie mit ihren Abstandsregeln
dann schnell in den Hintergrund – einfach, weil das Missachten praktisch
unmöglich ist. Mal huscht eine weitere Frau durch die Räume, ansonsten ist
es in dem Altbau mit hohen Wänden ruhig, der Boden knarrt, die Vögel
zwitschern im Garten. Zeitweise befinden sich keine weiteren
Besucher*innen im Atelier des Berliner Künstlers Max Liebermann. Einzig
grüne Hinweiszettel an den Türen erinnern an all die Regeln, die nach über
einem Jahr Pandemie habitualisiert ablaufen: Maske tragen, Hände regelmäßig
desinfizieren – die Spender dafür stehen überall auf dem Gelände. Und
zuletzt die Bitte, sich „so kurz wie möglich und so lang wie nötig“ im
Gebäude aufzuhalten.
Das gebuchte Ticket erlaubt es, maximal zwei Stunden zu verweilen. Das
genügt, um sich ganz dem idyllischen Sommerhaus hinzugeben: Im
Gartenbereich sind zwar weniger Sitzplätze als vor Corona gestuhlt, dennoch
gerade genug, dass es für alle reicht.
Das Wetter ist wechselhaft, mal bewölkt, mal sonnig. Mit Blick auf den
Großen Wannsee schmeckt nicht nur das Stück Rhabarberkuchen, auch der
Pandemiewahnsinn gerät in Vergessenheit. Die Unbeschwertheit kehrt langsam
zurück. Jacqueline Dinser
## Badeanzug riecht nach Chlor – und Sommer
Der Mann vor dem Eingangstor zum Sommerbad Pankow in der Wolfshagener
Straße ist sichtlich aufgebracht. Völlig „unorganisiert“ alles, und
überhaupt: „Zu spät, alles viel zu spät!“
Die Unternehmenssprecherin, die die Berliner Bäder-Betriebe früh um halb
acht am ersten Tag der Freibadöffnungen nach Coronawelle Nummer drei vor
dem Eingang postiert haben, um diverse Presseteams in Empfang zu nehmen,
ist ein bisschen überrumpelt: Was denn zu spät sei? „Na, sonst haben die
Bäder immer am 1. Mai geöffnet“, und warum man hier nicht mehr spontan
Tickets kaufen könne, poltert der Herr. Ob er denn nicht wisse, dass Corona
sei?, gibt die Sprecherin sichtlich perplex zurück.
Dafür ist die Stimmung in der kleinen Schlange vor dem Einlass umso
freundlicher. Wo in Vor-Corona-Zeiten oft schnell Ungeduld aufkam, wenn
jemand etwa zu lange in seiner Geldbörse kramen musste, herrscht jetzt eine
beinahe heitere Duldsamkeit: Mit dem Ticketscanner der Bäder-Bediensteten,
der nicht jeden QR-Code des online vorab reservierten Tickets gleich
erkennt. Mit der Vorderfrau, die umständlich das zwingend nötige negative
Testergebnis irgendwo in den Mails auf ihrem Handy sucht.
Vielleicht ist es einfach nur Dankbarkeit, überhaupt wieder hier stehen zu
dürfen – eigentlich ja eine Selbstverständlichkeit, schwimmen gehen. Aber
gerade Selbstverständlichkeiten hat diese Pandemie schließlich sehr
erfolgreich infrage gestellt. Was für ein Gefühl, sie sich wieder, Stück
für Stück, zurückerobern zu können. Ein wenig lang ist das Gras auf den
verwaisten Liegewiesen gewachsen, aber die dürfen erst mal ohnehin noch
nicht genutzt werden, genauso wenig wie die Duschen.
Eine Stunde schwimmen erlaubt das gebuchte Zeitfenster frühmorgens, plus 30
Minuten zum schnellen Umziehen am Beckenrand. Mehr Zeit braucht es aber
auch nicht: Das Wetter ist kühl, kein Wetter zum Planschen, aber zügig
schwimmen geht gut. Wohl auch deshalb waren für das Pfingstwochenende die
bislang elf geöffneten Sommerbäder – die restlichen 14 sollen bis Mitte
Juni folgen – selten ausverkauft.
Im Wasser entwickelt sich schnell eine Art Kreisverkehr auf den doppelt so
breit wie normal gespurten Bahnen. Lachen und rufen. Der Badeanzug riecht
beim Ausziehen nach Chlor und Sommer. Endlich wieder, ein Anfang. Anna
Klöpper
## Spielzeit für eröffnet erklärt
Kurz bevor das allerletzte Tageslicht am Himmel verglimmt, ist es wieder so
weit. Wie selbstverständlich flattert eine Fledermaus durch die Werbung auf
der Leinwand, beleuchtet vom Schein des Projektors. Trotz ihrer hektischen
Flugbewegungen vermittelt sie ein Bild der Ruhe, der Entspannung, der
Normalität. Corona ist plötzlich weit weg. Und dann beginnt auch schon der
Film.
Die Macher*innen des Freiluftkinos Friedrichshain haben sich für die
Premiere in der zweiten Coronasaison am Freitagabend eine Komödie
ausgesucht. „Rosas Hochzeit“ handelt von einer 45-Jährigen, die immer für
alle anderen da ist, aber nie für sich, und daher beschließt, noch mal neu
anzufangen. Der Film sollte eigentlich im November anlaufen und war damit
einer der ersten, der vom zweiten Lockdown und der bis heute andauernden
Schließung der Kinos kalt erwischt wurde. Nun grüßt die Regisseurin in
einer eigens erstellten Videobotschaft und freut sich, dass ihr Film
endlich zu sehen ist.
Wer will, kann in der überlasteten Hauptperson Rosa, die sich ständig um
drei Dinge gleichzeitig kümmern muss, natürlich eine Anspielung auf den
Stress vieler Familien in Pandemiezeiten sehen. Man muss das aber nicht.
Eigentlich spielt Corona im Film keine Rolle.
Jenseits der Leinwand sieht das ganz anders aus. 250 Menschen sind bisher
laut der Vorgabe des Senats für Open-Air-Kulturveranstaltungen zugelassen.
Sie verteilen sich weiträumig auf den Bänken und Stühlen im eigentlich mehr
als 1.500 Personen fassenden Freiluftkino im Volkspark. Die Pandemie hat
Lücken gerissen, die wieder gefüllt werden müssen. Man sieht das, und man
spürt es auch. Doch das Publikum trotzt der leeren Ränge und applaudiert
euphorisch, als Betreiber Arne Höhne die Spielzeit für eröffnet erklärt.
Richtig lohnt es sich für ihn und sein großes Team noch nicht. Aber Höhne
ist froh, dass es überhaupt losgeht. „Vor vier Wochen haben wir damit wegen
der hohen Inzidenzen gar nicht rechnen können“, sagt er und blickt dann
voraus auf die vom Senat bereits angekündigten Lockerungen und die
Sommer-Berlinale, die Mitte Juni unter anderem in diesem Freiluftkino
läuft. „Wir sind Premierenkino“, freut sich Höhne und fügt hinzu, dass er
noch nicht wisse, unter welchen Bedingungen die Filme dann gezeigt werden
können. Aktuell besteht zwar Maskenpflicht jenseits des eigenen
Sitzplatzes; ein negativer Coronatest wird aber wegen der großen Abstände
nicht benötigt, anders als etwa in der Außengastronomie.
Es liegt auch an den für Mai doch sehr dezenten Temperaturen, dass dieser
Abend noch kein euphorisches Filmfest wird mit Popcornrascheln und an
passenden Stellen plöppenden oder umfallenden Bierflaschen. Vielmehr sind
dicke Decken und Mützen hilfreich. Aber es ist ein Anfang. Und an den ab
und an aus dem Park herüberklingenden Technobässen hört man, dass es auch
anderen so geht. Bert Schulz
24 May 2021
## AUTOREN
Uwe Rada
Jacqueline Dinser
Anna Klöpper
Bert Schulz
Andreas Hartmann
Susanne Messmer
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