# taz.de -- Forscherin über Sexroboter: „Robotik hat viel mehr Potenzial“ | |
> Sexroboter sind ein Beispiel, wie technische Entwicklungen einem | |
> männlichen Kanon folgen. Das muss nicht so bleiben, sagt Forscherin Tanja | |
> Kubes. | |
Bild: Roboter „Samantha“ | |
taz: Frau Kubes, Sie arbeiten seit zwei Jahren an Ihrem Forschungsprojekt | |
„Leben und Lieben mit Robotern“. Haben Sie selbst Sexroboter zu Hause? | |
Tanja Kubes: Ich muss Sie enttäuschen, ich habe keinen Sexroboter zu Hause. | |
Die Roboter kosten um die 9.000 Euro. Ich analysiere die [1][Roboter aus | |
einer soziologischen Perspektive] und erhalte meine Informationen und | |
technischen Parameter von den Herstellern. | |
Wie sind Sie dann überhaupt zu diesem Thema gekommen? | |
Ich beschäftige mich schon lange mit soziotechnischen Phänomenen. Für meine | |
Doktorarbeit habe ich die Inszenierung von Hostessen auf Automessen | |
analysiert. Da ist mir aufgefallen, dass viele junge, sehr attraktive | |
Frauen als passive Schauobjekte neben den Autos präsentiert wurden, während | |
die Verkäufer, die das Wissen über die ausgestellten Automobile aktiv an | |
Besucher und Besucherinnen vermitteln, ganz durchschnittliche Männer sind. | |
Oje. | |
Eben. So eine geschlechterdifferente Arbeitsaufteilung muss im 21. | |
Jahrhundert ja nun wirklich nicht sein. Also habe ich die Hersteller | |
gefragt, wie der Job der Hostessen in der Zukunft aussehen könnte. Häufig | |
war die Antwort, dass die Hostessen wohl langfristig durch Roboter ersetzt | |
werden könnten. Diese würden dann nicht nur perfekt aussehen, sondern auch | |
das Wissen über die Autos weitergeben. Ich fand dieses Thema so spannend, | |
dass ich nach meiner Doktorarbeit begann, mich mit „weiblichen“ Robotern zu | |
beschäftigen – und bin so auf die Sexroboter gestoßen. | |
Was genau ist denn ein Sexroboter? | |
Das sind humanoide Roboter, die mit künstlicher Intelligenz (KI) versehen | |
sind. Sie bestehen quasi aus einem starren Körper und einem Kopf, der | |
Funktionalitäten besitzt wie Siri oder Alexa. Die Roboter können sprechen | |
und Emotionen simulieren, haben grundsätzlich einen weiblich geformten | |
Körper, der pornografische Schönheitsideale nachahmt und an eine | |
lebensgroße Barbiepuppe erinnert. Sexroboter sind ein gutes Beispiel dafür, | |
dass neuartige Technikentwicklungen immer noch einem männlichen Kanon | |
folgen. Man spricht hier auch von der I-Methodology, also einer | |
Herangehensweise, bei der in der Technikentwicklung das Produkt nach den | |
Bedürfnissen und Vorstellungen des Entwicklers designt wird. Kurz, wenn | |
Technikentwickler nicht über den eigenen Tellerrand schauen. | |
Also sind sie geformt durch einen „male gaze“, den männlichen Blick? | |
Absolut. Und die sexuelle Funktion beschränkt sich auf unterschiedliche | |
Möglichkeiten der Penetration, als sei dies die einzige Möglichkeit, Sex zu | |
haben. Dass sexuelle Bedürfnisse und Vorlieben ganz unterschiedlich sind, | |
wird nicht bedacht. Auch die Charaktereigenschaften dieser Roboter folgen | |
vermeintlich weiblichen Stereotypen, wie zum Beispiel liebevoll, sinnlich, | |
gesprächig oder hilfsbereit. Die Entwicklungsteams orientieren sich dabei | |
an sogenannten Genderskripten, wie zum Beispiel „Mann verführt Frau“ oder | |
„Männer sind aktiv, Frauen passiv“. | |
Aber können Roboter überhaupt dominant und aktiv sein? | |
Natürlich. Roboter werden so, wie die Entwicklungsteams sie erschaffen. | |
Modelle des Roboterherstellers Boston Dynamics können einen Flickflack oder | |
Rock ’n’ Roll tanzen. Es gibt also definitiv die Möglichkeit, auch | |
Sexroboter nicht passiv zu gestalten. Bei den aktuellen Sexrobotermodellen | |
ist es nur nicht gewollt. Zum Beispiel gibt es Modelle, die einen | |
stereotypen Orgasmus simulieren können. Hierbei wird aber auch wieder nur | |
ein heteronormatives und passiv anmutendes Genderskript aus der Pornografie | |
übernommen. Und das ist schade. | |
Gibt es auch männliche Exemplare? | |
Kaum. Und die wenigen, die es gibt, werden ebenfalls aus einer männlichen | |
Perspektive für eine männliche Kundschaft konstruiert. Auch hier bleibt der | |
Körper komplett starr, und Penetration gilt als Normsex. | |
Sollten Sexroboter also abgeschafft werden? | |
Nein, gar nicht. Ich habe generell nichts gegen Sexroboter. Ich glaube fest | |
daran, dass mit Sexrobotern [2][neue Arten von Beziehungen und Befriedigung | |
erlebt werden können.] Aber eben nicht so, wie sie aktuell konstruiert | |
werden. Wir müssen bei der Technikgestaltung wegkommen vom übersteigerten | |
Naturalismus, von der extremen pornografischen Stereotypisierung und hin zu | |
einer neuen und vielfältigen Art von technischem Gegenüber. | |
Was heißt das konkret? | |
Sexroboter sollen nicht Menschen oder Frauen ersetzen, sondern als | |
zusätzliche Möglichkeit dienen, Sexualität weiter auszuleben. So wie es | |
mittlerweile Druckwellenvibratoren gibt, denen man auf dem ersten Blick | |
nicht mal ansieht, was für einen Zweck sie eigentlich haben. Diese Sextoys | |
bieten eine komplett neue Art von Befriedigung. Die klitorale Stimulation | |
durch Druckwellen ist eine Funktion, die kein Mensch, mag er sich noch so | |
anstrengen, nachmachen kann. | |
Sie haben in der Pressemitteilung Ihrer Forschung geschrieben, dass es | |
queere Roboter geben soll – aber Diversität geht ja über Queerness hinaus, | |
und wie kann ein Roboter überhaupt queer sein? | |
Ja genau, ich spreche in dem Zusammenhang auch von Queerbots. Mir geht es | |
bei dem Begriff queer nicht allein ums Aussehen oder die sexuelle | |
Orientierung, sondern um den queeren Ansatz im Allgemeinen. Die Queer | |
Theory geht davon aus, dass Sexualität, Geschlecht und Begehren Effekte von | |
soziokulturellen Normierungen und Regulierungspraxen sind. Wichtig ist, bei | |
der Technikkonstruktion inhärente Machtverhältnisse und Ausgrenzung | |
offenzulegen und zu hinterfragen. Technikkonstruktionen sind nicht | |
festgeschrieben, sondern fluide und demnach form- und veränderbar. | |
Ich kann mir nicht vorstellen, wie so ein queerer Sexroboter überhaupt | |
aussehen soll. Soll er überhaupt wie ein Mensch aussehen? | |
Ich möchte hier gar nichts vorgeben. Hauptsache, weg von diesem strikten | |
Anthropomorphismus, also der Zuschreibung menschlicher Eigenschaften auf | |
die Roboter. Menschen können ja mit allen möglichen Gegenständen emotionale | |
Bindungen oder sexuelle Beziehungen eingehen. So ein Roboter kann also eine | |
beliebige Zahl frei formbarer Gliedmaßen haben, die vibrieren und einen | |
umschlingen. Er kann wie ein Ball aussehen oder aus Plüsch sein. Man könnte | |
mit Wärme oder Kälte arbeiten. Da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. | |
Aber was ist das Problem daran, wenn Sexroboter aussehen wie reale Frauen? | |
Wenn wir mit solchen Robotern in Zukunft immer häufiger zu tun haben, kann | |
es zu einer symbolischen Übertragung von Sexismen auf Frauen kommen. Es | |
besteht auch die Gefahr, dass, wenn bestimmte Macht- oder Gewaltfantasien | |
immer wieder an frauenähnlichen Robotern praktiziert werden, diese auch auf | |
reale Frauen übertragen werden. | |
Ist es aber nicht besser, wenn Gewaltfantasien an Robotern begangen werden | |
anstatt an Menschen? | |
Das ist eine schwierige ethische Frage, ich bin Soziologin und keine | |
Ethikerin. Es gibt aber durchaus Überlegungen, ob man einen Consent-Modus | |
einbauen sollte. Also eine Funktion, in der der Roboter dem Sex zustimmen | |
muss. Aber was passiert, wenn der Roboter nicht zustimmt und man ihn | |
trotzdem zum Sex nötigt? Da gibt es viele Problematiken, die noch nicht | |
ausreichend diskutiert worden sind. | |
Kann man das nicht mit Computerspielen vergleichen? Nur, weil ein Kind | |
Killerspiele zockt, heißt es nicht, dass es auf der Straße Menschen | |
erschießt. | |
Nein, das kann man meiner Meinung nach nicht vergleichen. Bei einem | |
Computerspiel sitzen Menschen vor Monitoren, die sie irgendwann | |
ausschalten. Ein Roboter in der analogen Welt hat einen ganz anderen | |
Stellenwert – man lebt mit ihm, liebt ihn vielleicht sogar und kommuniziert | |
mit ihm wie mit Menschen auch. Man nimmt ihn deshalb früher oder später als | |
Gegenüber wahr. Gleichzeitig hängt man den Sexroboter an einem Haken auf, | |
wenn man ihn vernünftig aufbewahren möchte. | |
Am Haken? Nicht im Bett? | |
Klar, manche bewahren ihn sicherlich auch im Bett oder auf einem Stuhl auf, | |
aber so ein Roboter ist relativ schwer. Er wiegt um die 40 Kilo. Das | |
Silikon wird also nach einer Weile platt gedrückt, und damit das nicht | |
passiert, nimmt man den Kopf ab und hängt den Rest des Körpers an einem | |
Haken auf. Das sieht schon sehr makaber aus. | |
Sind diese Roboter denn eigentlich schon weit verbreitet? | |
Sie sind aktuell noch ein Nischenprodukt und erst seit kurzer Zeit auf dem | |
Markt. Verlässliche Zahlen gibt es daher noch nicht. Potenzielle Kunden | |
müssen viel Geld, einen Internet- und Stromanschluss haben und die | |
pornografische Ästhetik der aktuellen Modelle mögen. Ich empfinde diese | |
einfältige Technikgestaltung als eine Vergeudung von Möglichkeiten! Die | |
Robotik hat so viel mehr Potenzial! In naher Zukunft werden wir mit | |
Robotern zusammenleben. Auf lange Sicht sollte es deshalb nicht unser Ziel | |
sein, Menschen beziehungsweise Frauen robotisch nachzubilden oder gar zu | |
ersetzen. Das Motto der Zukunft sollte vielmehr sein: Hin zu neuen Optionen | |
und Funktionalitäten, die unser Leben im Allgemeinen und auch im sexuellen | |
Bereich bereichern können. | |
7 Dec 2021 | |
## LINKS | |
[1] http://male%20gaze | |
[2] /Sexroboter-Kongress-in-London/!5371923 | |
## AUTOREN | |
Shoko Bethke | |
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