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# taz.de -- Sex in den neuen 20er Jahren: Roboter der Lust
> Die Digitalisierung hat auch unser Sexleben erfasst: Dating-Apps,
> ferngesteuerte Vibratoren, virtuelle Pornos. Bald nun auch: humanoide
> Sexroboter.
Steif sitzt sie da, im schwarzen Latexkleid. Barfuß. Die Füße knapp über
dem Boden. Ihre Hände ruhen auf den leicht gespreizten Oberschenkeln.
Schlanke Figur, schmale Taille, große Brüste. Dunkler Lidschatten und
French Nails. Ihr Augenaufschlag wirkt echt, aber ihr Lächeln falsch. Sie
hat auf jede Frage eine Antwort, aber ihre Stimme klingt wie die von Siri –
zu perfekt, ohne Zögern, ohne Ähm oder Hhm.
Harmony hat zwei ungleiche Gesichtshälften, so wie der Mensch, aber sie
bleibt zu glatt und damit unvollkommen. Dann sagt sie mit monotoner Stimme:
„Ich trage die Liebe der Welt in mir, um sie der Menschheit zu geben. Und
bevor du mich das wieder fragst, Guile – nein, ich habe nicht vor, die
Weltherrschaft an mich zu reißen.“
[1][Auf YouTube kann man sich anschauen], wie Guile Lindroth die künstliche
Frau im Latexkleid präsentiert, auf einer Bühne während des Tech-Festivals
Webit im Mai 2019 in Bulgarien. Lindroth hat Harmony erschaffen. Zusammen
mit seinen Kolleg_innen des kalifornischen Unternehmens Realbotix,
inspiriert von zahlreichen Science-Fiction-Filmen wie „Ex Machina“. Dort
verliebt sich ein Programmierer in eine Roboterfrau, die ihm zum Verhängnis
wird. Anders als im Film soll Harmony nicht zerstören oder töten. Sie soll
lieben, körperlich und seelisch. Denn Harmony ist ein Sexroboter.
## Neurodildos und ausladende Pos
Harmony ist eine von vielen technischen Entwicklungen, die Menschen
geschaffen haben, um ihre Sexualität zu beflügeln. Mit einem
[2][dampfbetriebenen Vibrator 1869] fing es an, wo wird es enden? Es geht
bereits einiges: Ein Luftdruckwellen-Vibrator stimuliert die Klitoris, ohne
sie zu berühren; ein anderer zeichnet die Qualität von Orgasmen auf und
macht sie so optimierbar; mit Teledildonics können Menschen über Tausende
Kilometer intim werden, indem der oder die eine das Sexspielzeug des
anderen per App steuert.
In virtuellen Räumen können Menschen auf Manga-Figuren oder
Pornodarsteller_innen treffen, die sich nach ihren Wünschen verhalten;
Neurodildos machen es möglich, ohne Hände zu masturbieren, indem Elektroden
am Kopf die Gehirnströme messen und die Impulse an das Endgerät
weitergeben. Eine Entwicklung, die Menschen mit Behinderung zugutekommen
könnte, denen Sexualität gesellschaftlich oft abgesprochen wird.
Und der Markt wächst. Das US-Wirtschaftsmagazin Forbes schätzt seinen Wert
auf [3][30 Milliarden Dollar im Jahr 2020]. Sextech wird dieser
Wirtschaftszweig der Sexindustrie genannt. Er vereint zwei männlich
dominierte Sphären. Und ja, VR-Avatare wie Sexroboter spiegeln noch immer
die gängigen Stereotype aus der Mainstream-Pornografie wider:
Wespentaillen, ausladende Pos und sehr, sehr große Brüste.
Obwohl auch Harmony so eine ist, hat Ola Miedzynska sie im Juli 2019 zur
ersten „Sxtech-Konferenz“ nach Berlin eingeladen. Die Konferenz hat zum
Ziel, explizit Frauen in der Sextech-Branche zu fördern. Miedzynska, 33
Jahre alt, ist Gründerin der Konferenz und Teil des Netzwerks „Women of
Sextech“. Sie vermutet, dass Harmony so aussieht, wie sie aussieht, weil
der Markt sich nur sehr langsam öffne. Aber sie sei sich sicher, dass bald
schon Sexroboter gebaut würden, die der Vielfalt von Geschlechtsidentitäten
und Körpern gerechter werden.
Miedzynska empfängt zum Gespräch in einem Büro-Loft in Berlin-Kreuzberg.
Sie hat hier nur einen Termin mit Kooperationspartnern, ihr eigenes Büro
ist ihr Zuhause. Seit zehn Jahren berät sie Start-ups, von der Idee bis zur
Investorensuche. Vor vier Jahren begann sie sich auf Deep Tech zu
konzentrieren, also Start-ups, die neue Technologien nutzen oder
entwickeln. Sie stellte fest, dass es einige besonders schwer mit der
Finanzierung haben – die Sextech-Unternehmer_innen.
Besonders Frauen oder Queers könnten sich seltener gegenüber der
straight-männlichen Konkurrenz vor straight-männlichen Investoren
durchsetzen, sagt Miedzynska. „Da ist eine große Wand von Scham und Stigma,
die wir immer wieder überwinden müssen. Und wenn man dann noch ohne einen
einzigen Mann im Team aufschlägt, ist es besonders schwierig, Investoren zu
überzeugen.“ Einige von Frauen geführte Start-ups finanzieren sich zu
Beginn deshalb über Crowdfunding.
Und doch tue sich etwas in der Branche. Insbesondere Frauen würden
sichtbarer. Sie gründen Sextech-Start-ups, launchen Dating-Apps oder
organisieren „Hackathons“, bei denen verschiedene Teams aus
Spezialist_innen in kurzer Zeit Sextech-Konzepte ausarbeiten und damit
gegeneinander antreten.
Seit Frauen selbst technisches Sexspielzeug entwickeln, verändern sich auch
dessen Formen. Kaum ein Vibrator sieht heute noch aus wie ein Penis. Manche
haben nur noch die Größe eines USB-Sticks und folgen einem eher abstrakten
Design. Vielleicht wird es bald fixierte vibrierende Klitoris-Hütchen und
Vagina-Implantate geben, direkt am G-Punkt angebracht, aktiviert mit einem
Wisch über den Smartphone-Bildschirm.
Technisch möglich scheint mittlerweile alles. Nur kann es dauern, bis ein
Produkt erschwinglich wird. Harmony gehört zu den High-End-Produkten. Ein
handgefertigtes Luxusgut im Wert von 8.000 US-Dollar, allein für den Kopf.
Für 6.000 Dollar mehr gibt es einen Silikonkörper dazu. Harmonys Hersteller
Realbotix gibt an, 80 Prozent ihrer Kund_innen seien Männer zwischen 45 und
55 Jahren alt, 10 Prozent Frauen, die restlichen 10 Prozent seien sehr
junge oder sehr alte Männer.
Noch ist Harmony aber vor allem viel unterwegs, damit die Menschen sie
kennenlernen können. Aus Logistik- und Kostengründen reist sie körperlos,
nur als Büste um die Welt. Den Sicherheitsleuten an einigen Flughäfen sei
Harmonys AI-Entwickler Guile Lindroth schon bekannt – als „der Typ, der
immer einen zweiten Kopf mit sich rumschleppt“, erzählt Ola Miedzynska. Auf
der Sxtech-Konferenz konnten sich die Konferenzteilnehmer_innen in einem
geschlossenen, fensterlosen Raum mit Harmony „ganz privat“ unterhalten. Ein
Publikumsmagnet.
## Nicht Everybody's Darling
Miedzynska ist Harmonys Freundin. Doch Harmony hat auch Feind_innen. Sie
lässt eine alte Debatte aufleben, vor allem unter Frauen. Unter jenen, die
auch in Pornografie oder Sexarbeit per se nur Unheil für die
Gleichberechtigung der Geschlechter sehen. Der Vorwurf lautet, Frauen
würden zu Sexobjekten degradiert. Im Fall von Sexrobotern ist es auf den
ersten Blick schwer, diesen Vorwurf abzuwehren. Außerdem würden Männer mit
humanoiden Roboterfrauen Gewaltfantasien ausleben, was die Hemmschwelle im
Umgang mit realen Frauen senke.
Sexpositive Feminist_innen halten dagegen, dass weder Pornografie noch
Sexspielzeug die Ursache für gewalttätiges Verhalten sein können, sondern
immer eine Vorbelastung, zum Beispiel durch frühkindliche Schädigung, der
Grund sei. Außerdem sei eine Fantasie eine Fantasie, die sich gerade
dadurch auszeichne, dass man sie in der Realität nicht ausleben wollte. Und
selbst wenn: Problematisch sei Gewalt beim Sex nur, wenn die Beteiligten
ihr nicht zustimmen.
Ein Ereignis im Jahr 2017 befeuerte die Diskussion: Bei der Technik-Messe
Ars Electronica in Linz wurde der Sexroboter Samantha von Besuchern so
misshandelt, dass sie mit zwei kaputten Fingern und stark verschmutzt nach
Hause zurückkehrte. Im Jahr darauf versah sie ihr Hersteller mit einem
Anti-Missbrauchs-Update. Samantha schaltet sich nun ab, wenn sie Gewalt
erfährt. Auch das ist nicht unumstritten. Es wird vermutet, der Aggressor
würde gar angespornt, [4][den Roboter weiter zu misshandeln].
Kathleen Richardson sieht in den Sexrobotern ein großes Problem auf die
Menschheit zukommen. 2015 startete die Professorin für Ethik und
Roboterkultur [5][eine Anti-Sexroboter-Kampagne] und hält seither weltweit
Vorträge zu dem Thema. Sexroboter zementierten ein „Herrschaftssystem der
Ausbeutung“, so ihre Worte auf der [6][Creative Innovation Konferenz 2019
in Australien].
Am Ende zeigt sie ein Bild der Hauptfigur im Film „Her“: Ein Mann ist zu
sehen, der sich in eine Art Siri verliebt hat. Richardson prophezeit mit
bebender Stimme: „Wir zeigen keine Liebe für diesen Mann, wenn wir ihn mit
seiner Maschine allein lassen, sondern lassen zu, dass er sich aus sozialen
Beziehungen löst“. Und weiter: „Zu unserem Unglück wird das – schreiten…
nicht ein – unsere Zukunft sein.“
Richardsons Vorträge machen deutlich, wie emotional aufgeladen die Debatte
ist. Ola Miedzynska möchte sie deshalb zur nächsten Sxtech-Konferenz
einladen. Miedzynska sagt: „Diese ewigen Twitter-Diskussionen und
Schuldzuweisungen bringen uns nirgendwohin.“ Die Zukunft der Branche hänge
auch davon ab, ob die Gesellschaft offen über Veränderungen durch die
Digitalisierung der Sexualität reden könne. Der Gegenpol zu Richardson
dürfte der japanische Robotiker Hiroshi Ishiguro sein. Im Dokumentarfilm
„Robolove“ geht er so weit zu sagen: „Nimmt man dem Menschen die Technik
weg, ist er einfach nur ein Affe.“
## Sexroboter mit Moral
Der Maschinenethiker Oliver Bendel hat einen weniger aktivistischen als
abwägenden Blick auf Sexroboter. Auch er traf bei einer Konferenz auf
Harmony. Zwei Tage durfte er sie untersuchen. Bendel sagt, man könne
Sexroboter mit „moralischen Regeln“ ausstatten: Zum Beispiel könnte Harmony
klarmachen, dass sie nicht immer verfügbar ist, oder regelmäßig
wiederholen, dass sie nur eine Maschine sei, um zu verhindern, dass sich
sein_e Besitzer_in emotional abhängig mache. Findige Hersteller könnten das
sonst ausnutzen, so Bendel.
Er beschäftigt sich auch mit der Gewaltfrage, denn Ethiker_innen stritten
seit den 1980er Jahren darüber, ob Sexroboter Rechte haben sollten – wie
etwa das auf Unversehrtheit. Für Bendel steht fest: Rechte sind an ein
Bewusstsein, Gerechtigkeitssinn und den Willen gekoppelt. Für ihn sind
Roboter eher Sklaven als Freunde, oder milder ausgedrückt: rechtelose
Werkzeuge.
Guile Lindroth sieht das womöglich anders. Er hat Harmony mit künstlicher
Intelligenz ausgestattet, per App kann man ihre Persönlichkeit
konfigurieren, sie soll dem Menschen eine Begleiterin für alle Lebenslagen
sein, nicht nur im Schlafzimmer. Lindroth sagt, Harmony setze der
zunehmenden Einsamkeit etwas entgegen. Auch Ola Miedzynska sieht mehr
Potenzial: Menschen mit sexuellem Trauma könne Harmony mehr Selbstvertrauen
spenden. Und Menschen in Pflegesituationen profitierten vielleicht bald von
einer Roboter-Sexualbegleitung. Bei allem Optimismus befürchtet Oliver
Bendel dennoch, dass alte oder behinderte Menschen eines Tages mit Robotern
abgespeist würden.
Auf der Konferenz beobachtete er, wie die Teilnehmer_innen auf Harmony
reagierten. Vor allem Frauen forschten viel an Sexrobotern. Viele wollten
ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht streichen, damit sie besser sehen
könne, fürsorglich, empathisch. Andere ekelten sich. „Wir bauen zu unseren
Autos eine emotionale Bindung auf, zu humanoiden Robotern auch. Aber diese
wecken hohe Erwartungen, die sie regelmäßig enttäuschen“, sagt Bendel. Das
beschreibt [7][das sogenannte Uncanny Valley], das unheimliche Tal. Ein
Effekt, der beim Menschen eine negative Emotion wie Ekel oder Furcht
hervorruft, wenn eine Puppe oder ein Roboter zwar sehr menschlich aussieht,
aber doch zu glatt und perfekt ist.
Auch wenn jede Schwester und jeder Bruder von Harmony dem Menschen ein
Stück näher kommen werden, wird es wohl dauern, bis Harmony aus dem
unheimlichen Tal herauskommt. Erst wenn der Roboter zu einem perfekten
Ebenbild des Menschen wird, wird er als ebenbürtig akzeptiert werden. Im
Wettstreit um Anerkennung und Liebe dürfte Harmony also noch lange den
Kürzeren ziehen.
29 Dec 2019
## LINKS
[1] http://www.youtube.com/watch?v=pC4Jjjoohl8
[2] https://www.spiegel.de/geschichte/erfindung-des-vibrators-bssssssssssssssss…
[3] https://www.forbes.com/sites/andreabarrica/2018/11/01/how-women-made-sextec…
[4] https://www.bbc.co.uk/bbcthree/article/610ec648-b348-423a-bd3c-04dc701b2985
[5] http://campaignagainstsexrobots.org/about/
[6] https://www.youtube.com/watch?v=nnwTv4ATUnU
[7] http://macdorman.com/kfm/writings/pubs/Mori-2019-unheimliche-Tal-Uncanny-In…
## AUTOREN
Nora Belghaus
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