| # taz.de -- Symposium zu Körperbildern: Warum lieben Maschinen anders | |
| > Ein dreitägiges digitales Symposium des Museums Brandhorst erklärt unter | |
| > anderem der Zusammenhang von Rassismus und Technologie. | |
| Bild: Mark Leckey, UniAddDumThs, Kunsthalle Basel, 2014-fortlaufend, Detail aus… | |
| „Jeder Mensch ist ein Künstler“, schreibt Josef Beuys und meint: | |
| Kreativität wird immer Wege finden, in Erscheinung zu treten. Kunst wird | |
| immer Schranken durchbrechen, weil sie sich äußern muss. Jeder Einzelne ist | |
| für die Gestaltung der Gesellschaft verantwortlich. Immer. | |
| In diesen Kontext lässt sich ein Symposium des Museums Brandhorst | |
| einordnen, das zwischen dem 21. und 23. Januar digital live ging und auf | |
| dem [1][Youtubekanal des Museums] dauerhaft einsehbar ist. Es befasst sich | |
| mit Körperbildern seit den 1950er Jahren und mit den Zusammenhängen | |
| zwischen Skulptur, Technologie und Sex – mit „Future bodies from a recent | |
| past“. Denn aus der Art, wie Körper gesellschaftlich definiert werden, | |
| ergibt sich, wie sie abgebildet werden, in der Bildhauerei, als Skulpturen | |
| – genauso wie in der Technologie, als Roboter. | |
| „Das Begehren der Objekte – Sklaverei und das Sexualleben von Maschinen“ | |
| ist der Vortrag von Louis Chude-Sokei überschrieben. Die Frage, die der | |
| Klangkünstler, Autor und Wissenschaftler aufwirft, ist die vielleicht | |
| radikalste, die in diesem Zusammenhang zu stellen ist: Er bringt tradierte | |
| Körperwahrnehmungen mit sexuellen Zuschreibungen und mit einer tiefen, in | |
| der Sklaverei verwurzelten Form von Rassismus zusammen. Wie verschieden | |
| werden Körper unterschiedlicher Hautfarbe in der öffentlichen Wahrnehmung | |
| sexualisiert? Welche Attribute werden ihnen zugeschrieben, und wie lassen | |
| die sich historisch herleiten? | |
| Die radikale und daher schmerzhafte, aber durchweg überzeugende These | |
| seines digitalen Impulsvortrags ist folgende: Die Zuschreibungen, die | |
| schwarze Körper bis heute in der Öffentlichkeit erfahren, ähneln denen von | |
| Maschinen und umgekehrt – und andererseits steht sich beides diametral | |
| entgegen. In weniger als einer halben Stunde bringt er seinen komplexen | |
| Gedankengang auf den Punkt – und zeigt, was ein Impulsvortrag im besten | |
| Falle leisten kann: Gedankenanstöße setzen, die sich ins Gehirn einbrennen | |
| und die Sichtweise der Zuhörer dauerhaft verändern. | |
| Menschlichkeit abgesprochen | |
| In der modernen Gesellschaft werden Maschinen und KI als Ausdrucksform | |
| kühler Rationalität gesehen. Roboter werden in der Sprache vermenschlicht | |
| als „Hausdiener“ und führen Funktionen aus, die früher von Sklaven | |
| ausgeführt wurden und denen damit ihre Menschlichkeit abgesprochen wurde. | |
| Stark vereinfacht: Objekte werden mit Menschen, Menschen mit Objekten auf | |
| eine Stufe gestellt. | |
| Zugleich werde der schwarze Körper – insbesondere der weibliche – | |
| traditionell stark sexuell überladen. Auch dies degradiere ihn zum Objekt, | |
| das nur in Bezug auf ein anderes Individuum, auf ein Subjekt, eine (dem | |
| untergeordnete) Existenzberechtigung habe. Während der weiße Körper seit | |
| der Industrialisierung in Literatur und Kunst als „elaboriert“ und rational | |
| geframt wird, werde der schwarze mit primitivsten sexuellen Konnotationen | |
| belegt. | |
| Rassismus und künstlerischer Ausdruck seien besonders eng verknüpft, seit | |
| die Industrialisierung in der westlichen Welt die Trennung des Geistes und | |
| der Rationalität auf der einen – und der Emotion und des Triebes auf der | |
| anderen Seite eingeführt habe. Erstere wird mit dem denkenden Subjekt | |
| verknüpft, letztere Objekten zugeschrieben. | |
| Sexroboter und Cybersex treiben den Gedanken der Entmenschlichung noch auf | |
| die Spitze und – erneut stark vereinfacht – schließen den Kreis zwischen | |
| der Betrachtung von Robotern und Sklaven. | |
| Beispiele aus Popkultur und Literatur | |
| Der Autor und Wissenschaftler lehrt zum Verhältnis von Technologie und | |
| „race“ in der westlichen Moderne an der Boston University, wo er auch das | |
| African American Studies Program leitet. In seinen Texten – Louis | |
| Chude-Sokei ist Chefredakteur des Magazins The Black Scholar und gründete | |
| das Klangkunstprojekt „Echolution“ – findet er zahlreiche Quellenbeispiele | |
| in der Populärkultur und Literatur, wie Schwarzen seit der Sklaverei und | |
| seit der Industrialisierung durch die „weiße“ Deutungsart ihre | |
| Menschlichkeit abgesprochen wird, und setzt dem eine kreolische Perspektive | |
| der Vermischung entgegen. | |
| Betont sei, dass die Annäherung an erklärende Konzepte für Alltagsrassismus | |
| in unbedingter Offenheit geschehen muss, wie die | |
| Black-Lives-Matter-Bewegung unmissverständlich klargestellt hat. So kann | |
| sich auch die Autorin dieses Textes an Chude-Sokeis Gedanken nur annähern, | |
| sie aber nicht abschließend „erklären“ – weil die gelebte Erfahrung feh… | |
| Und gerade deshalb ist es ein einmaliges Verdienst der Kuratorin Patrizia | |
| Dander, die für dieses Symposium verantwortlich zeichnet, dass sie den | |
| komplexen Fragestellungen trotz der damit verbundenen Schwierigkeiten nicht | |
| ausweicht – sondern ihre eigenen Entdeckungen teilt, ihre Sichtweise in | |
| einfühlsamen Moderationen transparent macht und durch ihre verstehende | |
| Haltung nicht unmittelbar zugängliche Beiträge durch intellektuell | |
| scharfsinnige Interventionen für die Zuschauer einordnet. | |
| So wird das Symposium zu einem überzeugenden Beispiel, dass eine Zeit, die | |
| kulturelles Leben so stark einschränkt und eine Begegnung mit Künstlern und | |
| insbesondere Kunstobjekten auf nicht absehbare Dauer unmöglich macht, ganz | |
| neue Formen von Kreativität hervorbringt – und damit auch eine neue | |
| Verantwortung für Kulturschaffende. Dander interpretiert diese | |
| Verantwortung als das Angebot einer geführten Begegnung mit Gedanken – die | |
| das Museum digital ausspielt und damit demokratisiert. Bravo. | |
| 27 Jan 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.youtube.com/watch?v=hGmV3iqaNRg | |
| ## AUTOREN | |
| Johanna Schmeller | |
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