# taz.de -- Zertifizierung von Nord Stream 2: Gazprom schaut in die Röhre | |
> Die Bundesnetzagentur stoppt die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 aus | |
> formalen Gründen. Zudem klagt die Deutsche Umwelthilfe gegen das Projekt. | |
Bild: Noch sind die Ventile der Nord-Stream-2-Rohre zu | |
BERLIN taz | Die Gaspipeline Nord Stream 2 bleibt wohl noch länger | |
verschlossen als angenommen. Am Dienstag erklärte die | |
[1][Bundesnetzagentur] in Bonn, sie habe das Zertifizierungsverfahren für | |
die beiden Rohrleitungen „vorläufig ausgesetzt“. Das ist ein formaler | |
Schritt, der keine grundsätzliche Bedeutung für die Inbetriebnahme des | |
umstrittenen Projekts haben muss. In jedem Fall aber führt er zu einer | |
Verzögerung um mindestens einige Monate. | |
Wäre das Zertifizierungsverfahren ohne Komplikationen durchgelaufen, hätte | |
der russische Konzern Gazprom im kommenden Frühjahr mit der Genehmigung | |
rechnen können. Denn technisch sind die beiden Leitungen durch die Ostsee | |
fertig, das Gas wartet in den Röhren, aber die Ventile sind noch zu. | |
Gazprom gehört die Projektgesellschaft Nord Stream 2. An der Finanzierung | |
beteiligt sind die Energie-Unternehmen Uniper, Wintershall Dea | |
(Deutschland), Engie (Frankreich), OMV (Österreich) und Shell | |
(Niederlande). Diese sowie die russische und die deutsche Regierung haben | |
das fast 10 Milliarden Euro teure Projekt gegen die EU, USA, Polen und die | |
Ukraine durchgedrückt. Umstritten ist die Pipeline unter anderem, weil sie | |
die bisherigen Gas-Transitländer Ukraine und Polen umgeht und diese deshalb | |
politischen Erpressungen aus Russland ausliefern könnte. | |
Um die Röhren in Betrieb nehmen zu können, fehlt noch die Zertifizierung | |
als „unabhängiger Netzbetreiber“. Den Antrag darauf hat die Nord Stream 2 | |
Aktiengesellschaft bei der Bundesnetzagentur gestellt, einer nachgeordneten | |
Behörde des Bundeswirtschaftsministeriums. | |
## Nord Stream AG sitzt außerhalb der EU | |
Allerdings sitzt die Nord Stream AG in Zug in der Schweiz, außerhalb der | |
Europäischen Union. Das ist jetzt der wesentliche Grund für die | |
Unterbrechung des Verfahrens. „Eine Zertifizierung eines Betreibers der | |
Leitung Nord Stream 2 kommt nur dann in Betracht, wenn der Betreiber in | |
einer Rechtsform nach deutschem Recht organisiert ist“, erklärte die | |
Netzagentur. | |
Gazprom muss nun also eine deutsche Tochter gründen, die den Teil der | |
Pipeline kontrolliert, der in deutschem Hoheitsgebiet verläuft. Das kann | |
dauern. Man muss Personal einstellen und die „Vermögenswerte übertragen“, | |
wie die Netzagentur mitteilte. Dann darf Nord Stream einen neuen Antrag | |
stellen, und das Verfahren läuft weiter. Als „regulatorische Naivität“ | |
bezeichnet Energiepolitiker Oliver Krischer (Grüne), dass Gazprom diese | |
Probleme nicht vorhergesehen habe. Offenbar hat sich der Konzern schlecht | |
auf das Zertifizierungsverfahren vorbereitet. | |
Die Zertifizierung stellt eine formale Hürde dar, die der Pipeline jedoch | |
nicht grundsätzlich im Wege steht. Sie ist nötig, seit die | |
[2][EU-Gasrichtlinie] erweitert wurde. Die französische Regierung lehnte | |
Nord Stream 2 ab, die Bundesregierung befürwortete das Projekt. Als | |
Kompromiss einigte man sich auf den zusätzlichen Verfahrensschritt. Im | |
Prinzip ändert sich jedoch nichts, wenn die deutsche | |
Nord-Stream-Gesellschaft als angeblich „unabhängiger Netzbetreiber“ 100 | |
Kilometer Pipeline in deutschem Hoheitsgebiet besitzt. Gazprom kontrolliert | |
nach wie vor das gesamte Unternehmen und bestimmt die Lieferpolitik. | |
## Altmaier unterstützt das Projekt | |
Das Bundeswirtschaftsministerium begrüßte die Unterbrechung des Verfahrens. | |
Grundsätzlich unterstützt Peter Altmaier (CDU), der scheidende Minister, | |
das Projekt aber. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt plädierte dafür, | |
die Pipeline „auf Sicht“ zu ermöglichen. | |
Dagegen forderte Sascha Müller-Kraenner, der Geschäftsführer der Deutschen | |
Umwelthilfe (DUH), die mögliche neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und | |
FDP auf, den Spielraum zu nutzen, [3][„die Inbetriebnahme dieses größten | |
fossilen Infrastrukturprojektes in Europa zu stoppen]“. Müller-Kraenner | |
verwies auf „Fristen im Energiewirtschaftsgesetz“, die „längst abgelaufe… | |
seien. | |
Am Dienstag fand in Sachen Nord Stream 2 auch eine Verhandlung vor dem | |
Oberverwaltungsgericht Greifswald statt. Die DUH klagt dort gegen die Bau- | |
und Betriebsgenehmigung für die Pipeline. Begründung: Klimaschädliche | |
Methan-Emissionen seien bei der Genehmigung nicht ausreichend | |
berücksichtigt worden. Bei Redaktionsschluss war die Verhandlung noch im | |
Gange. | |
Ob die neue Pipeline sinnvoll oder gefährlich ist, wird derzeit breit | |
diskutiert. Für sie spricht, dass Deutschland in den kommenden 25 Jahren | |
noch viel Erdgas braucht, weil die erneuerbaren Energien erst ausgebaut | |
werden müssen. Auch mit einer Verbesserung der europäisch-russischen | |
Beziehungen argumentieren die Befürworterinnen und Befürworter. | |
Ein Gegenargument ist die dann zunehmende Abhängigkeit von russischem Gas | |
und das daraus resultierende Erpressungspotenzial seitens der russischen | |
Regierung. Außerdem ist Erdgas eine fossile Energiequelle, die den | |
Klimawandel weiter vorantreibt – das Gegenteil dessen, was etwa bei der | |
jüngsten Klimakonferenz in Glasgow beschlossen wurde. | |
16 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/2021… | |
[2] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX%3A32009L0073 | |
[3] https://www.presseportal.de/pm/22521/5012995 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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