# taz.de -- Gewerkschafterin über die Klimafrage: „Wir rufen nicht einfach K… | |
> Christiane Benner ist zweite Vorsitzende der IG Metall. Im Interview | |
> spricht die Gewerkschafterin über Tesla, Greta Thunberg und den Kampf | |
> gegen rechte Hetze. | |
Bild: Christiane Benner zu Tesla: „Willkommen im Land der Mitbestimmung!“ | |
taz: Frau Benner, Tesla wird in Kürze in seiner neuen „Gigafactory“ in | |
Brandenburg die ersten E-Autos vom Band rollen lassen. Tesla-Chef Elon Musk | |
ist bekannt dafür, [1][nicht gerade besonders gewerkschaftsfreundlich] zu | |
sein. Was glauben Sie, welche Stellung wird die IG Metall bei Tesla haben | |
können? | |
Christiane Benner: Wir machen Angebote für die Menschen, die jetzt | |
anfangen, bei Tesla zu arbeiten. Das heißt, dass wir zunächst die | |
Beschäftigten von der guten Arbeit der IG Metall überzeugen wollen. Ich | |
denke, dass uns das auch gelingen wird. Wir gehen mit Tesla so um wie mit | |
jedem Unternehmen, das sich neu gründet. | |
Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach hat verkündet, er habe nach | |
langen Gesprächen die Zusage von Tesla erhalten, die Anwendung deutschen | |
Arbeitsrechts zuzulassen und sich auch einer Betriebsratsbildung nicht in | |
den Weg zu stellen. Freut Sie das? | |
Dass ein Konzern verspricht, sich an Recht und Gesetz zu halten, ist kein | |
Grund zur Freude, sondern eine Selbstverständlichkeit. Ich habe eine Zeit | |
lang in den USA gelebt und weiß daher, dass es dort autokratischere | |
Vorstellungen von Unternehmensführung gibt. Das ändert aber nichts an den | |
Regeln in Deutschland: Willkommen im Land der Mitbestimmung! | |
Steinbach hat auch betont, dass es keine Zusage von Tesla gibt, einen | |
Tarifvertrag abzuschließen. Droht der IG Metall eine ähnliche | |
Auseinandersetzung wie Ver.di bei Amazon? | |
Um darüber zu spekulieren, ist es viel zu früh. Das Tesla-Werk ist doch | |
noch nicht einmal eröffnet. Wir gehen jetzt Schritt für Schritt voran. Als | |
Erstes gilt es, den Beschäftigten gewerkschaftliche Organisation zu | |
ermöglichen. Der nächste Schritt wäre dann die Gründung eines | |
Betriebsrates. Und wenn die Beschäftigten es wollen, schauen wir | |
schließlich, wie es in Richtung Tarifbindung gehen könnte. Das ist | |
zumindest der Weg, der in anderen Unternehmen üblich ist. Tarifverträge | |
gibt es aber nie geschenkt, sondern nur mit solidarischen Belegschaften und | |
gewerkschaftlicher Organisationsstärke. | |
Das Tesla-Werk steht für den Transformationsprozess weg vom Verbrenner hin | |
zur E-Mobilität. In den Belegschaften der klassischen Autokonzerne und bei | |
deren Zulieferern gibt es große Ängste, wie sicher ihre Arbeitsplätze noch | |
sind. Wie geht die IG Metall damit um? | |
Es lässt sich nicht bestreiten, dass der Strukturwandel erhebliche Risiken | |
für die Beschäftigung in Teilen der Automobilindustrie birgt. Denn mit den | |
neuen Technologien und Produkten ändern sich die Produktionsstrukturen und | |
-prozesse sowie die Qualifikationsanforderungen zum Teil grundlegend. Wir | |
müssen den Beschäftigten Sicherheit geben. Sie wollen schlicht wissen: Habe | |
ich auch in den nächsten Jahren noch einen Arbeitsplatz? | |
Was bedeutet das konkret? | |
Es wird sich eine Menge verändern. Vor allem für jene, die bei Zulieferern | |
in der zweiten und dritten Reihe der Wertschöpfungskette beschäftigt sind, | |
die heute noch häufig am Verbrenner hängen. Durch grüne Technologien | |
entstehen auf der anderen Seite auch Arbeitsplätze. Entscheidend ist, dass | |
dieser Transformationsprozess mit den Beschäftigten und nicht gegen sie | |
organisiert wird. Nur so können wir den Menschen die Befürchtungen nehmen. | |
Es gibt Veränderung, aber wir nehmen euch dabei mit, wir machen das mit | |
euch gemeinsam – das ist die Botschaft, die wir vermitteln wollen. | |
Wie soll das gelingen? | |
Keine Frage, viele Berufsfelder verschieben sich oder verschwinden. Aber es | |
entstehen dafür neue. Da geht es dann ganz zentral um Qualifizierung und | |
Weiterbildung ebenso wie um eine neue Verteilung beim Arbeitsvolumen, | |
beispielsweise durch eine Viertagewoche. Damit können wir mehr | |
Beschäftigte im Produktionsablauf halten. Das haben wir ja auch schon in | |
einigen Betrieben gemacht. Nötig sind außerdem passgenaue Instrumente, | |
damit die Transformation in den besonders betroffenen Regionen gelingen | |
kann – und zwar frühzeitig. Wichtig sind dafür regionale Innovations- und | |
Transformationscluster, um die wirtschaftliche Leistungs- und | |
Wandlungsfähigkeit einer Region, die heute stark vom Fahrzeugbau abhängt, | |
zu erhalten und langfristig zu stärken. Also: Wir brauchen öffentliche | |
Investitionen und Qualifizierung. | |
Was glauben Sie: Findet die Mehrheit der IG-Metall-Mitglieder Greta | |
Thunberg gut oder schlecht? | |
Wir haben dazu keine Befragung gemacht. Aber ich vermute, dass die Mehrheit | |
der Mitglieder wohl eher keine glühenden Anhänger sind. | |
Und wie ist das bei Ihnen? | |
Die Klimafrage lässt sich nicht ignorieren. Sonst haben wir bald keinen | |
bewohnbaren Planeten mehr. [2][Greta Thunberg und Fridays for Future] haben | |
einen enormen Turbo in den ökologischen Teil der Debatte gebracht, das muss | |
man anerkennen. Was fehlt, ist die soziale Komponente. Wir müssen soziale | |
und ökologische Transformation zusammenkriegen. Es geht darum, die Pariser | |
Klimaziele einzuhalten und gleichzeitig gute und sichere Arbeit in der | |
Industrie von morgen zu sichern. | |
Bisher schien uns die IG Metall nicht gerade an der Spitze der | |
Klimabewegung zu stehen. | |
Wir rufen nicht einfach „Klima“, sondern benennen auch die Voraussetzungen | |
und Schritte für einen Umstieg. Wir haben mit dem BUND ein gemeinsames | |
Forderungspapier vorgelegt, in dem wir von der kommenden Bundesregierung | |
verlangen, die konkrete Umsetzung der Energie- und Mobilitätswende in den | |
Mittelpunkt ihres Handelns zu stellen. Bis 2030 braucht es öffentliche | |
Zukunftsinvestitionen in Höhe von 500 Milliarden Euro. Die Lasten müssen | |
gerecht verteilt, die notwendigen Investitionen durch solidarische | |
Finanzierung getragen werden. Wir wollen einen „FairWandel“, eine | |
Transformation, die gleichermaßen sozial, ökologisch und demokratisch ist. | |
Da muss die Koalition jetzt liefern. | |
Haben Sie da die Basis hinter sich? Bei der Bundestagswahl war unter | |
Gewerkschaftsmitgliedern die Zahl an AfD-Wähler:innen überdurchschnittlich | |
hoch. | |
10,3 Prozent gesamt versus 12,3 bei Gewerkschaftsmitgliedern. Unsere | |
Haltung lässt da keinen Zweifel: Klare Kante gegen Rassismus und jegliche | |
Form von Menschenfeindlichkeit! Allerdings sollte genau hingeschaut werden. | |
Es gibt je nach Alter signifikante Unterschiede. Bei den jungen Leuten ist | |
die AfD-Affinität nicht hoch, bei den Frauen übrigens auch nicht. Wir | |
stellen die höchste Affinität zur AfD in der Gruppe der 35- bis 50-Jährigen | |
fest, wo besonders viele von den ganzen Veränderungen verunsichert sind. | |
Aber da muss man einfach in die Auseinandersetzung gehen. Betriebe sind | |
durch die Mitbestimmung Orte der Integration, und das lassen wir uns nicht | |
kaputtmachen. In der Metall- und Elektroindustrie gibt es Unternehmen, die | |
vereinen unter ihren Beschäftigten über 100 verschiedene Nationalitäten. Da | |
geht es darum, zusammenzuhalten. Unsere Vielfalt macht uns stark und wir | |
werden sie gegen rechte Hetzer konsequent verteidigen! | |
Wie hoch ist der Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte in der IG | |
Metall? | |
Fast jedes vierte Mitglied hat eine Migrationsgeschichte. Das entspricht | |
dem Anteil an der Gesamtbevölkerung. Die Gewerkschaft ist also ein Spiegel | |
der Gesellschaft, was ungewöhnlich ist für eine politische Großorganisation | |
in Deutschland. Bemerkenswert ist, dass der Anteil unter den Betriebsräten | |
und den Vertrauensleuten höher ist. Rund 34 Prozent der | |
IG-Metall-Vertrauensleute haben eine Migrationsgeschichte. | |
Wie erklären Sie sich das? | |
Von großer Bedeutung ist, dass die Gewerkschaft und der Betrieb lange Zeit | |
für Migrantinnen und Migranten die einzigen Orte waren, an denen sie eine | |
Chance auf demokratische Teilhabe und Bildung besaßen. Man konnte schon | |
seit 1972 auch ohne deutschen Pass in den Betriebsrat gewählt werden. | |
Sie haben Gewerkschaftsmitglieder mit Migrationsgeschichte aktuell für eine | |
Studie befragen lassen. | |
Sie ist soeben fertig geworden. Das gewerkschaftliche Engagement zieht sich | |
durch die Generationen: Aktive Kolleginnen und Kollegen mit | |
Migrationsgeschichte ermuntern andere, sich ebenfalls zu engagieren. | |
Fast alle Befragten beschreiben die IG Metall als politische Heimat und | |
Solidargemeinschaft. | |
Trotzdem sind Menschen mit Migrationsgeschichte in den Führungspositionen | |
der IG Metall unterrepräsentiert. Unter den sieben geschäftsführenden | |
Bundesvorstandsmitgliedern ist niemand zu finden. | |
Wohl wahr. Aber immerhin sind wir mit zwei Frauen vertreten. Bei den 29 | |
ehrenamtlichen Vorstandsmitgliedern sieht es etwas besser aus. Doch es | |
stimmt schon: [3][Da ist Luft nach oben]. Das gilt auch für die | |
Betriebsratsspitzen, der Anteil liegt dort derzeit bei 10 Prozent. Aber | |
Beispiele wie Ergun Lümali bei Daimler oder Daniela Cavallo bei VW zeigen, | |
dass sich etwas bewegt. Wir sind so stark gerade auch wegen der vielen | |
Menschen mit Migrationsgeschichte. Sie prägen die IG Metall ganz | |
entscheidend, nach den Betriebsratswahlen 2022 sicher noch mehr. | |
29 Nov 2021 | |
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[1] /Einwendungen-gegen-Tesla-Fabrik/!5808228 | |
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[3] /Gesellschaftliche-Elite-in-Deutschland/!5720757 | |
## AUTOREN | |
Anja Krüger | |
Pascal Beucker | |
Ralf Pauli | |
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