Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ungleichbehandlung im Schwimmbad: Nur Männer dürfen Brüste zeigen
> Als Mina Berger* in einem Göttinger Schwimmbad ihr Oberteil auszieht,
> wird sie rausgeworfen. Ein Bündnis gegen Ungleichbehandlung wehrt sich.
Bild: Wer als männlich gelesen wird, kann sich im Freibad problemlos oben ohne…
Bremen taz | Mina Berger* wollte eigentlich nur entspannen, als sie an
diesem Tag im August ins Badeparadies Eiswiese ging. Deshalb legte sie sich
ins Solebecken des Göttinger Schwimmbads – und zog dort ihr Oberteil aus.
Weil sie sich dann wohler fühlt, wie sie der taz in einem Videocall
erzählt. Und schließlich hätten um sie herum einige Menschen – Männer –
einen nackten Oberkörper gehabt, nur würden [1][deren Brustwarzen nicht als
Sexualorgane] wahrgenommen. Ihre schon. „Das ist einfach eine
Ungleichbehandlung“, begründet sie ihr Motiv für das Oben-Ohne-Baden. „Ich
will nicht, dass Körper gegen den Willen der Person sexualisiert werden.“
Doch diesem Gedanken konnten weder die Bademeister des Bades folgen, die
die 30-Jährige, die alleine gekommen war, zu zweit aus dem Bad warfen –
noch Andreas Gruber, Geschäftsführer der Göttinger Sport- und Freizeit
GmbH, einem städtischen Unternehmen, der unter anderem das Badeparadies
betreibt. Er verteidigte jetzt in einer Mail an Berger sowohl das Verhalten
der Bademeister als auch das verhängte Hausverbot. Um dessen Aufhebung
hatte ihn Berger zuvor gebeten und sich bei ihm wegen des Verstoßes gegen
das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz beschwert. Dessen Ziel ist es,
Benachteiligungen unter anderem aus Gründen des Geschlechts oder der
sexuellen Identität „zu verhindern oder zu beseitigen“.
Doch für Gruber greift beim Oben-Ohne-Baden der Paragraf 20 des Gesetzes.
Dieser erlaubt Ausnahmen, wenn zum Beispiel „die unterschiedliche
Behandlung der Vermeidung von Gefahren“ oder „dem Bedürfnis nach Schutz der
Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit Rechnung trägt“.
In seiner Mail heißt es wörtlich (Fettung des Verfassers, Anm. d. Red.):
„Unsere Badeordnung dient insoweit dem Schutz der Intimsphäre unserer
Gäste, als nämlich bei allgemeinem Badebetrieb das eine Geschlecht vor
sexuell motivierten Verhaltensweisen und Blicken des anderen Geschlechts
(oder sonstiger anderer Geschlechter) besser geschützt werden soll durch
die Bedeckung der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale.“ Und weiter:
„Das Schwimmbad soll sozusagen nicht zum Schauplatz von triebhaften
Personen werden, sondern dem unbeschwerten Freizeitspaß aller im Wasser
dienen.“
Die taz hatte Gruber am Freitagmorgen per Mail gebeten, seine Position zu
erläutern, bis zum Abend hatte er sich nicht zurück gemeldet.
Für Mina Berger und das Göttinger Bündnis „Gleiche Brust für alle“, das…
jetzt unterstützt, ist eine solche Argumentation ein weiterer Ausdruck der
Diskriminierung und Ungleichbehandlung von allen Menschen, die nicht
„männlich gelesen“ werden, wie sie es nennen. Vor allem der Verweis darauf,
dass die Bäder-Gesellschaft und ihre Mitarbeiter:innen mit ihrem
Bedeckungszwang Frauen davor schützen würden, Opfer von Übergriffen zu
werden, macht Berger wütend. „Das ist genau dieselbe Logik, nach der eine
Person selbst schuld ist, wenn sie vergewaltigt wurde, weil ihr Rock zu
kurz war oder sie alleine durch den Park gegangen ist.“ [2][Das Opfer würde
für die Tat verantwortlich gemacht], weil es sie „provoziert“ habe – und
nicht der Täter.
Zudem sei sie ja auch nicht mit bedeckter Brust vor Anglotzen, Sprüchen und
Übergriffen geschützt. „Viele wollen das nicht wahrhaben, aber von
Gleichberechtigung kann einfach keine Rede sein, wenn die einen Körper
sexualisiert und bewertet werden und die anderen nicht.“ Wichtig ist
Berger, dass es ihr nicht alleine um ihre individuelle Freiheit gehe,
sondern sie eine Debatte anstoßen will, die zu mehr Gleichheit führt. „Ich
will, dass sich alle wohl fühlen können, egal, was sie für einen Körper
haben.“
Damit ist sie nicht alleine: Auf der [3][Petitionsplattform change.org]
laufen derzeit [4][zwei Petitionen], die sich dafür einsetzen, dass alle
ihren Oberkörper nackt zeigen dürfen. Auch die Antidiskriminierungsstelle
des Bundes, bei der sich Berger beschwert hatte, informierte sie darüber,
dass der Kampf auch an anderen Stellen geführt werde. Unter anderem von der
Organisation „Pink Stinks“, die sich erfolgreich gegen Sexismus einsetzt,
ursprünglich nur in Medien und Werbung.
Die Antidiskriminierungsstelle teilte Berger zudem mit, dass gerichtlich
nicht geklärt sei, inwiefern „binäre Geschlechtervorstellungen und geltende
Moralvorstellungen“ Ausnahmen vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz in
Bezug auf das Oben-Ohne-Verbot erlauben würden.
[5][Zum Stillen entblößt] werden dürfen Brüste hingegen. Zu dieser
Einschätzung kam 2016 der [6][wissenschaftliche Dienst des Deutschen
Bundestags]. Allerdings sei es wahrscheinlich möglich, schreibt dieser in
einer Stellungnahme, dass das Hausrecht etwa einem Cafébetreiber einräume,
eine stillende Frau auszuschließen ohne gegen das Antidiskriminierungsgebot
zu verstoßen. Dies gelte aber nur, wenn die Stillende noch nicht bestellt
habe.
Das Bündnis „Gleiche Brust für alle“ plant jetzt weitere Aktionen, um
Bergers Anliegen zu unterstützen. Für diese ist das alles andere als Spaß,
wie sie sagt. Sie habe im Freien schon häufiger ohne Oberteil gebadet, aber
sei den Schritt im Schwimmbad jetzt zum ersten Mal gegangen. „Ich muss
immer vorher gucken, wie stark ich mich gerade fühle“, sagt sie, „und ich
habe das erst gemacht, als ich ins Solebecken gegangen bin, das abgetrennt
ist vom Rest und bin nicht durch das ganze Bad oben ohne gelaufen.“
Doch ein Badegast – etwa einen Kopf größer als die 1,61 große Mina Berger …
sei sehr schnell aggressiv geworden, habe sich vor ihr aufgebaut und ihr
mehrfach mit der Polizei gedroht. Es stellte sich später heraus, dass er
selbst dort als Bademeister arbeitete. Nachdem sein hinzu gerufener Kollege
ihr untersagt hatte, oben ohne zu baden, sei sie in den Saunabereich
gegangen. Dorthin seien ihr beide gefolgt und hätten ihr gesagt, sie müsse
das Bad verlassen, was sie tat. Entgegen der Absprache hätten am Ausgang
zwei Polizist:innen auf sie gewartet, die ihre Personalien aufnahmen.
*Name von der Redaktion geändert
26 Oct 2021
## LINKS
[1] /Oben-Ohne-Demo-in-Berlin/!5784798
[2] /Britische-Frau-verschwunden/!5757693
[3] https://www.change.org/p/christine-lambrecht-stellen-sie-alle-geschlechter-…
[4] https://www.change.org/p/dr-franziska-giffey-gleiche-brust-f%C3%BCr-alle
[5] /Stillen-in-der-Oeffentlichkeit/!5769908
[6] https://www.bundestag.de/resource/blob/436874/562f377b30a97efb9d18ad95112ee…
## AUTOREN
Eiken Bruhn
## TAGS
Diskriminierung
Gleichberechtigung
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Göttingen
Geschlechtergerechtigkeit
Kolumne Geraschel
Gleichberechtigung
Diskriminierung
Gender
Kolumne Unisex
Patriarchat
Sexismus
künstliche Intelligenz
Feminismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Erlebniswelt Freibad: Bahnen ziehen zwischen Brüsten
Absurdes Theater, regulierte Anarchie und soziologisches Brennglas – unsere
Autorin findet: Der Zustand Freibad muss unbedingt verteidigt werden.
Gleichberechtigung für nackte Oberkörper: Brust raus im Schwimmbad
In Göttingen können bald alle Menschen oberkörperfrei ins Schwimmbad. Ein
Fortschritt bei der Gleichberechtigung – allerdings bisher nur am
Wochenende.
Verhüllungsgebot für weibliche Brüste: Vielleicht jetzt doch oben ohne
Der Geschäftsführer der öffentlichen Bäderbetriebe in Göttingen rudert
zurück. Er hat nun doch Verständnis, wenn Frauen Gleichberechtigung
fordern.
Leben als weiblich gelesene Person: Ewig fruchtbar bis ins hohe Alter
Bei männlich gelesenen Personen wird mehr gelesen als ihr Äußeres, zum
Beispiel ihre Artikel zu brennenden Fragen der Zeit oder ihr Kontoauszug.
Idealtypen von Körpern: Hässlich und krank
Unser Autor denkt über Körper nach. Und merkt: Er hat keine Ahnung, wie
echte Körper aussehen.
Autorin über das Patriarchat: „Das Ende ist in Aussicht“
Dank des sicheren Vaterschaftsnachweises wird die Gleichberechtigung
kommen, sagt die Autorin Christina von Braun. Es ist nur eine Frage der
Zeit.
Verbot sexistischer Werbung in Berlin: Sexismus soll nicht mehr sellen
Der Senat will keine sexistische und diskriminierende Werbung. Das
entsprechende Meldeportal für Verstöße kennt aber noch fast niemand.
Algorithmen und Diskriminierung: Maschinelle Sittenwächter
Plattformen wie Instagram und Tiktok löschen Fotos von dicken Menschen, die
„zu viel“ nackte Haut zeigen. Das befeuert die Diskriminierung.
Oben-Ohne-Demo in Berlin: Freie Nippel
Beschriebene Brüste statt Plakate – in Berlin demonstrieren Menschen für
die Gleichbehandlung nackter Körper. Anlass ist ein Vorfall am Spielplatz.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.