# taz.de -- Fall Oury Jalloh: Brandsimulation stützt Mordthese | |
> Ein Sachverständiger hat den Brand in der Dessauer Polizeizelle | |
> originalgetreu simuliert – mit einem eindeutigen Ergebnis. | |
Bild: Mahnwache für Oury Jalloh vor der Landesvertretung Sachsen-Anhalt in Ber… | |
BERLIN taz Die Details waren bekannt, so zu sehen waren sie noch nie: Fast | |
17 Jahre nach dem Tod des Sierra Leoners Oury Jalloh in einer Dessauer | |
Polizeizelle hat eine private Initiative einen Film über die detailgetreue | |
Nachstellung des Brandes präsentiert. Die zeigt, dass der an Händen und | |
Füßen gefesselte Jalloh vor seinem Tod mit Brandbeschleuniger übergossen, | |
also ermordet worden sein muss. Nur so, sagte der britische Sachverständige | |
Iain Peck bei der Präsentation des Films am Mittwoch in Berlin, sei der | |
Grad der Verbrennung in der Zelle erklärbar. | |
In einer aufwändigen Rekonstruktion hatte ein Team um Peck die Zelle Nummer | |
5 im Dessauer Polizeirevier nachgebaut. In Auftrag gegeben hatte dies die | |
[1][Initiative Gedenken an Oury Jalloh], die dessen Familie beim | |
Klageverfahren unterstützt. Um die Brandeigenschaften eines menschlichen | |
Körpers zu simulieren, ließ Peck Schweinehaut und Schweinefleisch auf ein | |
Plastikskelett nähen. Dem Dummy wurde die gleiche Kleidung angezogen, wie | |
Jalloh sie am Tag seines Todes trug: eine schwarze Cordhose und ein weißes | |
T-Shirt. | |
30 Minuten lang ließ Peck das Feuer lodern – genau so viel Zeit war 2005 | |
zwischen dem Feueralarm und dem Eintreffen der Feuerwehr in der Zelle | |
vergangen. Schließlich, und das ist wohl das Entscheidende, übergoss Peck | |
die Matratze mit 2,5 Litern Benzin. „Wir wissen nicht, welcher | |
Brandbeschleuniger beim realen Brand verwendet wurde, und wir können die | |
genaue Menge nicht bestimmen“, sagte Peck am Mittwoch. Klar sei aber, dass | |
solcher zum Einsatz gekommen sein muss. „Das bloße Entzünden der Matratze | |
oder der Kleidung würde niemals einen solchen Grad an Verkohlung nach sich | |
ziehen.“ | |
Die Initiative stellte am Mittwoch Bilder vom ausgebrannten Zellennachbau | |
und stellte diese neben das – aus bis heute ungeklärten Gründen | |
abgebrochene – Tatortvideo der sachsen-anhaltischen Polizei. Nach Aussage | |
Pecks entspricht der darauf zu erkennende Zustand der Zellwände, der | |
Matratze sowie der Leiche Jallohs weitgehend jenem seiner Simulation. „Ich | |
bin sehr zufrieden mit dem Grad an Übereinstimmung, den wir erzielen | |
konnten.“ | |
## Alle Verfahren eingestellt | |
Die Staatsanwaltschaft hatte während mehrerer Gerichtsverfahren lange | |
[2][auf eine Brandsimulation verzichtet]. 2013 beauftragte die Initiative | |
deshalb einen ersten Brandgutachter. Der stellte bereits damals fest: So | |
restlos verkohlt, wie Jallohs Leiche war, muss Brandbeschleuniger verwendet | |
worden sein. Der Dessauer Oberstaatsanwalt Folker Bittmann sprach damals | |
von „sehr ernsten, überraschenden und zum Teil erschreckenden | |
Informationen“. Drei Jahre später, im August 2016, ließ die | |
Staatsanwaltschaft einen Brandversuch am Institut für Brand- und | |
Löschforschung im sächsischen Dippoldiswalde durchführen. Dessen Anordnung | |
wich in einer Reihe von Punkten allerdings von den Bedingungen im | |
Polizeirevier ab. | |
Bald darauf aber schreibt Bittmann in einem Aktenvermerk, er gehe davon | |
aus, dass Jalloh bereits vor Ausbruch des Feuers „mindestens | |
handlungsunfähig oder sogar schon tot“ war. Vermutlich sei er mit | |
Brandbeschleuniger besprüht und angezündet worden. Dies legten sechs | |
Gutachter nahe, die Bittmann konsultierte. | |
Das Motiv könnte nach Auffassung Bittmanns gewesen sein, dass dem | |
Asylbewerber zuvor zugefügte Verletzungen [3][vertuscht werden sollten]. | |
Der Staatsanwalt benennt konkrete Verdächtige aus den Reihen der Dessauer | |
Polizei. Die aber sind bis heute unbehelligt – der Fall wurde Bittmann | |
entzogen, alle Verfahren wurden eingestellt. Die Justiz geht offiziell | |
davon aus, dass Jalloh sich selbst mit einem Feuerzeug anzündete, das bei | |
seiner Durchsuchung übersehen worden war. | |
„Die Einstellung des Verfahrens ist in keinem Punkt nachvollziehbar“, sagte | |
am Mittwoch Nadine Saeed von der Initiative. „Alle Sachverständigen kamen | |
aus wissenschaftlicher Sicht immer zum gleichen Ergebnis: dass | |
ausgeschlossen ist, dass er sich selbst angezündet hat.“ Die Behauptung der | |
Politik, der Fall könne heute nicht mehr aufgeklärt werden, sei falsch. Die | |
Täter seien namentlich bekannt. | |
## Klage vor Verfassungsgericht | |
Beim Bundesverfassungsgericht ist ein sogenanntes | |
Klageerzwingungsverfahren anhängig. Es richtet sich gegen eine | |
Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg. Das hatte im Oktober 2019 | |
entschieden, dass es rechtens sei, dass ein Mordermittlungsverfahren zuvor | |
eingestellt wurde. Saeed sagte, die Initiative werde auf Grundlage des | |
neuen Gutachtens von Peck rechtliche Schritte einleiten, unter anderem eine | |
Anzeige wegen „Strafvereitelung im Amt“ stellen. | |
Zudem appellierte sie an den Generalbundesanwalt, den Fall doch noch an | |
sich zu ziehen. Man habe in den vergangenen Jahren gelernt, dass man die | |
Justiz zu nichts zwingen könne – außer dazu, „ihre Lügen immer weiter zu | |
spinnen“, so Nadine Saeed. | |
3 Nov 2021 | |
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## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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