# taz.de -- Oury Jalloh und Opfer von Polizeigewalt: Tod durch Rassismus | |
> In Berlin fordert die Initiative „Gedenken an Oury Jalloh“ internationale | |
> Gerechtigkeit für die Opfer von Polizeigewalt. | |
Bild: Ein Fotograf dokumentiert Zelle Nr. 5, in der Jalloh starb | |
BERLIN taz | Vor über 14 Jahren verbrannte der Sierra Leoner Oury Jalloh | |
gefesselt in der Zelle des Dessauer Polizeireviers. Am Donnerstag entschied | |
in Sachsen-Anhalt das OLG Naumburg: Es wird keinen neuen Prozess in dem | |
Fall geben – obwohl Indizien dafür sprechen, dass Jalloh angezündet wurde. | |
Der Fall mag einer der mysteriösesten und spektakulärsten sein – der | |
einzige dieser Art ist er nicht. Immer wieder kommen Schwarze bei | |
Polizeieinsätzen oder in Gewahrsam zu Tode oder werden schwer verletzt. | |
Am Samstag hat die Initiative Gedenken an Oury Jalloh Angehörige solcher | |
Menschen zur Konferenz „Selbstorganisation gegen rassistische | |
Polizeigewalt“ nach Berlin eingeladen. „Wir fordern Gerechtigkeit für | |
unsere Angehörigen. Wir werden zusammenstehen, um jede*s/r Einzelnen | |
unserer Angehörigen zu erinnern“, postuliert ein Aufruf. | |
Die Toten wurden mit Knüppeln geschlagen, erstickt, durch Stromschlag | |
getötet, erlitten Schusswunden oder wurden eben, wie Jalloh, verbrannt. | |
## Notwehr? Unwahrscheinlich | |
Einer von ihnen war der Senegalese Babacar Gueye. Er kam 2014 nach | |
Frankreich und lebte bei seiner Schwester Awa und deren Sohn in Rennes. In | |
der Nacht zum 3. Dezember 2015 hatte Gueye offenbar eine psychische Krise, | |
er verletzte sich selbst mit einem Küchenmesser. Ein Freund rief die | |
Polizei, die feuerte fünf Kugeln auf den damals 27-Jährigen ab und | |
rechtfertigte dies als Selbstverteidigung. | |
Gueyes Schwester Awa war am Wochenende auf der Konferenz im Berliner | |
Stadtteil Weißensee zu Gast. Sie sagt: „Mein Bruder starb nicht, weil die | |
Polizei ihn in Notwehr erschossen hat, wie sie behauptet. Er wurde | |
ermordet, weil er schwarz ist.“ | |
Awa Gueye kann nach eigenen Angaben nicht lesen und schreiben. Entsprechend | |
schwierig ist für sie der Umgang mit Behörden. Im Laufe der Jahre fand sie | |
dennoch vieles über die Nacht, in der ihr Bruder starb, heraus, das die | |
Behörden zunächst nicht öffentlich gemacht hatten. Es lässt die offizielle | |
Darstellung in einem anderen Licht erscheinen. | |
Unter anderem erwirkte Awa Gueye mit Hilfe von drei Anwälten ein | |
ballistisches Gutachten. Das ergab, dass die Schüsse auf ihren Bruder | |
seitlich abgefeuert wurden – was gegen eine unmittelbare Notwehr spricht. | |
Schwerer noch wiegt aber, dass Babacar Gueye offenbar gar nicht sofort tot | |
war – aber wohl über eine Stunde am Boden liegen gelassen wurde, ohne dass | |
ein Arzt kam. Erst dann starb er. | |
## Angehörige vereinen sich | |
Die Waffen – ein Taser und eine Schusswaffe, die die Beamten eingesetzt | |
hatten – konnten nicht untersucht werden. Sie seien „aus Versehen zerstört | |
worden“, habe die Polizei ihren Anwälten mitgeteilt, so Awa Gueye. Vor | |
Gericht machten die Beamten sehr widersprüchliche Angaben zum Hergang der | |
Ereignisse. Ein Untersuchungsrichter hat nun einen Ortstermin anberaumt, | |
bei dem die Beamten darlegen sollen, was geschehen ist. | |
Für Awa Gueye ist klar: „Wäre mein Bruder weiß gewesen, hätten die Beamten | |
nicht geschossen. Hätten sie es doch getan, hätten sie sofort einen Arzt | |
gerufen und er hätte überlebt. Der Vorfall wäre sofort untersucht, die | |
Verantwortlichen wären bestraft worden. So aber ist all das nicht | |
passiert.“ | |
Zum Fall Oury Jalloh sieht sie starke Parallelen. „Es gibt Rassismus im | |
Staat und es gibt eine entsprechende Polizeigewalt. Wir, als Angehörige der | |
Opfer, wollen sagen, dass das nicht normal ist. Wir haben entschieden, | |
dafür zusammen zu kämpfen“, sagt Awa Gueye. | |
Auch die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh spricht davon, dass es | |
„strukturell verankert“ sei, dass Straftaten des Staates nicht mit in die | |
Akten aufgenommen werden. Im Fall von Oury Jalloh ging die Justiz zwölf | |
Jahre lang offiziell davon aus, dass der Sierra Leoner seine Matratze in | |
der Gewahrsamszelle trotz Fesselung selbst entzündet hat. | |
## Eine Vielzahl von Indizien | |
Im Laufe der Jahre kam jedoch eine erdrückende Zahl von Indizien ans Licht, | |
die diese These widerlegten – ganz wesentlich auch durch private Gutachten, | |
die die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh erstellen ließ. | |
Im April 2017 schließlich wurde bekannt, dass der Dessauer Staatsanwalt | |
Folker Bittmann davon ausgeht, dass Jalloh schon vor Ausbruch des Feuers am | |
7. Januar 2005 in einer Dessauer Polizeizelle „mindestens handlungsunfähig | |
oder sogar schon tot“ war – und vermutlich mit Brandbeschleuniger | |
angezündet wurde. Bittmann nannte konkrete Polizeibeamte aus dem Dessauer | |
Revier als Tatverdächtige. | |
Kurz darauf wurde ihm der Fall entzogen und das Verfahren eingestellt. Am | |
vergangenen Donnerstag hatte das OLG Naumburg einen Antrag auf | |
Klageerzwingung abgelehnt. Demnach wird es keinen weiteren Prozess in der | |
Sache geben. | |
Vor einem Jahr hatte die Initiative Oury Jalloh eine unabhängige | |
Expertenkommission eingesetzt, um den Fall zu untersuchen. Diese will am | |
Montag in Berlin erdrückende Indizien präsentieren, die zeigen sollen, dass | |
Jalloh in der Haft angezündet wurde. | |
27 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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