| # taz.de -- Neue Erkenntnisse im Fall Oury Jalloh: Brüche und Entzündungen | |
| > Ein forensisches Gutachten belegt: Der 2005 in einer Dessauer | |
| > Polizeizelle verbrannte Oury Jalloh wurde vor seinem Tod misshandelt. | |
| Bild: Bestattung von Oury Jalloh im Jahr 2005. Ans Bett gefesselt verbrannte er… | |
| Berlin taz | Der 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte Oury Jalloh | |
| wurde vor seinem Tod schwer misshandelt. Dabei wurden ihm unter anderem | |
| Schädeldach, Nasenbein, Nasenscheidewand und eine Rippe gebrochen. Das | |
| ergibt ein neues forensisches Gutachten des Rechtsmediziners und | |
| Radiologie-Professors Boris Bodelle von der Universitätsklinik Frankfurt, | |
| das die taz einsehen konnte. Das Gutachten hatte die [1][Initiative | |
| Gedenken an Oury Jalloh] (IGOJ) in Auftrag gegeben. | |
| Jalloh war zur Mittagszeit des 7. Januar 2005 in einer Gewahrsamszelle | |
| verbrannt. Am Morgen, gegen 9.30 Uhr, war er zuvor von dem Dessauer | |
| Polizeiarzt Andreas Blodau untersucht worden. Der hatte keine Verletzungen | |
| bei Jalloh dokumentiert. Entsprechend müssen die Verletzungen, die jetzt | |
| das forensische Gutachten attestiert, zwischen der Untersuchung durch | |
| Blodau und dem Ausbruch des Feuers um 12.30 Uhr entstanden sein – so sieht | |
| es die IGOJ in ihrer Erklärung. | |
| Laut dem Frankfurter Gutachten zeigen Entzündungen, dass Jalloh zum | |
| Zeitpunkt der Verletzungen noch gelebt haben muss, die Brüche ihm also | |
| nicht etwa während der Löscharbeiten oder beim Transport in die | |
| Leichenhalle zugefügt sein können. Es sei davon auszugehen, dass die | |
| Veränderungen „vor dem Todeseintritt entstanden sind“, heißt es im | |
| Gutachten. | |
| Bislang war lediglich ein Bruch im Bereich des Nasenbeins Jallohs verbrieft | |
| gewesen – auch dies nur durch ein privat von der IGOJ finanziertes | |
| Gutachten. Das hatte der inzwischen emeritierte Rechtsmedizin-Professor | |
| Hansjürgen Bratzke aus Frankfurt 2005 verfasst. Doch Bratzke hatte | |
| offengelassen, ob der Bruch des Nasenbeins vor dem Tod entstanden ist – und | |
| die anderen Verletzungen gar nicht thematisiert. Auch der inzwischen | |
| ebenfalls emeritierte Rechtsmedizin-Professor Manfred Kleiber aus Halle war | |
| mit dem Fall befasst, hatte die jetzt bekannt gewordenen Verletzungen aber | |
| nicht benannt. So waren sie während der mehrjährigen Gerichtsverfahren | |
| gegen Polizeibeamte des Reviers nie offiziell festgestellt worden. | |
| ## Vieles spricht nun für das Motiv Vertuschung | |
| Die neuen Untersuchungsergebnisse sind deshalb von besonderer Bedeutung, | |
| weil sie eine mögliche Antwort auf die Frage geben, warum Jalloh in seiner | |
| Zelle mit Brandbeschleuniger angezündet worden sein könnte. Diesen | |
| Tathergang hatte die anhaltische Justiz lange Zeit zurückgewiesen. | |
| Stattdessen wurde offiziell behauptet, dass Jalloh die Matratze am Boden | |
| der Gewahrsamszelle, auf den er mit Händen und Füßen gefesselt war, selbst | |
| angezündet hatte. | |
| Die IGOJ hatte schon sehr früh Belege dafür gesammelt, dass dies nicht der | |
| Fall gewesen sein kann. Viele weitere Indizien für eine Tötung waren im | |
| Laufe zweier Prozesse zutage getreten. Im April 2017 schloss sich | |
| schließlich der [2][Dessauer Staatsanwalt Folker Bittmann dieser Auffassung | |
| an]. | |
| Bittmann schreibt in einem Aktenvermerk, er gehe davon aus, dass Jalloh | |
| bereits vor Ausbruch des Feuers „mindestens handlungsunfähig oder sogar | |
| schon tot“ war. Vermutlich sei er mit Brandbeschleuniger besprüht und | |
| angezündet worden. Dies legten sechs Gutachter nahe, die Bittmann | |
| konsultiert hatte. Das Motiv könnte nach Auffassung Bittmanns gewesen sein, | |
| dass dem Asylbewerber zuvor zugefügte Verletzungen vertuscht werden | |
| sollten. Der Staatsanwalt benannte konkrete Verdächtige aus den Reihen der | |
| Dessauer Polizei. | |
| Kurz darauf aber wurde Bittmann der Fall entzogen und an die | |
| Staatsanwaltschaft Halle abgegeben – und diese stellte das Verfahren ein. | |
| Am vergangenen Donnerstag schließlich wies das OLG Naumburg eine Beschwerde | |
| dagegen zurück und entschied: Es wird kein neues Verfahren in dem Fall | |
| geben. | |
| ## Wollte das Gericht dem Gutachten zuvorkommen? | |
| Nach Angaben der Initiative Gedenken an Oury Jalloh war dem OLG Naumburg | |
| das neue Gutachten der Universität Frankfurt bereits im September | |
| zugestellt worden. Die Initiative glaubt, dass das Gericht seine | |
| Entscheidung gegen einen neuen Prozess bereits in der vergangenen Woche | |
| bekannt gab, um der Veröffentlichung des neuen Gutachtens zuvorzukommen. | |
| In dem Dessauer Revier waren vor dem Tod Jallohs bereits zwei weitere | |
| Menschen im oder unmittelbar nach dem Gewahrsam unter ungeklärten Umständen | |
| zu Tode gekommen: Im Dezember 1997 wurde [3][Hans-Jürgen Rose] um | |
| Mitternacht wegen Trunkenheit am Steuer ins Revier gebracht. Kurz nach | |
| seiner Entlassung wurde er schwerverletzt in der Nähe des Reviers auf der | |
| Straße aufgefunden. Er starb am gleichen Morgen im Krankenhaus. Die | |
| Ermittlungen wurden eingestellt. | |
| Im November 2002 wurde der Obdachlose Mario Bichtemann stundenlang in | |
| derselben Zelle wie Jalloh festgehalten und schließlich tot auf dem | |
| Zellenboden vorgefunden – Todesursache: Schädelbasisbruch. Das Verfahren | |
| gegen den Dienstgruppenleiter Andreas S. wurde eingestellt. | |
| Teils handelte es sich bei den Beamten, die an jenen Tagen Dienst taten, um | |
| dieselben, die mit Jalloh befasst waren. Wäre mit Jalloh ein dritter | |
| Todesfall auf Gewalteinwirkung zurückzuführen gewesen, wären womöglich auch | |
| die Fälle Rose und Bichtemann wieder aufgerollt worden. Hier könnte ein | |
| Motiv für den Brand zu finden sein. | |
| 28 Oct 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
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