# taz.de -- Olaf Scholz und die Ampel-Koalition: Klimakanzler oder gar nicht | |
> Es ist ein falscher Reflex, nur die Grünen für mäßigen Klimaschutz in der | |
> Ampel zu verhaften. Verantwortlich ist vor allem auch der Chef, Olaf | |
> Scholz. | |
Bild: Olaf Scholz muss Partei ergreifen, nicht für die Grünen, sondern für d… | |
Vielleicht muss man Olaf Scholz an eine Tatsache erinnern: Er wird | |
Klimakanzler sein, ob er will oder nicht. Er wird sich vor der | |
Öffentlichkeit dafür rechtfertigen müssen, wenn die neue Regierung das | |
1,5-Grad-Ziel nicht einhält. Aus der Nummer kommt der SPDler nicht heraus, | |
auch wenn er schon seine Wiederwahl 2025 im Kopf hat und die Deutschen | |
deshalb nicht mit schmerzhaften Einschnitten und unbequemen Debatten | |
behelligen will. | |
In den bisherigen Ampel-Verhandlungen deutet sich ein fatales Muster an. | |
Die 14,8-Prozent-Grünen sollen für Klimaschutz zuständig sein, sie bekommen | |
die komplette Diskurslast übergestülpt – während sich die anderen, Scholz | |
inklusive, bequem zurücklehnen und sich Zugeständnisse teuer abkaufen | |
lassen. Die VerhandlerInnen tun so, als sei das Großthema des 21. | |
Jahrhunderts, das alle Politikfelder grundsätzlich verändert, ein | |
Schrebergarten. Die Grünen bekommen den Schlüssel überreicht – und können | |
sehen, was sie schaffen. | |
Dieser Rollenaufteilung haben die Grünen bisher nicht entschieden genug | |
widersprochen, was ein taktischer Fehler war. Robert Habeck hat zum | |
Beispiel das Tempolimit als nicht vorrangig abgetan – und der FDP | |
nachgegeben, weil es nur einen Bruchteil des deutschen CO2-Ausstoßes | |
beenden würde. Wenn man aber an anderer Stelle betont, dass zur Rettung des | |
Klimas an jeder Stellschraube gedreht werden müsse, und außerdem der | |
Eindruck entsteht, dass leider an mehreren Stellen gleichzeitig nachgegeben | |
wird, ist diese Haltung schwer nachvollziehbar. Sie macht das Klima zur | |
Verhandlungssache. | |
Fridays for Future und Umweltverbände nehmen nun vor allem die Grünen ins | |
Visier, weil sie wissen, dass ihnen Klimaschutz am wichtigsten ist. Warum | |
sind die Lücken im [1][Sondierungspapier] so groß? Warum droht eine | |
Aufweichung des Klimaschutzgesetzes? Warum ist der Wohnungsbau nicht | |
klimaneutral geplant? All das sind berechtigte Fragen, bei denen die | |
Koalition in spe Kritik verdient. Es ist aber ein naheliegender und | |
falscher Reflex, ausschließlich die Grünen in Haftung zu nehmen. | |
## Die Ampel verhandelt in einem klaren Rahmen | |
Das hieße nämlich, die Vernischung des Klimathemas zu akzeptieren, die von | |
interessierter Seite vorangetrieben wird. Aber die Zeiten für Vereinfachung | |
und Schablonendenken sind vorbei. Das Verfassungsgericht hat den deutschen | |
Gesetzgeber im April auf Klimaschutz verpflichtet, weil eine Unterlassung | |
die Freiheitsrechte künftiger Generationen beschneide. Daraufhin hat die | |
Große Koalition unter Angela Merkel ihr Klimaschutzgesetz so deutlich | |
verschärft, dass es sich am 1,5-Grad-Ziel orientiert. | |
Die Ampel verhandelt – als erste Koalition in Deutschland überhaupt – in | |
einem klaren juristischen und gesetzlichen Rahmen: Klimaschutz ist | |
Staatsräson. Alle demokratischen Parteien sind an das nach Karlsruhe | |
verschärfte [2][Klimaschutzgesetz] verbunden, auch SPD und FDP. Selbst CDU | |
und CSU haben es unterschrieben, was für die nächsten vier Jahre nicht | |
unwichtig ist. Die Union wird ja über den Bundesrat die Ampel-Politik | |
mitbestimmen. | |
Man kann sich nun darüber lustig machen, dass die Grünen-Spitze so hilflos | |
wirkt. Dass sie einen Brief an die Umweltschutzverbände schreibt, in dem | |
sie bittet, jene mögen Druck auf SPD und FDP machen – weil sie es allein | |
nicht hinbekommt. Oder man kann zynisch und mit einiger Berechtigung | |
feststellen, dass Olaf Scholz sich in der Vergangenheit nie sonderlich für | |
das Klima interessierte, seine [3][Ergrünung quasi ein Wahlkampf-Gag] war. | |
Aber das wird dem Ernst der Sache nicht gerecht. | |
## Klimaschutz ist Aufgabe aller Beteiligten | |
Die Klimakrise wird die Lebensverhältnisse aller Menschen in Deutschland | |
ändern: Die Wälder verdorren, Flutkatastrophen wie in der Eifel werden | |
häufiger, in den versiegelten Städten ist es im Sommer jetzt schon | |
unerträglich heiß, die Landwirtschaft muss sich umstellen. Konsequente | |
Politik zur Bekämpfung der und Anpassung an die Krise ist Aufgabe jeder | |
Regierung und aller Beteiligten. Stets auf die Grünen zu zeigen, ist im | |
Kern eine infantile Position, die den veränderungsunwilligen Kräften ein | |
„Weiter so“ erlaubt. | |
Der Kanzler gibt die Richtlinien der neuen Regierung vor, die Verantwortung | |
liegt (auch) beim Chef. Olaf Scholz muss sich von seiner „Macht ihr | |
mal“-Haltung verabschieden und Partei ergreifen, nicht für die Grünen, | |
sondern für den Klimaschutz. Sonst ist seine Kanzlerschaft gescheitert, | |
bevor sie begonnen hat. | |
5 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Rot-gruen-gelbe-Sondierungen-beendet/!5805657 | |
[2] /Anstieg-der-CO2-Emissionen/!5789629 | |
[3] /Der-oekologische-Wandel-des-Olaf-Scholz/!5797394 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
## TAGS | |
Ampel-Koalition | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
GNS | |
Olaf Scholz | |
Bündnis 90/Die Grünen | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
Ampel-Koalition | |
Politisches Theater | |
Bündnis 90/Die Grünen | |
Ampel-Koalition | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
Ampel-Koalition | |
Saskia Esken | |
Podcast „Bundestalk“ | |
Koalitionsgespräche | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Nachrichten zur Ampel-Koalition: Özdemir wird Landwirtschaftsminister | |
Die Grünen haben ihre Minister*innen benannt. Robert Habeck wird | |
Vizekanzler. Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt gehen leer aus. | |
Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien: Ein Hauch Willy Brandt | |
Christian Lindner zitiert Egon Bahr, Olaf Scholz guckt niedlich wie ein | |
Hundewelpe: Wie die Ampel-Verhandler ihren Koalitionsvertrag vorstellen. | |
Regisseurin über die Klimakrise: „Wir laugen den Planeten aus“ | |
Marta Górnicka hat ein pessimistisches Stück über die Klimakrise | |
geschrieben. Eine klimaneutrale Welt ist trotzdem möglich, glaubt sie. | |
Die Grünen in den Ampel-Verhandlungen: Zu nett für diese Welt | |
Leben die Grünen noch? Annalena Baerbocks und Robert Habecks Leute scheinen | |
es als ihre vornehmste Aufgabe zu sehen, die FDP bei Laune zu halten. | |
Olaf Scholz’ Rede zur Corona-Lage: Kein Mut, kein Aufbruch | |
Mit einer geschäftsmäßig abgespulten Rede präsentiert sich Olaf Scholz im | |
Bundestag als künftiger Kanzler. Aufbruchstimmung kommt keine auf. | |
Debatte zur epidemischen Lage: Schlagabtausch im Bundestag | |
Im Bundestag wurde in neuen Rollen über den Infektionsschutz diskutiert. | |
Die Union kritisiert die Ampel-Fraktionen scharf. | |
Streit in Koalitionsverhandlungen: Ampelfrust bei den Grünen | |
Nach der ersten Euphorie zieht bei Robert Habecks Leuten Ernüchterung ein. | |
Zweifel wachsen, ob es gelingt, 1,5-Grad-taugliche Politik zu formulieren. | |
Ampel-Verhandlungen: Vergesst das Tempolimit | |
Der Erfolg der Grünen misst sich nicht am Tempolimit oder der Zahl der | |
Windräder. Sondern daran, ob es gelingt, Klimaschutz zu entpolitisieren. | |
Saskia Esken will SPD-Chefin bleiben: Es kracht nicht, aber es rumpelt | |
Saskia Esken will wieder als SPD-Chefin antreten. Doch die Art der | |
Ankündigung wirkt unsouverän. Und erinnert an die SPD von früher. | |
Podcast „Bundestalk“: Wird die Ampel gut? | |
Finanzen, Klimaschutz, Soziales: Das taz-Team analysiert im politischen | |
Podcast die Stärken und Schwächen der sich andeutenden Ampelkoalition. | |
Grüne Jugend über Koalitionsgespräche: „Die Ampel ist kein Automatismus“ | |
Ohne sozialen Ausgleich funktioniere die ökologische Wende nicht, sagen die | |
Bundessprecher der Grünen Jugend, Sarah-Lee Heinrich und Timon Dzienus. |