| # taz.de -- Spekulation in Hamburg: Wette auf den Verfall | |
| > Am Rand von St. Pauli ist von einem ehemaligen Zirkusbau nur noch ein | |
| > Stahlskelett übrig. Das steht unter Denkmalschutz – wenn es stehen | |
| > bleibt. | |
| Bild: Ein Zirkusbau, zum Spekulationsobjekt geworden und so heftig bedroht | |
| Es genügt, nur wenige Minuten stehen zu bleiben vor dem Zaun, der das | |
| Gelände absperrt, um Kommentare zu dem traurigen Anblick einzusammeln. Ein | |
| Fahrradfahrer sagt zu seiner Begleiterin, als sie vorbeifahren: „Da ist ist | |
| ja nichts mehr übrig.“ | |
| Ein Mann mit Rucksack kommt von der Polizeiwache nebenan, er fragt: | |
| „Entschuldigen Sie, was ist denn das?“ Und als er die Geschichte hört: „… | |
| sollte Profit verbieten“, und er fängt an, eigene Gedichte aufzusagen, die | |
| davon handeln, was alles schiefläuft in dieser Stadt. | |
| Jahrelang stand die [1][Schillleroper], ein ehemaliger Zirkusbau am Rande | |
| von St. Pauli, auf ihrem Platz zwischen drei Straßen und verrottete. Die | |
| Eigentümer wechselten und mit ihnen die Pläne für die Zukunft des Geländes, | |
| doch es geschah nie etwas. Besonders der runde Kuppelbau in der Mitte, der | |
| per Gerichtsurteil denkmalgeschützt ist, war zunehmend einsturzgefährdet, | |
| das Betreten verboten. | |
| Das zuständige Bezirksamt Mitte stellte Ultimaten zur Rettung des Denkmals, | |
| die alle verstrichen, bis plötzlich diesen Sommer doch etwas geschah: | |
| [2][Bagger rückten an] und rissen alles ab, was sie abreißen konnten. | |
| Dadurch, so hieß es, würden die Stahlträger des Kuppelbaus entlastet, denn | |
| sie seien es eigentlich, die unter Denkmalschutz stünden. | |
| ## Die Situation | |
| Wer jetzt vorbeikommt, sieht eine Fläche, auf der sich Schuttberge häufen, | |
| vom Rundbau in der Mitte steht nur noch ein Skelett. Wände mit alten | |
| Kacheln ragen in den Raum, Spuren gelebten Lebens. Fenster und Türen sind | |
| herausgeschlagen, die Böden fehlen, Treppen führen ins Nichts. | |
| Die denkmalgeschützten Stahlträger sind teils verrostet, oben drauf die | |
| kleine Kuppel existiert noch, mitsamt Fenstern und Kupferdach, doch sie | |
| thront über einer Leere, in deren Mitte ein halb aufgebautes Baugerüst | |
| steht, wozu auch immer. | |
| Es kursieren [3][Pläne der Eigentümergesellschaft], was man mit diesem | |
| Grundstück in bester Lage anstellen könnte, ein „Stararchitekt“ hat sie | |
| gemacht. Hinter Backsteinfassaden könnten sich Büros und Läden um einen | |
| runden Innenhof verteilen, in dem kein Stahlskelett mehr stören würde, | |
| daneben würden Wohntürme emporragen, zehn Stockwerke hoch, viel höher als | |
| die Nachbarschaft. | |
| Wenn nur der Denkmalschutz nicht wäre. Es heißt, das Denkmalamt habe die | |
| Abrissarbeiten beaufsichtigt, damit nicht mehr abgerissen würde als | |
| erlaubt. Rein juristisch wäre sogar die Enteignung möglich gewesen, aber so | |
| etwas tut man in Hamburg nicht. In Hamburg [4][geht das Bezirksamt auf den | |
| Investor zu] und findet die Pläne des Stararchitekten gut. | |
| ## Der Zirkus | |
| Als die 1891 eröffnete Schilleroper [5][noch ein Zirkus war], sollen 3.000 | |
| Zuschauer hineingepasst haben, es war ein Ort, gebaut zum Vergnügen der | |
| Arbeiterklasse. Nach dem Zirkus kam ein zwielichtiges Theater, dann eine | |
| Oper fürs Volk, dann war ein Kriegsgefangenenlager darin untergebracht, die | |
| Namen der Kriegsgefangenen stehen auf einem Transparent am Zaun neben einem | |
| Glas mit Blumen. Später war ein Restaurant drin und Unterkünfte für | |
| Geflüchtete. Am Ende diente die Schilleroper als Club. | |
| ## Das Spiel | |
| Jetzt ist sie Spekulationsobjekt, wird gekauft und weiterverkauft. Es ist | |
| ein Spiel auf Zeit: Wem die Schilleroper gehört, wenn das Stahlgerüst | |
| irgendwann zusammenbricht, hat gewonnen, der kann bauen, wie er will. Aber | |
| bis es so weit ist, bringt seine Investition nichts ein. Sie ist eine Wette | |
| auf die Zukunft. | |
| In der Zwischenzeit frisst sich der Rost voran, manche der Stahlträger | |
| sehen aus, als seien sie schon gebrochen. Ein bärtiger Mann hält sein | |
| Fahrrad an, er erzählt, dass er vor zwei Jahren noch auf dem Gelände war | |
| und Fotos gemacht hat. Sollte man es besetzen? „Ach“, sagt er, „dazu ist … | |
| jetzt zu kalt.“ | |
| 7 Nov 2021 | |
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| [3] https://www.schilleroper.com/ | |
| [4] https://www.ndr.de/geschichte/Schiller-Oper-Altona-Hamburg-Verfall-Denkmals… | |
| [5] https://www.ndr.de/geschichte/Schiller-Oper-Altona-Hamburg-Zirkus-Busch-Tem… | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Wiese | |
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