Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Giftiges Wasser in Bangladesch: Salzige Gefahr
> Im Ganges- und Brahmaputra-Delta in Bangladesch wird das Wasser immer
> salziger. Das bedroht die Mangrovenwälder – und die Gesundheit der
> Frauen.
Selena Khatun hat sich ein rotes Tuch über den Kopf gezogen. Jeden Tag ist
sie zwei bis drei Stunden damit beschäftigt, ihre Familie mit Wasser zu
versorgen – neben den Aushilfsjobs, mit denen sie sich ein klein wenig Geld
dazuverdient. Ihre Tage sind lange und beschwerlich. Doch Selena Khatun
trinkt nur wenig, denn Wasser ist für sie zum Problem geworden. Sie ist 20
Jahre alt – und fürchtet, dass sie keine Kinder mehr bekommen kann. Und sie
ist nicht die Einzige.
Viele Frauen in ihrem Dorf haben Unterleibsbeschwerden, unregelmäßige
Blutungen und Ausschläge. Dass das am Wasser liegen könnte, haben sie von
verschiedenen Seiten gehört. Khatun lebt im Südwesten Bangladeschs, am
Rande der Mangrovenwälder im Ganges-Brahmaputra-Delta, das sich Bangladesch
und Indien teilen – eines der wichtigsten Feuchtgebietsökosysteme der Welt.
Sundarbans, so nennen die Einheimischen die salztoleranten
Strauchbaum-Wälder, die auf beiden Seiten der Grenze die Wasserläufe bis
hinunter zum Meer zieren. Auffällig sind hier die hohen Wurzelsporne der
Mangroven – dort, wo sie noch stehen. Einige Böden sehen mittlerweile aus
wie verkrustete Narben in der Erde. Das Grün ist mancherorts durch
Abholzung ganz verschwunden.
Das salzige Meerwasser ist längst die Flussarme hochgestiegen. Vor allem
während der trocken-heißen Monate, in denen kleinere Seitenarme des Ganges
weniger Wasser führen, mischt sich stromaufwärts immer mehr Meerwasser mit
Süßwasser. Jeden Tag baden die Dorfbewohner:innen in salzigen Teichen,
waschen dort ihre Kleidung. Andere Wasserquellen gibt es kaum.
## Salz und Shrimps
Das Wasser schmeckt säuerlich und hat oft einen beißenden Geruch. Zwar
vertragen die Mangroven Salzwasser besser als die Frauen hier, doch die
negativen Folgen tragen Mensch wie Natur, wenn die Flora immer weiter
verschwindet und [1][künstliche Garnelenzuchtbecken] weitere
Süßwasserteiche verseuchen.
Wie toxisch das Wasser rund um Khulna ist, spürt Selena Khatun am eigenen
Leib. Sie ist eine von vielen Frauen hier, die von morgens bis abends in
Pfützen stehen. Sie graben Böden um, jäten Unkraut oder sind auf einer der
unzähligen Shrimpsfarmen in der Region beschäftigt. Um die Krebstiere in
Massen heranwachsen zu lassen, kommen zusätzliche Chemikalien und Salz ins
Spiel.
„Sobald ich im Wasser stehe, fängt mein Gesicht, mein Körper an zu jucken
und brennen“, sagt Khatun. Eigentlich müsste sie deshalb umziehen, aber das
Geld reicht nicht. Ihre Aushilfsjobs auf Feldern oder Shrimpsfarmen bringen
ihr umgerechnet 1,60 Euro am Tag. Kaum genug um zu überleben.
„Ich habe Angst, dass ich wie meine Schwägerin meine Gebärmutter entfernen
lassen muss“, sagt Khatun mit bitterer Stimme. Ihre Schwägerin wusste sich
mit den Beschwerden nicht anders zu helfen. Doch den Frauen ist auch klar:
Wenn sie keine Kinder mehr bekommen können, haben sie es schwer. Sie
könnten etwa von ihren Ehemännern durch eine gebärfähige Partnerin ersetzt
werden und stünden dann alleine da. Selena Khatun ist seit sieben Jahren
verheiratet.
## Der Preis von Wasser
Um etwa 300 Euro hat sie sich schon für ihre Behandlung verschuldet. Der
Arzt im Satkhira Sadar Hospital hat bei einer Untersuchung eine Entzündung
ihres Unterleibs festgestellt, und auch ihre Kopfhaut ist betroffen.
„Schwimmen war meine Leidenschaft“, sagt sie. Doch nun soll sie das Wasser
meiden. „Ich fühle mich, als hätte ich meine Freiheit und meine Identität
verloren.“
Azmira Begum, 28, lebt im Dorf Lokhikhali in einem Lehmhaus mit Küche und
Schlafzimmer. Ihr Bett steht auf der Veranda des Hauses, das die Familie
tagsüber nutzt. Hinter ihrem Haus befindet sich ein Teich. Aber seit zwei
Jahren ist das Wasser des Teiches nicht mehr trinkbar, sagt sie. Bis dahin
haben die Dorfbewohner noch Trinkwasser aus dem Teich geholt, aber jetzt
ist es zu salzig. Und seit einem Jahr leiden viele an den gestiegenen
Temperaturen, 42,2 Grad wurden im April dieses Jahres in Bangladesch
gemessen, bei extrem hoher Luftfeuchtigkeit. Am Nachmittag halten sie sich
wegen der Hitze nicht mehr draußen auf.
Lokhikhali ist abgelegen, die Straßen sind schlammig und holprig, nur mit
einem Motorrad ist der Ort erreichbar. „Die Frauen hier bekommen ihre
Kinder meist zu Hause. Doch letztes Jahr ist eine meiner Nachbarinnen an
übermäßigen Blutungen gestorben“, sagt sie. In Notfällen sei es fast
unmöglich, eine schwangere Frau ins Krankenhaus zu bringen.
Die Nachbarin litt an einer Gebärmutterentzündung und konnte das Geld für
die Behandlung nicht aufbringen. Auch die dreifache Mutter Azmira Begum
bangt inzwischen um ihre Gebärmutter. „Der Arzt riet mir, nicht im
Salzwasser zu baden oder in den Fluss zu gehen und möglichst gefiltertes
Wasser zu benutzen.“ Doch das ist für sie zu teuer.
## Der Tod der Mangroven
Die Region liegt nah am Meer, dem Golf von Bengalen. Mit dem steigenden
Meeresspiegel infolge der Erderwärmung nehmen Überschwemmungen zu. Bis 2050
könnte der Meeresspiegel um bis zu 50 Zentimeter ansteigen und weite Teile
der Sundarbans fluten. Gegen den Klimawandel können die Menschen hier
wenig ausrichten. Am effektivsten wäre, das Abholzen der Mangroven zu
stoppen und so viele neue zu pflanzen wie möglich, sagt [2][der
Geowissenschaftler Subham Mukherjee, der an der Freien Universität Berlin
forscht].
„Wir müssen über die Folgen aufklären. Wälder wurden in Ackerland
umgewandelt, doch ohne Bäume fehlt der Schutz, der den Boden vor
natürlicher Abtragung bewahrt. Die Mangroven wirken wie ein Schutzwall, der
Meereswasser davon abhält, ins Landesinnere einzudringen.“ Und wenn
Mangroven fehlen, fehlen auch ihre Wurzeln, die salziges Wasser filtern.
„Dieses Gebiet ist anfällig für das Eindringen von Salzwasser, da es sich
in einer Höhe nahe des Meeresspiegels befindet“, erklärt Mukherjee weiter.
Und auch im Boden selbst ließe sich salziges Wasser finden. „Durch die
übermäßige Grundwasserentnahme aus Brunnen fließt es nach“, so Mukherjee.
Das passiert, wenn Brunnen in Küstennähe immer tiefer gegraben werden, um
den täglichen Wasserbedarf der wachsenden Bevölkerung zu stillen.
Die Menschen sind größtenteils auf Grundwasserbrunnen angewiesen, da die
Landschaft ein einziges Labyrinth aus Wasserstraßen, Sümpfen, Seen und
Schwemmlandinseln darstellt. Im Grundwasser, das viele ungefiltert trinken,
befinden sich allerdings Mineralien wie [3][Arsen] oder Fluorid, die in
hoher Konzentration extrem schädlich sind. Solche Spurenelemente stammen
aus Sedimenten und Gesteinen. Sie werden auf natürliche Weise ins
Grundwasser gespült.
## Geschwüre und Entzündungen
Welche gesundheitlichen Folgen das verunreinigte Wasser genau hat, ist
wenig erforscht. Gebärmutterentzündungen tauchen jedenfalls auch auf der
anderen Seite der Grenze auf, im indischen Westbengalen. Mediziner
beschreiben hier eine Entnahme bei der Infektion als nicht notwendig, was
aber auf dem Land gängig sei.
Laut einer im Jahr 2020 durchgeführten Recherche [4][der gemeinnützigen
Organisation Ledars Bangladesh] sind Frauen in Küstengebieten, die Wasser
mit übermäßigem Salzgehalt verwenden, [5][anfällig für
Gebärmutterentzündungen und Geschwüre] in der [6][Gebärmutter]. Diese
können wiederum zu Krebs führen. Die Entzündungen werden durch verschiedene
Erreger ausgelöst, wenn die natürliche Barriere gegen Keime im Körper nicht
mehr intakt ist.
Ein Grund dafür ist, dass die Frauen viele Stunden täglich beim Fischfang
oder anderen Tätigkeiten in salzhaltigen Gewässern verbringen. Das Wasser,
in dem sie baden und ihre Kleidung waschen, hat ebenfalls einen hohen
Salzgehalt, der unter anderem zu Scheideninfektionen führt. Zu viel
Salzwasser kann das natürliche Immunsystem der Vagina zerstören, wodurch
sich Infektionen leichter ausbreiten.
## Neue Heimat, neue Wärme
Und es ist nicht nur der Klimawandel, der das Versalzen der Gewässer in der
Region begünstigt. Zyklone wie „Aila“ verwüsteten 2009 die Küste mit
verheerenden Auswirkungen und verwandelten süße Grundwasserquellen in
salzige. Manche sehen auch ein Problem im [7][Staudamm Farakka in Indien],
der den Wasserabfluss des Ganges stark reduziert: die Sundarbans hätten
seit dessen Bau im indischen Murshidabad 1975 zu wenig Süßwasser,
insbesondere in der Trockenzeit, heißt es.
Dass bei der Teilung Indiens bei der Unabhängigkeit 1947 die Grenze
zwischen Indien und Ostpakistan – heute Bangladesch – mitten durch das
Delta gezogen wurde, macht die Sache nicht einfacher. Gebiete, die früher
kaum besiedelt waren, wurden mit der Teilung zuerst zu Zufluchtsorten,
später zu neuen Heimaten.
„Die Menschen, die hier leben, sind bis zu 90 Prozent Nachfahren von
Flüchtlingen“, erklärt Mukherjee. Er selbst stammt aus der indischen
Megastadt Kalkutta auf der anderen Seite der Grenze. Die starke
Urbanisierung der Gegend heizt die Temperaturen im Küstengürtel
wortwörtlich an.
Höhere Temperaturen führen zu Schwangerschaftskomplikationen wie
Frühgeburten und Fehlgeburten, bestätigt der Epidemiologe und
Datenwissenschaftler Manzoor Ahmed Hanifi vom [8][Internationalen
Gesundheitsforschungsinstitut ICDDRB] in Bangladesch. Es gäbe aber noch
keine Daten, die einen Zusammenhang zwischen einer Gebärmutterinfektion und
dem Salzgehalt des Wassers bestätigen. Erwiesen sei jedoch, dass ein
erhöhter Salzgehalt und die erhöhte Lufttemperatur zu Gesundheitsproblemen
bei Müttern führen.
„Das Wasser ist zu einem Fluch für die Frauen in diesem Wald geworden“,
fasst die 85-jährige Sona Banu die Situation zusammen. Sie ist in Khulna
geboren und fährt regelmäßig mit ihrem kleinen Schlauchboot in die
umliegenden Dörfer, um Infektionsfälle zu finden und sie zu ihrer Tochter
zu bringen, die im Friendship Hospital in der Region arbeitet. Doch die
Anreise ist beschwerlich, manchmal sind keine Boote verfügbar. Und viele
Frauen zögern, sich von Männern behandeln zu lassen.
„Im Nachbardorf hat die Hälfte der Frauen ihre Gebärmutter bereits verloren
und die andere Hälfte hat eine Infektion. Das ist sehr beängstigend, wenn
Frauen in ihren Zwanzigern und Dreißigern so etwas passiert“, sagt sie. Vor
zehn Jahren, so erinnert sich Sona Banu, gab es noch Wasserquellen, die
nicht salzig schmeckten. Heute seien viele am Rande des Ungenießbaren.
„Aber eine andere Wahl haben wir nicht“, sagt sie. „Die Sundarbans sind
unser Leben.“
25 Oct 2021
## LINKS
[1] https://www.futuredirections.org.au/publication/rising-salinity-in-banglade…
[2] https://www.geo.fu-berlin.de/geog/fachrichtungen/physgeog/mitarbeiter/smukh…
[3] https://unb.com.bd/category/Special/arsenic-problem-in-khulna-worsens-589-p…
[4] https://www.ledars.org
[5] https://earthjournalism.net/stories/is-climate-change-impacting-the-reprodu…
[6] https://fojo.se/en/coastal-women-losing-their-uterus-due-to-global-warming/
[7] https://www.dhakatribune.com/bangladesh/environment/2018/02/11/farakka-barr…
[8] https://www.icddrb.org
## AUTOREN
Natalie Mayroth
Fabeha Monir
## TAGS
Schwerpunkt taz folgt dem Wasser
Schwerpunkt Klimawandel
Lesestück Recherche und Reportage
Bangladesch
Gesundheit
Wasser
Gebärmutter
Frauen
GNS
Podcast „Vorgelesen“
Lesestück Recherche und Reportage
Bangladesch
Schwerpunkt taz folgt dem Wasser
Lesestück Recherche und Reportage
Lesestück Recherche und Reportage
Festival
Meere
## ARTIKEL ZUM THEMA
Der türkische Ilisu-Staudamm: Wasser als Waffe
Ridvan Ayhan musste wegen Überflutung umziehen. Weiter unten ist es
umgekehrt: Dort leiden die Menschen, weil das Wasser des Tigris kaum mehr
fließt.
Folgen des Ukrainekriegs in Bangladesch: Lebensmittelpreise fast verdoppelt
Stark steigende Lebensmittelpreise setzen der Bevölkerung zu. Jetzt soll
ein staatliches Subventionsprogramm zur Stabilität beitragen.
taz-Korrespondentinnen im Podcast: Immer dem Wasser nach
Ein Jahr haben Korrespondentinnen zu Wasserproblemen weltweit recherchiert.
Hier berichten sie von Menschen, die sie getroffen und Ideen, die sie
gefunden haben.
Deutsche Entwicklungszusammenarbeit: Am Tropf der Geber
Jordanien ist Vorzeigeland deutscher Politik im Wassersektor. Aber wie gut
funktioniert das wirklich? Ein Blick auf eine Kläranlage.
Klimawandel in Indien: Land unter
Im indischen Ganges-Delta wütet die Klimakatastrophe. Der Meeresspiegel
steigt, Zyklone nehmen zu. Aber die Menschen wollen bleiben – und werden
aktiv.
3-D-Videoinstallationen in Berlin: „Küsten machen uns symbiotisch“
Feuchtgebiete sind ökologisch wichtig. Davon erzählen Sonia Mehra Chawla
und Miriam Walsh in 3-D-Videoinstallationen, vorgestellt in Berlin.
Meeresbiologin über Meereschutz: „Ein Weg der kleinen Schritte“
Die Biologin und WWF-Direktorin Heike Vesper hat ein deprimierendes Buch
über den Meeresschutz geschrieben. Trotzdem setzt sie nicht auf
Radikalität.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.