# taz.de -- Deutsche Entwicklungszusammenarbeit: Am Tropf der Geber | |
> Jordanien ist Vorzeigeland deutscher Politik im Wassersektor. Aber wie | |
> gut funktioniert das wirklich? Ein Blick auf eine Kläranlage. | |
Bild: Mitgenommene Wasseranlagen sind in Jordanien keine Seltenheit, hier die K… | |
Wenn ein Mensch im Norden Jordaniens duscht oder Geschirr abwäscht, | |
[1][läuft das Abwasser durch dicke Rohre] nach Schallalah. Das ist Arabisch | |
und bedeutet „Wasserfall“. So heißt die Kläranlage, die verhindern soll, | |
dass Abwasser ungefiltert und ungenutzt in die Natur fließt. Wenn das | |
Abwasser in der Anlage ankommt, filtert eine Art große Gabel die gröbsten | |
Teile aus dem Wasser: Autoreifen, Steinbrocken oder Tierknochen. Danach | |
werden kleine Steine und Dreck abgeschöpft, außerdem das Öl, das viele | |
Haushalte zum Kochen nutzen und sich dann unter das Wasser im Spülbecken | |
mischt. | |
In der Anlage stecken deutsche Entwicklungsgelder. Für den Bau gab das | |
Bundesentwicklungsministerium (BMZ) insgesamt 63 Millionen Euro – nur 35 | |
Millionen zahlte Jordanien selbst. Das Design ist aus Deutschland, einige | |
Gerätschaften sind von Siemens. Die deutsche Firma Passavant hat die Anlage | |
über mehrere Jahre konstruiert und ein Jahr lang das Personal geschult. | |
Erste Vorarbeiten unternahm das deutsche Beratungsunternehmen Fichtner ab | |
2002, in Betrieb genommen wurde die Anlage Ende 2013, nach mehrjähriger | |
Bauzeit. | |
Jordanien war zuletzt der größte [2][Empfänger von deutschen | |
Entwicklungsgeldern] im Wasserbereich. Nach taz-Berechnungen hat das Land | |
zwischen 2002 und 2019 insgesamt 968 Millionen US-Dollar für diesen Sektor | |
ausbezahlt bekommen. Viel deutsches Geld fließt vor allem in | |
Investitionsprojekte und [3][Begleitmaßnahmen durch sogenannte | |
Consultants]. Steht die Technik, kommen die Consultants ins Spiel. | |
Einer von ihnen ist der Brite Matthew Clarke. Er arbeitet seit mehr als | |
zehn Jahren in Jordanien als selbstständiger Berater im Wassersektor. Er | |
kennt viele laufende Ausschreibungen und hat einen guten Überblick über | |
abgeschlossene und laufende Projekte in dem Bereich. | |
Die Wasserleitungen in der Hauptstadt Amman seien in einem schlechten | |
Zustand, obwohl sie zuletzt vor zwanzig Jahren erneuert wurden, erzählt | |
Clarke. Er hat lokales Personal darin trainiert, Lecks in unterirdisch | |
verlegten Wasserleitungen aufzuspüren – und dann zu reparieren. Denn dem | |
staatlichen Wasserbetreiber gehen 48 Prozent des Wassers verloren durch | |
Lecks, aber auch durch veraltete Zähler. | |
## System wider besseres Wissen | |
Ein weiteres Problem: [4][Um Wasser zu sparen], öffnet der staatliche | |
Versorger die Leitungen nur ein paar Tage oder mancherorts Stunden in der | |
Woche. Die Menschen sammeln das Wasser in Zisternen. Wenn es aufgebraucht | |
ist, kaufen sie es bei privaten Anbieter*innen nach. | |
So ein System mögen Geldgeber*innen nicht. „Weil bekannt ist, dass ein | |
System, das nur alle paar Tage läuft, mit wechselndem Wasserdruck, | |
schneller kaputtgeht“, erklärt Clarke. Besser sei eine kontinuierliche | |
Wasserversorgung. „Es ist sehr schwierig, Lecks zu finden, wenn der Druck | |
nicht konstant ist. Wenn Sie die Löcher stopfen, können Sie das Wasser | |
stetig laufen lassen und verlieren in einer Woche sogar weniger als wenn es | |
nur zwei Tage läuft. Dadurch, dass der Druck konstant ist, wird das System | |
nicht so stark in Mitleidenschaft gezogen und lebt länger.“ | |
Clarke resümiert: „Seit 20 Jahren wird das so gemacht, um Wasser zu sparen, | |
es ist jetzt wie eine Religion – auch wenn viele Studien die Vorteile einer | |
anderen Arbeitsweise belegen.“ | |
## Die Krux mit der Nachhaltigkeit | |
Schallalah ist ansonsten zunächst ein gelungenes Beispiel, wie | |
Entwicklungsgelder zum Wandel beitragen: Schlamm wird für die Gasproduktion | |
genutzt, gereinigtes Wasser fließt in natürliche Bäche und vermischt sich | |
mit Frischwasser. So können es Bauern später zur Bewässerung von Pflanzen | |
und Bäumen nutzen. Das reduziert den Verbrauch an Frischwasser – damit mehr | |
davon für Haushalte übrig bleibt. | |
„Die Projekte sind meistens wunderbar konzipiert, die Krux ist tatsächlich | |
bei fast allen schlecht bewerteten Projekten die Nachhaltigkeit“, erklärt | |
Alexander Luthe, der in der Evaluierungsabteilung der KfW Entwicklungsbank | |
für Wasserprojekte zuständig ist. Die deutschen Institutionen evaluieren | |
ihre EZ-Projekte im Nachhinein. „Unser Anspruch ist, dass ein Projekt | |
nachhaltig läuft, das heißt, dass es noch viele Jahre danach im Rahmen der | |
technischen Lebensdauer weiterfunktioniert“, sagt Luthe. | |
Das ist im Wasserbereich oft nicht der Fall. Im Juni hat die KfW ihren | |
Zweijahresbericht 2019/2020 vorgestellt, in dem die 23 ausgewerteten | |
Projekte des Wassersektors auf der Bewertungsskala von 1 bis 6 nur die | |
Durchschnittsnote 3,1 bekamen – zuletzt schlechter also als die meisten | |
anderen Sektoren. | |
Auch bei Schallalah mangelt es an der Nachhaltigkeit. Nach der | |
Fertigstellung wurden Angestellte noch ein Jahr lang bis Ende 2014 von | |
einer deutschen Firma trainiert, danach ging die Anlage an den lokalen | |
Wasseranbieter Yarmouk Water Company über. Doch „zwei Jahre nach | |
Abschlusskontrolle waren noch nicht alle Anlagenteile an den Betreiber | |
übergeben, was den Betrieb beeinträchtigt hat“, heißt es im | |
Evaluierungsbericht. | |
Und weiter: „Während der Evaluierung wurden Planungsfehler festgestellt. So | |
wird bei Ausfall der Pumpen die Desinfektionsanlage überflutet, darüber | |
hinaus ist die im Rahmen des Vorhabens erstellte Fäkalschlammannahme in | |
Wadi Shallalah inkompatibel mit jordanischen Schlammsaugfahrzeugen, die | |
ihren Inhalt abkippen müssen.“ | |
Es fehle vor allem an geschultem Personal für Betrieb und Wartung, sagt ein | |
Insider, der die Anlage gut kennt. Es gebe keine Wartungsverträge mit | |
lokalen Firmen. Für den Wassersektor allgemein bestätigt das auch Luthe. | |
Für die Abwasserbehandlung seien spezialisierte Kenntnisse erforderlich, | |
deswegen ist der Mangel an ausgebildetem Personal ausgeprägter. | |
## Was, wenn die Pumpe kaputt geht? | |
„Uns fehlen die Ersatzteile“, beklagt der Insider in Schallalah außerdem. | |
Die müssten aus Deutschland kommen – beispielsweise für die Reinigung der | |
Anlage. Im letzten Schritt in Schallalah spritzen Düsen das Wasser in ein | |
großes Rundbecken. Es läuft voll und wird auf einem äußeren Ring nochmals | |
gefiltert. Am Rand der Wanne setzen sich Fragmente ab, die mit einer großen | |
weißen Bürste entfernt werden. Wenn diese Bürste kaputtgeht, gibt es keinen | |
Ersatz – die operierenden Arbeiter müssen dann mit der Hand ran und die | |
Ränder des Beckens putzen. | |
Und das ist nur ein Nebenaspekt. Ginge die große Pumpe kaputt, die das | |
Wasser nach der Reinigung in den Wasserkreislauf entlässt, steht die Anlage | |
still. Dann wird kein Wasser entlassen – und kein neues wird aufbereitet. | |
Aber um schnell an Ersatz zu kommen, müssen die Manager die Geldgeber und | |
die Berater einbeziehen. „Der Anlagenmanager kann zwar beim Wasserbetreiber | |
Yarmouk fragen, aber das Budget ist sehr begrenzt“, erklärt Matthew Clarke. | |
„Es kann bis zu drei Monate dauern, bis die Pumpe da ist. Daher müssen sie | |
oft zum Berater gehen, der den ausländischen Gebern versichert, dass das | |
Teil wirklich gebraucht wird, und die Pumpe viel schneller aus | |
beispielsweise Deutschland bestellt und versendet.“ | |
Geldgeber fokussierten sich eher auf neue Anlagen, weniger aber auf | |
Betriebskosten und Ersatzteile, kritisiert Cornelis Martinus de Jong, | |
Fachbereichsleiter für Internationale Projekte bei Consulaqua, einer | |
Tochterfirma der Hamburger Wasserwerke, mit der auch Clarke arbeitet. „So | |
laufen die Geldströme: Wenn die KfW eine Kläranlage baut, werden noch ein | |
oder zwei Jahre lang Wartung und Betrieb unterstützt, und wenn die Phase | |
vorbei ist, dann stürzt alles zusammen, weil die Leute zu wenig technische | |
Kompetenzen haben.“ Diese Art der Entwicklungshilfe ist nicht langfristig. | |
Warum kann sich der jordanische Staat die Wartung nicht leisten? Beim | |
staatlichen Wasserversorger in Nordjordanien antwortet Generaldirektor | |
Muntasir al-Momani: „Die Menschen zahlen ihre Rechnungen nicht.“ Es seien | |
noch Wasserrechnungen im Wert von umgerechnet 66,5 Millionen Euro offen. | |
Solange die nicht beglichen seien, könnten alte Rohre, Pumpen und Zähler | |
nicht repariert oder erneuert werden. | |
Dass die fehlenden Tarifeinnahmen vor Ort ein Problem sind, bestätigt auch | |
Alexander Luthe aus der KfW-Evaluierungsabteilung. Oft deckten sie nicht, | |
was für Wartung, für Reparaturen und Ersatzteile nötig sei. „Das | |
überwiegende Problem in der Wasserversorgung ist es, die Mittel dafür | |
einzunehmen, um den Unterhalt, die Ersatzinvestitionen, Reparaturen und so | |
weiter zu finanzieren“, sagt Luthe. Der Wassertarif werde oft politisch | |
festgelegt. „Gerade in ärmeren Ländern ist die Frage, wie viel jetzt ein | |
Kubikmeter Wasser kostet, eine entscheidende, die von der Politik sehr | |
stark im Auge behalten wird.“ | |
In Jordanien subventioniert die Regierung das Wasser. Nach Angaben des | |
Yarmouk-Managers kostet ein Kubikmeter Wasser 2,3 Dinar (circa 2,75 Euro). | |
„Wir verkaufen es den Leuten für 0,6 Dinar (0,70 Euro). Die Differenz zahlt | |
unser Unternehmen.“ Auf Dauer ist das nicht profitabel. | |
## Internationaler Austausch als Lösung | |
Privatisierung statt Verstaatlichung könnte die Lösung sein. Eine | |
öffentlich-private Partnerschaft könnte die Privatwirtschaft einbeziehen. | |
Das würde nicht nur das Einnahmeproblem lösen, sondern auch der | |
Vetternwirtschaft den Garaus machen. Denn der staatliche Betreiber habe | |
ein aufgeblähtes Management, während die Arbeiter damit beschäftigt seien, | |
die Schieber so zu drehen, damit sie überhaupt Wasser verteilen können, | |
sagt de Jong. „Die haben keine Zeit für vorbeugende Wartung.“ | |
Yarmouk-Direktor al-Momani ist gegen die Idee. „Die Privaten wollen Profit | |
machen, was bedeuten würde, die Tarife zu erhöhen, um die Kosten zu | |
decken.“ Ohne die anderen Probleme – hohe Energiekosten, knappe | |
Wasserressourcen – zu lösen, müsste ein Kubikmeter dann viel mehr kosten, | |
so der Direktor. Würde der Preis steigen, gibt es womöglich Aufstände. | |
Großanlagen der Privatwirtschaft zu übergeben, würde auch bedeuten, dass | |
die Projekte nie auf lokalen Füßen stünden. Es wäre quasi die perfekte | |
deutsche Außenwirtschaftsförderung. | |
Eine neue Idee kommt aus den Niederlanden: Wartung und Monitoring nicht | |
über Ingenieurbüros laufen zu lassen, sondern über globale | |
Betreiberpartnerschaften. Da tauschen sich kommunale Wasserver- und | |
Wasserentsorger mit ihren internationalen Kolleg*innen aus, ohne Profit | |
daraus zu schlagen. Das Bundesministerium für wirtschaftliche | |
Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanzierte im Sommer 2019 ein | |
Pilotvorhaben mit Betreibern aus Jordanien, Marokko, Sambia und der | |
Ukraine. Im Jahr 2021 schrieb die EU das Programm aus, mit einem Budget von | |
8,3 Millionen US-Dollar für 20 bis 30 Partnerschaften. | |
Deutsche Wasserwerke sehen diesen Ansatz positiv. „Wir wollen uns als | |
Arbeitgeber positionieren und wissen, dass junge Ingenieur*innen ins | |
Ausland gehen wollen“, sagt Claudia Wendland, zuständig für die | |
Partnerschaften bei Hamburg Wasser. Auch de Jong findet die Idee gut: | |
„Betreiber sind auch keine Consultants, wir sollten in der | |
Entwicklungszusammenarbeit eine klarere Rolle kriegen, um Anlagen | |
nachhaltig betreiben zu können.“ | |
Mitarbeit: Eva Oer | |
29 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Julia Neumann | |
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