# taz.de -- Entwicklungshilfe für Wasserprojekte: Wohin das Geld fließt | |
> Deutschland ist einer der größten Geldgeber für Wasserprojekte weltweit. | |
> Eine taz-Datenanalyse erkundet, ob die Milliarden bei den Richtigen | |
> ankommen. | |
Von dem Geld wurde die Wasserversorgung einer Grundschule in Nigeria | |
bezahlt. Es ging in [1][Dachwassertanks, sparsame Wasserhähne und | |
Toiletten] in jordanischen Gemeinden, die viele Flüchtlinge aufnehmen. Es | |
fließt in Förderkrediten nach Mexiko, um die Wasserbehörde bei ihren | |
Reformen zu unterstützen. | |
Mehr als eine Milliarde Euro sagt Deutschland jedes Jahr für Wasserprojekte | |
weltweit zu. Die Bundesrepublik ist in diesem Bereich eines der wichtigsten | |
Geberländer der Welt. Aber geht dieses Geld auch an die, die es am meisten | |
brauchen? | |
Um diese Frage zu beantworten, hat die taz in einer großen Datenrecherche | |
genauer analysiert, wohin die deutschen Gelder aus der | |
Entwicklungszusammenarbeit zum Thema Wasser zwischen 2002 und 2019 flossen. | |
Dafür wurden Datensätze der OECD von über 100 Ländern aufbereitet, neu | |
berechnet und mit anderen Daten – etwa zu Wassermangel und dem Zugang zu | |
sauberem Trinkwasser – ins Verhältnis gesetzt. | |
Die Daten werfen wichtige Fragen auf: Warum bekommen die ärmsten Länder | |
nicht die meisten Gelder? Warum gibt es Länder mit großer Wassernot, in die | |
kaum Finanzierung fließt? Warum werden so häufig Mega-Projekte gefördert? | |
Die Beantwortung dieser Fragen erzählt nicht nur etwas über die weltweite | |
Wasserkrise. Sie zeigt auch beispielhaft, wie komplex die Vergabe von | |
Geldern in der Entwicklungszusammenarbeit funktioniert. Denn darüber, ob | |
und wohin Geld fließt, entscheidet nicht nur der Fakt, wie dringend es | |
gebraucht wird. Aktuelle Krisen spielen genauso eine Rolle wie historische | |
diplomatische Verbindungen. | |
Bei der Frage, ob die Finanzierung von Projekten im Bereich | |
Wasserversorgung gelingt oder nicht, geht es nicht nur um Zahlen, sondern | |
um Leben. Wenn die Unterstützung nicht zunimmt, rechnet die UN aus, dann | |
mangelt es im Jahr 2030 wohl immer noch 1,6 Milliarden Menschen an sicherem | |
Trinkwasser. | |
Die internationale Gemeinschaft hat sich als Teil ihrer Ziele für | |
nachhaltige Entwicklung bis 2030 auch einen Wasservorsatz vorgenommen. Ziel | |
6 ist: sauberes Wasser und Sanitärversorgung für alle. | |
Doch dafür müssen sehr viele Länder sehr viel mehr Mittel aufbringen. In | |
einem [2][Bericht der Vereinten Nationen zum Zwischenstand] bei diesem Ziel | |
heißt es: „Zwanzig Länder und Gebiete meldeten eine Finanzierungslücke von | |
61 Prozent zwischen dem identifizierten Bedarf und den verfügbaren | |
Geldern.“ In vielen betroffenen Regionen fehlt also Geld. Viel Geld. | |
Der Klimawandel verschärft die Lage. Die [3][Weltwetterorganisation WMO hat | |
Anfang Oktober gewarnt], dass sowohl Überschwemmungskatastrophen als auch | |
Trinkwassermangel weltweit schlimmer würden. „Wir müssen aufwachen und uns | |
dieser drohenden Wasserkrise stellen“, sagte Generalsekretär Petteri | |
Taalas. | |
## Nimmt Deutschland das Thema Wasser ernst genug? | |
Schaut man sich die Gelder genauer an, die Deutschland in den vergangenen | |
Jahren in Wasserprojekte weltweit gesteckt hat, so sieht es zunächst so | |
aus, als gehöre die Bundesrepublik zu den Ländern, die die wachsende | |
Dringlichkeit des Themas verstanden haben. | |
Schließlich ist Deutschland eines der wichtigsten Geberländer für den | |
Wassersektor. In vielen der vergangenen Jahre wechselte sich die | |
Bundesrepublik mit Japan auf den ersten beiden Spitzenplätzen der Geber für | |
bilaterale Projekte ab. | |
Und die Summen, die jährlich für den Wassersektor eingeplant werden, | |
wuchsen in der Tendenz. Im Jahr 2003 sagte die Bundesrepublik rund 431,2 | |
Millionen Dollar zu. Zehn Jahre später überstiegen die zugesagten | |
Wassergelder schließlich sogar eine Milliarde – 1,3 Milliarden US-Dollar | |
verplante Deutschland im Jahr 2012. Ab 2017 blieb sie immer über der | |
Milliardenmarke. | |
Aber: Die Gelder, die Deutschland in die Entwicklungszusammenarbeit steckt, | |
nehmen in dem Zeitraum allgemein zu. Das hat unter anderem damit zu tun, | |
dass auch bestimmte Kosten für Flüchtlinge im eigenen Land als | |
Entwicklungsgelder verbucht werden dürfen und dieser Wert 2015 plötzlich | |
stark wuchs. 2016 etwa wurden nach Berechnungen der Wissenschaftlichen | |
Dienste des Bundestages 25 Prozent der gesamten Entwicklungsgelder | |
Deutschlands im eigenen Land ausgegeben. | |
Blick man also auf die Wichtigkeit des Wassersektors prozentual – im | |
Vergleich zu dem Rest der Gelder –, so sieht man, dass er auf einem relativ | |
niedrigen Niveau von meist unter 10 Prozent dümpelt. Das Thema wird also | |
über die Zeit nicht wichtiger im Vergleich zu anderen. | |
Wissenschaftlerin Annabelle Houdret vom Deutschen Institut für | |
Entwicklungspolitik beobachtet, wie Deutschland sich im Wasserbereich | |
engagiert. Sie schätzt Wasser als zentrales Thema für die deutsche | |
Entwicklungszusammenarbeit ein. | |
Neben der Erderhitzung könnte nun ein weiterer Effekt dazu beitragen, dass | |
die Wasserkrise an Relevanz gewinnt. Durch die Pandemie, so Houdret, habe | |
sich auch ein neues Bewusstsein für die Wichtigkeit von Wasserthemen | |
gebildet. „Ich glaube, Corona hat nun stark hervorgehoben, wie dringend es | |
ist und wie schlimm, dass Leute sich zum Beispiel in Warteschlangen | |
öffentlicher Versorgungspunkte anstecken, wenn sie keinen Wasseranschluss | |
zu Hause haben.“ | |
## Bekommen die Länder mit dem größten Wassermangel das meiste Geld? | |
Unter den Ländern, die die meisten Gelder erhalten, sind viele mit hohem | |
Wasserstress. Der Begriff bezeichnet, in welchem Verhältnis der Verbrauch | |
eines Landes zu den dortigen Wasservorkommen steht. Länder mit extremem | |
Wasserstress verbrauchen jährlich mehr als 80 Prozent ihrer verfügbaren | |
Ressourcen. | |
Besonders betroffen von Wassermangel: Der Nahe Osten und Nordafrika, die | |
sogenannte Mena-Region. Sie gilt als die [4][wasserärmste der Welt] – und | |
ist eine der wichtigsten Empfängerregionen für deutsche Entwicklungsgelder | |
im Wasserbereich. | |
Erstellt man eine Top 10 der Empfängerländer von deutschen Zahlungen | |
zwischen 2002 und 2019, liegen mit Jordanien, Tunesien, Marokko, | |
Westjordanland und Gazastreifen sowie Ägypten die Hälfte der Staaten dieser | |
Rangliste im Nahen Osten oder Nordafrika. | |
Deutschland finanziert hier zum Beispiel die [5][Wasserversorgung für | |
syrische Flüchtlinge] und ihre aufnehmenden Gemeinden mit Zuschüssen. | |
Jordanien ist eines der Länder der Erde, in denen weltweit die meisten | |
Flüchtlinge untergebracht sind. [6][Ende Mai diesen Jahres zählte das UNCHR | |
rund 755.000 Flüchtlinge im Land], von denen 667.000 aus dem Nachbarland | |
Syrien kamen. Damit sind etwa [7][10,5 Prozent der Bevölkerung] des Landes | |
Flüchtlinge. | |
Über die Jahre ist Jordanien das Land, das die meisten der deutschen | |
offiziellen Entwicklungsgelder im Wasserbereich bekommt. Darunter fallen | |
vor allem Kredite, aber auch Zuschüsse. Nach unseren Berechnungen summieren | |
sich die Gelder von 2002 bis 2019 insgesamt auf rund 968 Millionen | |
US-Dollar. | |
## Warum bekommen einige wasserarme Länder kaum Geld? | |
Es gibt einige Länder, die unter extremem Wasserstress leiden und trotzdem | |
wenig oder kein Geld von Deutschland in diesem Bereich bekommen: Libanon, | |
Iran, Libyen, Eritrea, Pakistan, Turkmenistan und Botswana. | |
Für diese blinden Flecken der Zusammenarbeit gibt es unterschiedliche | |
Gründe. Ob die Regierung sich zu Reformen bereit zeigt, ist ein Grund. Wie | |
der Empfängerstaat seine Bürger*innen behandelt, ein anderer. | |
„Nicht alle Staaten sind Partnerländer der staatlichen deutschen | |
Entwicklungszusammenarbeit“, erklärt das Entwicklungsministerium auf | |
taz-Anfrage. „Dies ist zum Beispiel für den Iran der Fall – unter anderem | |
wegen gravierender Defizite im Bereich Achtung der Menschenrechte.“ | |
Menschenrechtsorganisationen stellen dem Iran, aber auch Eritrea und | |
Turkmenistan, regelmäßig ein katastrophales Zeugnis aus. Der | |
Rechtsstaatlichkeitsindex des Global Justice Projects sieht den Iran in | |
seinem Ranking nur auf Platz 119 von 139 – bei den Grundrechten sieht die | |
Organisation das Land sogar auf dem letzten Platz der Länderliste. | |
Allerdings: Der Iran teilt sich die letzten Ränge hier mit China (Platz | |
136) und Ägypten (Platz 138). Beiden Ländern werden ebenfalls | |
Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen – Deutschland lässt ihnen trotzdem | |
große Summen zukommen. | |
Wie viel Geld ein Land bekommt und in welchem Bereich, hängt also | |
grundsätzlich stark von den diplomatischen Verbindungen ab – konkret von | |
dem Fakt, ob ein Staat von der Bundesrepublik als Partnerland angesehen | |
wird. | |
Das Bundesentwicklungsministerium hat im vergangenen Jahr [8][ein neues | |
Reformkonzept] vorgestellt, wie Partnerländer für direkte staatliche | |
Zusammenarbeit definiert werden. Unter Kritik von | |
Nichtregierungsorganisationen, denn der Ansatz ist: Die Zahl der Länder | |
soll weiter reduziert werden. Deutschland will in noch mehr Ländern aus der | |
Zusammenarbeit aussteigen. | |
## Gehen deutsche Gelder auch in Kriegsländer? | |
Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan Mitte August dieses | |
Jahres stellte Deutschland die staatliche Entwicklungszusammenarbeit | |
zunächst ein. | |
Ein Weg, die Bevölkerung trotzdem weiter zu unterstützen, ist die Förderung | |
über multilaterale Organisationen wie die UN. Im Fall von Syrien | |
unterstützt Deutschland die Flüchtlinge des Landes auch in verschiedenen | |
Nachbarländern. | |
In Syrien hatte Deutschland noch in den Jahren 2008 und 2009 rund 77,58 und | |
80,39 Millionen US-Dollar im Wassersektor zugesagt. In den nachfolgenden | |
Jahren floss nach Beginn des Bürgerkrieges nur noch ein kleiner Teil. | |
2011 hatte das Entwicklungsministerium wegen der Krise die | |
Entwicklungsarbeit offiziell weitgehend suspendiert. Seitdem wurde sie nie | |
wieder aufgenommen, betont eine Ministeriumssprecherin: Es bestünden „keine | |
Beziehungen“ des Ministeriums zur syrischen Regierung. | |
Aber: Das heißt nicht, dass kein Geld fließt. Aufgrund der Notlage | |
unterstütze das Ministerium weiterhin Maßnahmen in Syrien zum Wiederaufbau | |
der vom Bürgerkrieg stark beschädigten Trink- und Abwasserinfrastruktur. | |
„Der Schwerpunkt dieser Maßnahmen liegt auf den Gebieten in Nordwest- und | |
Nordostsyrien, die der militärischen und administrativen Kontrolle des | |
syrischen Regimes entzogen sind.“ Dabei werde ausschließlich mit den | |
Vereinten Nationen und der syrischen Zivilgesellschaft zusammengearbeitet, | |
so eine Sprecherin. | |
Wo hört eine Zivilgesellschaft auf, wo fängt ein Regime an? Eine solche | |
Grenze ist in einem Kriegsland schwer zu ziehen. So sind zum Beispiel auch | |
kommunale Wasserversorger in die Projekte in Syrien eingebunden, wie das | |
Ministerium auf Nachfrage bestätigt. | |
## Warum fließt so viel Geld nach China? | |
China ist ein Land, das für die Menschenrechtssituation vor Ort kritisiert | |
wird. Und gleichzeitig ist es für deutsche Entwicklungsgelder im | |
Wasserbereich über die Jahre der zweitgrößte Empfängerstaat. Das Verhältnis | |
ist kompliziert: China sei für „die deutsche Entwicklungszusammenarbeit | |
zugleich Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale“, heißt es in einem | |
[9][Positionspapier des Bundesentwicklungsministeriums]. | |
Der Staat bekam und bekommt in großem Ausmaß Entwicklungsgelder – und hat | |
sich gleichzeitig selbst über das vergangene Jahrzehnt zum Geberland | |
gewandelt. | |
In afrikanischen Ländern stößt das Land mit großen Investitionen wichtige | |
Infrastrukturprojekte an. Die Leistungen Chinas in der | |
Entwicklungszusammenarbeit sind aber auch umstritten – kritisiert wird, | |
dass es China nicht interessiere, [10][ob dabei in den Partnerländern | |
Menschenrechts- und Umweltstandards eingehalten würden]. Andere mahnen, | |
dass Empfängerländer durch die Kreditkonditionen Chinas in der | |
Schuldenfalle landeten. | |
Das Forschungszentrum AidData hat über Jahre [11][Daten zu | |
Entwicklungsfinanzierung] aus dem Staat zusammengetragen. Sie beziffern die | |
gesamten Entwicklungshilfe-ähnlichen Zahlungen aus China in allen Bereichen | |
zwischen 2000 und 2017 auf 101 Milliarden US-Dollar (ungefähr 87 Milliarden | |
Euro) – noch viel mehr gibt das Land aber für andere Arten von Krediten an | |
Entwicklungsländer aus. Die beiden größten Empfängerländer sind nach der | |
Analyse von AidData Irak und Nordkorea. | |
Das Land verbraucht jährlich 20 bis 40 Prozent seiner Wasservorkommen und | |
hat damit mittelhohen Wasserstress. Neue Zuschüsse aus dem Etat des | |
Entwicklungsministeriums gibt es für das Land seit mehr als zehn Jahren | |
nicht mehr: „Es gab sowohl in der finanziellen als auch in der technischen | |
Zusammenarbeit im Wassersektor in China keine Neuzusagen mit | |
Haushaltsmitteln nach 2009“, so eine Sprecherin des | |
Entwicklungsministeriums. Auch mit zwei neuen Verträgen danach sollten nur | |
alte Zusagen erfüllt werden. | |
Was es aber weiterhin gibt, sind Förderkredite. Zum Beispiel unterstützt | |
Deutschland über einen [12][Kredit der KfW-Entwicklungsbank ein Projekt in | |
der Stadt Yangzhou im Osten Chinas], wo eine Kläranlage um- und ausgebaut | |
werden soll. Die Kreditsummen sind teils üppig: 2019 etwa hat die | |
Bundesrepublik mit insgesamt rund 230 Millionen US-Dollar (etwa 198 | |
Millionen Euro) eine außergewöhnlich hohe Summe zugesagt. | |
Die bürokratischen Rädchen der Entwicklungszusammenarbeit sind nicht die | |
schnellsten. Und im Falle von China drehten sie sich noch weiter, als das | |
Land eigentlich schon in eine andere Rolle hineingewachsen war. | |
## Warum bekommen manche Länder mit wenig Wasserstress viel Geld? | |
Es gibt mehrere Länder, die schwachen bis mittleren Wasserstress haben und | |
trotzdem in der Vergangenheit vergleichsweise viel Geld bekommen haben: | |
Tansania, Vietnam, Kenia und Sambia sind darunter. Sie bekamen jeweils über | |
die Jahre mehr als 200 Millionen US-Dollar. | |
Das heißt allerdings nicht, dass das Geld dort falsch gelandet wäre. | |
Teilweise ist Wasser innerhalb des Landes so ungleich verteilt, dass es | |
wasserarme Regionen oder starke lokale Dürren in eigentlich wasserreichen | |
Ländern gibt. In einem Land mit guten Wasserressourcen kann es durch | |
mangelnde Infrastruktur trotzdem dazu kommen, dass sauberes Trinkwasser | |
oder Zugang zu sanitärer Versorgung fehlt. | |
Uganda ist ein gutes Beispiel: Deutschland ist einer der wichtigsten | |
bilateralen Geber für das ostafrikanische Land und im Wasserbereich sogar | |
der größte. Zwischen 2002 und 2019 flossen aus Deutschland insgesamt 201,81 | |
Millionen US-Dollar. | |
Immer wieder leiden Teile des Landes unter Dürren. Aufgrund dessen sind | |
[13][nach Zahlen der Weltbank] mehr als 10 Prozent, ungefähr 4,5 Millionen | |
Menschen, jährlich von Wassermangel betroffen. 2017 stürzte eine Dürre | |
etliche Ugander*innen in die Not, etwa eine Million benötigte demnach | |
dringende Ernährungshilfen. | |
Außerdem mangelt es an grundlegender Versorgungsinfrastruktur: So haben | |
[14][nach Daten von WHO und Unicef] nur 17 Prozent der Bevölkerung stetigen | |
Zugang zu sauberem und sicherem Trinkwasser auf dem Grundstück. 39 Prozent | |
müssen bis zu 30 Minuten laufen und womöglich Schlange stehen, um sich zu | |
versorgen. Andere müssen noch längere Strecken zurücklegen, vielleicht | |
Wasser aus einer ungesicherten Quelle oder gar Oberflächenwasser trinken, | |
etwa aus Flüssen, Seen, Kanälen. | |
## Bekommen die ärmsten der betroffenen Länder am meisten? | |
Der Zugang zu Wasser ist global höchst ungleich verteilt: 70 Prozent der | |
Menschen in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara [15][mangelt es an | |
sicherem Trinkwasser]. In dieser Region liegen auch die meisten der | |
sogenannten „am wenigsten entwickelten Länder“. 34 von 46 Staaten weltweit | |
zählt die UN in diese Kategorie. | |
Das meiste Geld im Wassersektor fließt jedoch an die Länder, denen es schon | |
vergleichsweise besser geht. Das wird beim Blick auf die verschiedenen | |
Einkommensgruppen klar, in die das Geld in den vergangenen Jahrzehnten | |
floss. | |
Der größte Teil der Investitionen ging an die Länder mittleren Einkommens. | |
Damit setzt sich im Wassersektor fort, wofür Deutschland in der jüngeren | |
Vergangenheit auch insgesamt kritisiert wurde: nicht genug seiner | |
Entwicklungsgelder an die Ärmsten zu geben. | |
So schreibt der Entwicklungshilfeausschuss der OECD (DAC) [16][in seinem | |
letzten Prüfbericht,] Deutschland sei zwar seit 2016 unter den im DAC | |
organisierten Ländern der zweitgrößte Geber, der für die Leistungen an die | |
am wenigsten entwickelten Länder gesetzte Zielwert von 0,15 Prozent des | |
Bruttonationaleinkommens sei jedoch noch nicht erreicht. 23 Prozent der | |
bilateralen Entwicklungs-Bruttoleistungen „bestehen aus Krediten, die fast | |
alle an Länder der mittleren Einkommensgruppe gehen“. | |
Das Entwicklungsministerium scheint auch nicht wirklich etwas zu | |
unternehmen, um das zu ändern – jedenfalls unternimmt es keine Schritte, | |
die dem entgegenstehen könnten. Das schreibt die Welthungerhilfe in | |
[17][einer Bewertung des Reformkonzepts 2030]. | |
Auch Expert*innen im Wassersektor fordern von der Bundesrepublik, mehr | |
Mittel gezielter für arme Menschen auszugeben. So etwa das Wash-Netzwerk, | |
eine Initiative deutscher Nichtregierungsorganisationen, die zu Wasser, | |
Sanitärversorgung und Hygiene arbeiten – diesen Dreiklang nennen die | |
Fachleute kurz: Wash. | |
Im Sinne des in den UN-Entwicklungszielen zentralen Versprechens, niemanden | |
zurückzulassen, sollten mindestens 50 Prozent der im Wash-Bereich | |
investierten Mittel „für die Ärmsten der Armen bereitgestellt werden – zur | |
Unterstützung einer schrittweisen Realisierung der Menschenrechte auf | |
Wasser- und Sanitärversorgung“, heißt es [18][in einem Positionspapier]. | |
Aber wer sind die Ärmsten der Armen? | |
„Da sind wir beim Punkt – dass es nämlich keine besonders verlässliche | |
Messung von Seiten der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gibt, wo welche | |
Mittel hinfließen und welche Bevölkerungsgruppen davon profitieren“, sagt | |
Johannes Rück, Koordinator des Netzwerks. | |
Zum einen könne man auf die Zielländer blicken: Jordanien, China, Tunesien, | |
Marokko und Mexiko etwa seien Partner der deutschen | |
Entwicklungszusammenarbeit, in denen Strukturen für eine Kooperation | |
historisch gewachsen und somit womöglich machbarer seien als in anderen | |
Staaten. „Aber das sind nicht die am wenigsten entwickelten Länder, bei | |
denen man sagen könnte: Hier erreicht man Menschen, die aller | |
Wahrscheinlichkeit nach in extremer Armut leben.“ | |
Zum anderen sei es aber auch die Art des unterstützten Projekts sowie der | |
Ort wichtig: „Einen großen Teil des Geldes investiert Deutschland in die | |
größeren zentralen Systeme, die leitungs- oder kanalgebunden sind, wie etwa | |
organisierte Abwasserbehandlungen, Kläranlagen und so weiter“, sagt Rück. | |
„Die sind in der Regel in den städtischen Zentren beheimatet, wo im | |
Allgemeinen eher Menschen leben, die schon der extremen Armut entkommen | |
sind.“ | |
Er wolle nicht vorwerfen, dass nur Reiche adressiert werden, sagt Rück. Er | |
weist aber auf einen [19][Weltbankbericht aus dem Jahr 2019] hin, der | |
zumindest darauf hindeutet, dass nicht nur deutsche Gelder, sondern | |
Subventionen im Wasserbereich generell eher Wohlhabenden zugute kommen. | |
„Das war eine gewisse Bombe im Wassersektor.“ | |
Die Autor*innen des Berichts gehen nach einer Analyse von zehn | |
Entwicklungsländern davon aus, dass 56 Prozent der Beihilfen im | |
Wasserbereich den wohlhabendsten 20 Prozent der Bevölkerung zugutekommen. | |
Demnach entfallen nur sechs Prozent der Subventionen auf die ärmsten 10 | |
Prozent. | |
Dem Bericht zufolge werde mit den meisten Subventionen zwar beabsichtigt, | |
dass die erschwingliche Versorgung mit Wasser und sanitären Anlagen für | |
Arme gesichert werde. Aber am Ende profitierten oft relativ bessergestellte | |
Haushalte, die bereits über Anschlüsse an die Wasser- und | |
Sanitärinfrastruktur verfügten. „Die Ärmsten der Armen“, denen es im | |
Allgemeinen an Zugang zu der vernetzten Versorgung mangele, blieben übrig – | |
ohne ihr Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser, folgern die Autor*innen. | |
„Angesichts der Tatsache, dass die meisten Subventionen teuer, wenig | |
zielorientiert, intransparent und verzerrend sind, ist es dringend | |
notwendig, dass politische Entscheidungsträger*innen überdenken, wie | |
derzeitige Ausgaben funktionieren, und vorhandene Ressourcen sorgsam | |
ausrichten, um die größte Wirkung zu haben“, schreiben sie. | |
## Warum fließt so viel Geld in Großprojekte? | |
Das meiste deutsche Geld fließt in Megaprojekte – in große Systeme, also | |
umfangreiche Vorhaben etwa im Bereich von Kanalisation und Leitungen. Eine | |
einfache Latrine etwa fällt nicht darunter, sondern Projekte wie der Bau | |
von Kläranlagen, Wasserfernleitungen und von Meerentsalzungsanlagen. | |
Kann das Hilfe für die Ärmsten der Armen sein oder steckt dahinter der | |
Wunsch nach Großprojekten, an denen dann möglicherweise wieder deutsche | |
Ingenieur*innen und Unternehmen beteiligt werden? | |
„Große Systeme stellen die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung einer | |
Ortschaft durch ein Netz sicher, an das die Einzelhaushalte angeschlossen | |
werden. Die grundlegenden Systeme versorgen hingegen meistens mehrere | |
Haushalte auf einmal“, schreibt das Bundesministerium für wirtschaftliche | |
Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) [20][in einem Papier] dazu und führt | |
weiter aus: „Die Pro-Kopf-Kosten der Wasserversorgung und | |
Abwasserentsorgung über große Systeme betragen ein Mehrfaches der Kosten | |
für grundlegende Versorgung.“ | |
Es wäre natürlich nicht besser, nun nur noch Wasserkioske und Latrinen zu | |
unterstützen, weil diese als grundlegende Versorgung billiger sind. Doch | |
die Frage bleibt: Wie viele Menschen lässt die deutsche | |
Entwicklungszusammenarbeit mit ihren derzeitigen Investitionen zurück? | |
Das Einzelprojekt mit dem größten Finanzvolumen liegt in Marokko, dem | |
drittgrößten Empfängerland. Hier sagte Deutschland im Auftrag des | |
Bundesentwicklungsministeriums 2013 einen riesigen Förderkredit über rund | |
271,5 Millionen Dollar zu, damals umgerechnet etwa 200 Millionen Euro, für | |
die Wasserstrategie der staatlichen OCP Group, die zuletzt einen | |
Jahresumsatz von umgerechnet ungefähr 5,31 Milliarden Euro vermeldete. | |
Marokko ist außerordentlich reich an Phosphatvorkommen, so verfügt die OCP | |
Group nach eigenen Angaben über den Zugang zu 70 Prozent der weltweiten | |
Phosphatreserven. Trotzdem befand Deutschland das Ganze als so | |
förderungswürdig, dass es sich für einen vergünstigten Kredit aussprach. | |
Doch die Zusammenarbeit mit Marokko entwickelt sich für Deutschland zur | |
Blamage: Marokko ist zwar einer der gehypten „Reformpartner“ des | |
Entwicklungsministeriums – ein Staat, den das Ministerium für besonders | |
reformorientiert hält und deswegen stärker unterstützt. | |
Aber die gesamte Kooperation ist derzeit völlig in der Schwebe. Im März | |
2021 hat die marokkanische Regierung Berlin nämlich abserviert: Die | |
Bundesregierung erfuhr aus den Medien, dass die marokkanische Regierung | |
entschieden hatte, einseitig sowohl die Beziehungen zur deutschen Botschaft | |
in Rabat als auch zu den Organisationen und politischen Stiftungen | |
abzubrechen. Hintergrund dürfte die Haltung der Bundesregierung sein, das | |
umkämpfte Territorium Westsahara nicht als marokkanisches Staatsgebiet | |
anzuerkennen. | |
Seit März 2021 ruhen deswegen nach Aussage des Ministeriums die meisten | |
Projekte oder sie sind verzögert. Große Systeme sind anfällig für große | |
Probleme. | |
Mitarbeit: Luise Strothmann | |
Francesca Morini ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am UCLab der FH | |
Potsdam, mit dem die taz für die Visualisierungen kooperiert hat. Ihre | |
Arbeit an den Grafiken ist Teil des [21][VIDAN-Forschungsprojekts], das vom | |
Bundesministerium für Bildung und Forschung und in Kooperation mit der | |
civity Consulting Group gefördert wird. | |
28 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Syrische-Gefluechtete-in-Jordanien/!5797648 | |
[2] https://www.unwater.org/publications/un-water-glaas-2019-national-systems-t… | |
[3] https://public.wmo.int/en/media/press-release/wake-looming-water-crisis-rep… | |
[4] https://openknowledge.worldbank.org/bitstream/handle/10986/27659/211144ov.p… | |
[5] /Syrische-Gefluechtete-in-Jordanien/!5797648 | |
[6] https://reporting.unhcr.org/sites/default/files/Jordan%20operational%20upda… | |
[7] https://www.nrc.no/perspectives/2020/the-10-countries-that-receive-the-most… | |
[8] https://www.bmz.de/de/entwicklungspolitik/reformkonzept-bmz-2030 | |
[9] https://www.bmz.de/de/laender/globale-partner | |
[10] https://www.bundestag.de/resource/blob/809266/2844a74ea1c3a5bbb192e1615a2e… | |
[11] https://www.aiddata.org/publications/banking-on-the-belt-and-road | |
[12] https://www.kfw-entwicklungsbank.de/ipfz/Projektdatenbank/Yangzhou-Tang-Wa… | |
[13] https://www.gfdrr.org/en/publication/disaster-risk-profile-uganda-2019 | |
[14] https://washdata.org/data/household#!/uga | |
[15] https://washdata.org/report/jmp-2021-wash-households-LAUNCH-VERSION | |
[16] https://www.oecd-ilibrary.org/sites/83f90077-de/index.html?itemId=%2Fconte… | |
[17] https://www.welthungerhilfe.de/aktuelles/publikation/detail/bewertung-des-… | |
[18] https://www.washnet.de/wp-content/uploads/PositionspapierWASH_WEB_72dpi-1.… | |
[19] https://www.worldbank.org/en/topic/water/publication/smarter-subsidies-for… | |
[20] https://www.bmz.de/resource/blob/29022/de637f525ab43fb36ec717103cf0aa65/0_… | |
[21] https://uclab.fh-potsdam.de/projects/vidan/ | |
## AUTOREN | |
Eva Oer | |
Francesca Morini | |
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