Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neven Subotić über sein Buch: „Neutralität gibt es nicht“
> Früher ließ er Korken knallen, heute lässt er Brunnen bauen:
> Ex-Fußballstar Neven Subotić über seine Stiftung und die Verantwortung
> des Prominentseins.
Bild: Beendete im Juni 2022 seine Karriere: Ex-BVB-Star Neven Subotić
taz: Herr Subotić, Fußballer haben in der Gesellschaft [1][einen großen
Einfluss]. Wann wurde Ihnen bewusst, dass Sie Ihren Einfluss nutzen
möchten?
Neven Subotić: Ich bin mit 17 Jahren Profifußballer geworden. Damals dachte
ich, es zählt nur, was ich auf dem Platz mache. Dass aber auch außerhalb
des Sportlichen auf mich geschaut wird, ist mir erst später klar geworden.
Mit 20 wurde mir klar, dass ich nicht nur mit meiner Fußballmannschaft
wahrgenommen werde, sondern auch bei anderen Auftritten. Ich erinnere mich,
dass mich Mütter fragten, ob ich ihren Söhnen sagen kann, wie wichtig
Hausaufgaben sind. Einige Fans hören mehr auf Fußballer als auf ihre
Eltern.
Wieso ist das so?
Fußballer bekommen Gehör, weil sie nicht einfach als Person gesehen werden.
Es wird etwas Perfektes aus ihnen gemacht. Das ist dann fast schon
fanatisch und göttlich, um das mal übertrieben darzustellen.
Wie blicken Sie auf ehemalige Kollegen, die diesen Einfluss nicht nutzen?
Man ist immer entweder für oder gegen etwas. Neutralität gibt es nicht. Das
trifft hier genauso zu wie auf Rassismus. Oder auf das Wahlverhalten. Auch
wenn man nicht zur Wahl geht, wählt man. Solche Entscheidungen sind immer
mit einer Haltung verbunden. Ich glaube, bei den meisten spielt es sich
genau auf dieser Ebene ab. Viele Fußballer finden es cool, wenn Fans ihnen
die Frisur nachmachen. Aber die Bewunderung hört eben nicht bei der Frisur
auf. Sie schauen sich auch die Werte und Handlungen ab. Wo macht jemand
Urlaub, wie geht der Spieler mit Menschen um. Gerade der extreme Konsum von
Fußballern führt oft zu Ausgrenzungen. Und zwar von denjenigen, die sich
diesen Lifestyle nicht leisten können. Die kein T-Shirt von der angesagten
Marke tragen.
Auch Sie waren in einem Tunnel von Geld, Autos, Luxusurlauben und Frauen.
Das alles war sehr wichtig für Sie. Wie kann man sich das vorstellen?
Ich vergleiche das mit einer Autobahn, auf der man mit 300 Kilometern pro
Stunde rast. Plötzlich verschwimmt alles um einen herum und man nimmt
nichts mehr wahr. Vielleicht gibt es Signale, die einem sagen, wo man
hinfahren soll, oder dass man mal auf die Bremse treten muss. Aber man
drückt einfach immer weiter durch und kann nicht stoppen. Es muss ein
externer Zuruf kommen, der sagt: Hey, slow down. Du kannst langsamer werden
und trotzdem in Bewegung bleiben.
Kam dieser Ruf bei Ihnen?
Ich hatte Glück, dass ich Freunde mit ganz anderen Interessen und
finanziellen Möglichkeiten hatte. Ich erinnere mich an einen Urlaub, wo ich
mit drei Kollegen etwas starten wollte. Einer von ihnen konnte sich kein
Hotel in Dubai leisten. Also sind wir mit dem Wohnwagen losgefahren. Es war
der coolste Urlaub, den ich je hatte. Weil ich gemerkt habe, dass es egal
war, wo wir waren. Es zählte nur, dass wir zusammen sind und gemeinsam eine
gute Zeit hatten.
Fußball verfolgen Sie heute gar nicht mehr. Wieso?
Für mich ist nicht mehr wichtig, welcher Spieler ein Tor geschossen hat. Es
frustriert mich sogar, damit konfrontiert zu werden. Nicht selten werde ich
in Interviews gefragt, was zum Beispiel der schwerste Gegner war, gegen den
ich jemals gespielt habe. Ich kann das dann gar nicht glauben, weil es mir
so unwichtig erscheint. Ich will in solche Überlegungen keine Zeit mehr
reinstecken. Zumal ich weiß, dass es auch gefährlich sein kann, wenn man
alles unter den Sport stellt.
Was meinen Sie damit?
Ich sehe, dass Menschen süchtig nach dem Profifußball werden. Dadurch
werden dann die wirklich wichtigen Dinge im echten Leben vernachlässigt.
In Ihrem Buch „Alles geben“ schreiben Sie, dass Ihnen Titel und
Auszeichnungen nicht mehr wichtig sind. Nun haben Sie den
Bundesverdienstorden erhalten. Was bedeutet Ihnen das?
Ich habe diese Auszeichnung für meine Arbeit in der Neven Subotic Stiftung
bekommen. Dort kümmern wir uns um den weltweiten Zugang zu sauberem
Trinkwasser und Hygiene. Es fühlt sich an, als wären wir mit der Arbeit
noch am Anfang, obwohl es die Stiftung schon zehn Jahre gibt. Die
Auszeichnung war auf jeden Fall die größte Wertschätzung für diese Arbeit.
Aber bei dem Gedanken daran gibt es in mir immer auch eine zweite Ebene.
Damals bin ich mit meiner Familie nach Deutschland geflüchtet. Wir haben
hier zehn Jahre als absolute Vorzeigefamilie gelebt, bis wir innerhalb von
drei Monaten das Land verlassen mussten und in die USA gegangen sind.
Natürlich ist alles gewissermaßen gut ausgegangen. Jetzt werde ich sogar
vom Bundespräsidenten ausgezeichnet. Das heißt aber nicht, dass ich nicht
mehr an die sehr negativen Facetten denken muss. Zumal die sich vor allem
in unserer Familie etabliert haben.
Sie berichten von harter Arbeit, die Sie auch von Ihren Eltern vorgelebt
bekommen haben. Ist die Auszeichnung ein Punkt, an dem Sie sich etwas
ausruhen können?
Nein. Ich habe enorm viel Angst. Ich bin jemand, der noch am selben Abend
schon wieder frustriert von der Welt ist. Ich weiß schließlich, dass ich
nur ein kleines Rädchen in einem großen Weltsystem bin. Es gibt keinen
Preis auf der Welt, der in mir den Gedanken auslösen würde, dass ich es
jetzt geschafft habe. Ich verstehe Leute nicht, die durch Zuspruch von
außen an ein Ziel gekommen sind und darum noch Jahre kreisen. Ich kenne
Fußballer, die schauen sich immer wieder ihre Videos von vor zehn Jahren
an, um daran erinnert zu werden, wie toll sie mal spielen konnten. Nur
interessiert das keinen mehr.
Sie wollten eine Stiftung gründen, die die großen Probleme auf der Welt
lösen kann. Davon gibt es viele. Wie konnten Sie sich für ein Problem
entscheiden?
Ich war überzeugt, dass es nicht noch eine Organisation braucht, die sich
mit allem beschäftigt. Das ist wie in einem Restaurant, das alles auf der
Karte hat – da kann man sich nicht spezialisieren. Ich wollte eine
Organisation, die sich in ein Thema reinfrisst und darin langfristig
Experte wird. Als ich geschaut habe, welches globale Problem den größten
Schaden anrichtet, bin ich [2][schnell auf Wasser gekommen]. Knapp 300
Kinder erreichen jeden Tag ihren fünften Geburtstag nicht, weil sie davor
durch Krankheiten sterben, die durch das Wasser übertragen werden. Das war
für mich ein Problem, das direkt angegangen werden konnte. Die Lösung ist
unter den Füßen der Menschen: Grundwasser. Und um da ranzukommen, braucht
es Geld. Das war schon mit 22 greifbar für mich. Und das, obwohl ich zu
diesem Zeitpunkt sehr wenig über sehr wenig wusste (lacht).
Wenn Sie von ihrer Stiftungsarbeit sprechen, vermeiden Sie das Wort helfen.
Wieso?
Das Wort helfen impliziert doch immer, dass ich jemandem neutral helfe,
weil ich so ein toller Typ bin. Das negiert aber, dass der eigene Reichtum
abhängig von der anderen Person oder dem wirtschaftlichen System ist. Und
dass man davon profitiert. Es gibt Wörter, die passen einfach nicht in ein
postkoloniales oder [3][neokoloniales Zeitalter wie dieses]. Dafür hat mich
besonders meine Partnerin Shari sensibilisiert.
In Ihrer Kindheit haben Sie viele Ungerechtigkeiten erlebt, nachdem Sie mit
Ihrer Familie nach Deutschland gekommen sind. Dennoch schreiben Sie zum
Beispiel, dass Sie die Ungerechtigkeiten in den Ländern, die Sie bereisen,
nicht greifen können. Wie findet man einen Zugang zu einem Menschen, dessen
Realität man nie ganz versteht?
Wichtig ist, diese Grenze zu akzeptieren. Ich habe akzeptiert, dass ich nur
ein Mensch bin, der mit Leuten sprechen kann, der Bücher lesen und Experten
zuhören kann. Ich weiß aber, dass mich das alles nicht wirklich in die
Realität anderer Menschen bringt. Man sollte immer nach dem Maximum
streben. Aber ein Verständnis für eine Gruppe oder einen Menschen, den man
gerade erst kennengelernt hat, zu bekommen – das ist eine unmögliche
Herausforderung.
Sie werfen viele Fragen auf. Unter anderem, was eigentlich Gerechtigkeit
ist. Haben Sie darauf mittlerweile eine Antwort?
Ich weiß, dass es nicht die eine Gerechtigkeit gibt. Aber vielleicht hilft
es, sich nicht nur zu fragen, was alles schon gerecht ist, sondern eher,
was noch immer ungerecht ist. Denn dafür fehlt uns oft die Wahrnehmung.
11 Oct 2022
## LINKS
[1] /Historikerin-ueber-ukrainischen-Fussball/!5844016
[2] /Entwicklungshilfe-fuer-Wasserprojekte/!5808097
[3] /Wasserstoff-aus-Afrika/!5847166
## AUTOREN
Larena Klöckner
## TAGS
Fußball und Politik
Stiftung
Trinkwasser
Soziales Engagement
Nachruf
Wasserstoff
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt taz folgt dem Wasser
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nachruf auf CUS: „Professioneller Menschenquäler“
Denkaufgaben, Assoziationsknäuel, Kopfspaß für Schlauköpfe, dafür war Curt
Schneider aka CUS bekannt. Nun ist der Rätselmacher gestorben.
Wasserstoff aus Afrika: Warnung vor neuem Kolonialismus
Wasserstoffexporte können der Entwicklung in Afrika auch schaden, heißt es
in einer Studie. Doch klare Vorgaben für Investoren können das verhindern.
Historikerin über ukrainischen Fußball: „Sportler müssen laut sein“
Welche Rolle spielen Sportler in einem Land, in dem Krieg herrscht?
Kateryna Chernii über Fußball, Social Media und enttäuschte Fans.
Entwicklungshilfe für Wasserprojekte: Wohin das Geld fließt
Deutschland ist einer der größten Geldgeber für Wasserprojekte weltweit.
Eine taz-Datenanalyse erkundet, ob die Milliarden bei den Richtigen
ankommen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.