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# taz.de -- Entwicklungshilfe für Wasserprojekte: Wohin das Geld fließt
> Deutschland ist einer der größten Geldgeber für Wasserprojekte weltweit.
> Eine taz-Datenanalyse erkundet, ob die Milliarden bei den Richtigen
> ankommen.
Von dem Geld wurde die Wasserversorgung einer Grundschule in Nigeria
bezahlt. Es ging in [1][Dachwassertanks, sparsame Wasserhähne und
Toiletten] in jordanischen Gemeinden, die viele Flüchtlinge aufnehmen. Es
fließt in Förderkrediten nach Mexiko, um die Wasserbehörde bei ihren
Reformen zu unterstützen.
Mehr als eine Milliarde Euro sagt Deutschland jedes Jahr für Wasserprojekte
weltweit zu. Die Bundesrepublik ist in diesem Bereich eines der wichtigsten
Geberländer der Welt. Aber geht dieses Geld auch an die, die es am meisten
brauchen?
Um diese Frage zu beantworten, hat die taz in einer großen Datenrecherche
genauer analysiert, wohin die deutschen Gelder aus der
Entwicklungszusammenarbeit zum Thema Wasser zwischen 2002 und 2019 flossen.
Dafür wurden Datensätze der OECD von über 100 Ländern aufbereitet, neu
berechnet und mit anderen Daten – etwa zu Wassermangel und dem Zugang zu
sauberem Trinkwasser – ins Verhältnis gesetzt.
Die Daten werfen wichtige Fragen auf: Warum bekommen die ärmsten Länder
nicht die meisten Gelder? Warum gibt es Länder mit großer Wassernot, in die
kaum Finanzierung fließt? Warum werden so häufig Mega-Projekte gefördert?
Die Beantwortung dieser Fragen erzählt nicht nur etwas über die weltweite
Wasserkrise. Sie zeigt auch beispielhaft, wie komplex die Vergabe von
Geldern in der Entwicklungszusammenarbeit funktioniert. Denn darüber, ob
und wohin Geld fließt, entscheidet nicht nur der Fakt, wie dringend es
gebraucht wird. Aktuelle Krisen spielen genauso eine Rolle wie historische
diplomatische Verbindungen.
Bei der Frage, ob die Finanzierung von Projekten im Bereich
Wasserversorgung gelingt oder nicht, geht es nicht nur um Zahlen, sondern
um Leben. Wenn die Unterstützung nicht zunimmt, rechnet die UN aus, dann
mangelt es im Jahr 2030 wohl immer noch 1,6 Milliarden Menschen an sicherem
Trinkwasser.
Die internationale Gemeinschaft hat sich als Teil ihrer Ziele für
nachhaltige Entwicklung bis 2030 auch einen Wasservorsatz vorgenommen. Ziel
6 ist: sauberes Wasser und Sanitärversorgung für alle.
Doch dafür müssen sehr viele Länder sehr viel mehr Mittel aufbringen. In
einem [2][Bericht der Vereinten Nationen zum Zwischenstand] bei diesem Ziel
heißt es: „Zwanzig Länder und Gebiete meldeten eine Finanzierungslücke von
61 Prozent zwischen dem identifizierten Bedarf und den verfügbaren
Geldern.“ In vielen betroffenen Regionen fehlt also Geld. Viel Geld.
Der Klimawandel verschärft die Lage. Die [3][Weltwetterorganisation WMO hat
Anfang Oktober gewarnt], dass sowohl Überschwemmungskatastrophen als auch
Trinkwassermangel weltweit schlimmer würden. „Wir müssen aufwachen und uns
dieser drohenden Wasserkrise stellen“, sagte Generalsekretär Petteri
Taalas.
## Nimmt Deutschland das Thema Wasser ernst genug?
Schaut man sich die Gelder genauer an, die Deutschland in den vergangenen
Jahren in Wasserprojekte weltweit gesteckt hat, so sieht es zunächst so
aus, als gehöre die Bundesrepublik zu den Ländern, die die wachsende
Dringlichkeit des Themas verstanden haben.
Schließlich ist Deutschland eines der wichtigsten Geberländer für den
Wassersektor. In vielen der vergangenen Jahre wechselte sich die
Bundesrepublik mit Japan auf den ersten beiden Spitzenplätzen der Geber für
bilaterale Projekte ab.
Und die Summen, die jährlich für den Wassersektor eingeplant werden,
wuchsen in der Tendenz. Im Jahr 2003 sagte die Bundesrepublik rund 431,2
Millionen Dollar zu. Zehn Jahre später überstiegen die zugesagten
Wassergelder schließlich sogar eine Milliarde – 1,3 Milliarden US-Dollar
verplante Deutschland im Jahr 2012. Ab 2017 blieb sie immer über der
Milliardenmarke.
Aber: Die Gelder, die Deutschland in die Entwicklungszusammenarbeit steckt,
nehmen in dem Zeitraum allgemein zu. Das hat unter anderem damit zu tun,
dass auch bestimmte Kosten für Flüchtlinge im eigenen Land als
Entwicklungsgelder verbucht werden dürfen und dieser Wert 2015 plötzlich
stark wuchs. 2016 etwa wurden nach Berechnungen der Wissenschaftlichen
Dienste des Bundestages 25 Prozent der gesamten Entwicklungsgelder
Deutschlands im eigenen Land ausgegeben.
Blick man also auf die Wichtigkeit des Wassersektors prozentual – im
Vergleich zu dem Rest der Gelder –, so sieht man, dass er auf einem relativ
niedrigen Niveau von meist unter 10 Prozent dümpelt. Das Thema wird also
über die Zeit nicht wichtiger im Vergleich zu anderen.
Wissenschaftlerin Annabelle Houdret vom Deutschen Institut für
Entwicklungspolitik beobachtet, wie Deutschland sich im Wasserbereich
engagiert. Sie schätzt Wasser als zentrales Thema für die deutsche
Entwicklungszusammenarbeit ein.
Neben der Erderhitzung könnte nun ein weiterer Effekt dazu beitragen, dass
die Wasserkrise an Relevanz gewinnt. Durch die Pandemie, so Houdret, habe
sich auch ein neues Bewusstsein für die Wichtigkeit von Wasserthemen
gebildet. „Ich glaube, Corona hat nun stark hervorgehoben, wie dringend es
ist und wie schlimm, dass Leute sich zum Beispiel in Warteschlangen
öffentlicher Versorgungspunkte anstecken, wenn sie keinen Wasseranschluss
zu Hause haben.“
## Bekommen die Länder mit dem größten Wassermangel das meiste Geld?
Unter den Ländern, die die meisten Gelder erhalten, sind viele mit hohem
Wasserstress. Der Begriff bezeichnet, in welchem Verhältnis der Verbrauch
eines Landes zu den dortigen Wasservorkommen steht. Länder mit extremem
Wasserstress verbrauchen jährlich mehr als 80 Prozent ihrer verfügbaren
Ressourcen.
Besonders betroffen von Wassermangel: Der Nahe Osten und Nordafrika, die
sogenannte Mena-Region. Sie gilt als die [4][wasserärmste der Welt] – und
ist eine der wichtigsten Empfängerregionen für deutsche Entwicklungsgelder
im Wasserbereich.
Erstellt man eine Top 10 der Empfängerländer von deutschen Zahlungen
zwischen 2002 und 2019, liegen mit Jordanien, Tunesien, Marokko,
Westjordanland und Gazastreifen sowie Ägypten die Hälfte der Staaten dieser
Rangliste im Nahen Osten oder Nordafrika.
Deutschland finanziert hier zum Beispiel die [5][Wasserversorgung für
syrische Flüchtlinge] und ihre aufnehmenden Gemeinden mit Zuschüssen.
Jordanien ist eines der Länder der Erde, in denen weltweit die meisten
Flüchtlinge untergebracht sind. [6][Ende Mai diesen Jahres zählte das UNCHR
rund 755.000 Flüchtlinge im Land], von denen 667.000 aus dem Nachbarland
Syrien kamen. Damit sind etwa [7][10,5 Prozent der Bevölkerung] des Landes
Flüchtlinge.
Über die Jahre ist Jordanien das Land, das die meisten der deutschen
offiziellen Entwicklungsgelder im Wasserbereich bekommt. Darunter fallen
vor allem Kredite, aber auch Zuschüsse. Nach unseren Berechnungen summieren
sich die Gelder von 2002 bis 2019 insgesamt auf rund 968 Millionen
US-Dollar.
## Warum bekommen einige wasserarme Länder kaum Geld?
Es gibt einige Länder, die unter extremem Wasserstress leiden und trotzdem
wenig oder kein Geld von Deutschland in diesem Bereich bekommen: Libanon,
Iran, Libyen, Eritrea, Pakistan, Turkmenistan und Botswana.
Für diese blinden Flecken der Zusammenarbeit gibt es unterschiedliche
Gründe. Ob die Regierung sich zu Reformen bereit zeigt, ist ein Grund. Wie
der Empfängerstaat seine Bürger*innen behandelt, ein anderer.
„Nicht alle Staaten sind Partnerländer der staatlichen deutschen
Entwicklungszusammenarbeit“, erklärt das Entwicklungsministerium auf
taz-Anfrage. „Dies ist zum Beispiel für den Iran der Fall – unter anderem
wegen gravierender Defizite im Bereich Achtung der Menschenrechte.“
Menschenrechtsorganisationen stellen dem Iran, aber auch Eritrea und
Turkmenistan, regelmäßig ein katastrophales Zeugnis aus. Der
Rechtsstaatlichkeitsindex des Global Justice Projects sieht den Iran in
seinem Ranking nur auf Platz 119 von 139 – bei den Grundrechten sieht die
Organisation das Land sogar auf dem letzten Platz der Länderliste.
Allerdings: Der Iran teilt sich die letzten Ränge hier mit China (Platz
136) und Ägypten (Platz 138). Beiden Ländern werden ebenfalls
Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen – Deutschland lässt ihnen trotzdem
große Summen zukommen.
Wie viel Geld ein Land bekommt und in welchem Bereich, hängt also
grundsätzlich stark von den diplomatischen Verbindungen ab – konkret von
dem Fakt, ob ein Staat von der Bundesrepublik als Partnerland angesehen
wird.
Das Bundesentwicklungsministerium hat im vergangenen Jahr [8][ein neues
Reformkonzept] vorgestellt, wie Partnerländer für direkte staatliche
Zusammenarbeit definiert werden. Unter Kritik von
Nichtregierungsorganisationen, denn der Ansatz ist: Die Zahl der Länder
soll weiter reduziert werden. Deutschland will in noch mehr Ländern aus der
Zusammenarbeit aussteigen.
## Gehen deutsche Gelder auch in Kriegsländer?
Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan Mitte August dieses
Jahres stellte Deutschland die staatliche Entwicklungszusammenarbeit
zunächst ein.
Ein Weg, die Bevölkerung trotzdem weiter zu unterstützen, ist die Förderung
über multilaterale Organisationen wie die UN. Im Fall von Syrien
unterstützt Deutschland die Flüchtlinge des Landes auch in verschiedenen
Nachbarländern.
In Syrien hatte Deutschland noch in den Jahren 2008 und 2009 rund 77,58 und
80,39 Millionen US-Dollar im Wassersektor zugesagt. In den nachfolgenden
Jahren floss nach Beginn des Bürgerkrieges nur noch ein kleiner Teil.
2011 hatte das Entwicklungsministerium wegen der Krise die
Entwicklungsarbeit offiziell weitgehend suspendiert. Seitdem wurde sie nie
wieder aufgenommen, betont eine Ministeriumssprecherin: Es bestünden „keine
Beziehungen“ des Ministeriums zur syrischen Regierung.
Aber: Das heißt nicht, dass kein Geld fließt. Aufgrund der Notlage
unterstütze das Ministerium weiterhin Maßnahmen in Syrien zum Wiederaufbau
der vom Bürgerkrieg stark beschädigten Trink- und Abwasserinfrastruktur.
„Der Schwerpunkt dieser Maßnahmen liegt auf den Gebieten in Nordwest- und
Nordostsyrien, die der militärischen und administrativen Kontrolle des
syrischen Regimes entzogen sind.“ Dabei werde ausschließlich mit den
Vereinten Nationen und der syrischen Zivilgesellschaft zusammengearbeitet,
so eine Sprecherin.
Wo hört eine Zivilgesellschaft auf, wo fängt ein Regime an? Eine solche
Grenze ist in einem Kriegsland schwer zu ziehen. So sind zum Beispiel auch
kommunale Wasserversorger in die Projekte in Syrien eingebunden, wie das
Ministerium auf Nachfrage bestätigt.
## Warum fließt so viel Geld nach China?
China ist ein Land, das für die Menschenrechtssituation vor Ort kritisiert
wird. Und gleichzeitig ist es für deutsche Entwicklungsgelder im
Wasserbereich über die Jahre der zweitgrößte Empfängerstaat. Das Verhältnis
ist kompliziert: China sei für „die deutsche Entwicklungszusammenarbeit
zugleich Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale“, heißt es in einem
[9][Positionspapier des Bundesentwicklungsministeriums].
Der Staat bekam und bekommt in großem Ausmaß Entwicklungsgelder – und hat
sich gleichzeitig selbst über das vergangene Jahrzehnt zum Geberland
gewandelt.
In afrikanischen Ländern stößt das Land mit großen Investitionen wichtige
Infrastrukturprojekte an. Die Leistungen Chinas in der
Entwicklungszusammenarbeit sind aber auch umstritten – kritisiert wird,
dass es China nicht interessiere, [10][ob dabei in den Partnerländern
Menschenrechts- und Umweltstandards eingehalten würden]. Andere mahnen,
dass Empfängerländer durch die Kreditkonditionen Chinas in der
Schuldenfalle landeten.
Das Forschungszentrum AidData hat über Jahre [11][Daten zu
Entwicklungsfinanzierung] aus dem Staat zusammengetragen. Sie beziffern die
gesamten Entwicklungshilfe-ähnlichen Zahlungen aus China in allen Bereichen
zwischen 2000 und 2017 auf 101 Milliarden US-Dollar (ungefähr 87 Milliarden
Euro) – noch viel mehr gibt das Land aber für andere Arten von Krediten an
Entwicklungsländer aus. Die beiden größten Empfängerländer sind nach der
Analyse von AidData Irak und Nordkorea.
Das Land verbraucht jährlich 20 bis 40 Prozent seiner Wasservorkommen und
hat damit mittelhohen Wasserstress. Neue Zuschüsse aus dem Etat des
Entwicklungsministeriums gibt es für das Land seit mehr als zehn Jahren
nicht mehr: „Es gab sowohl in der finanziellen als auch in der technischen
Zusammenarbeit im Wassersektor in China keine Neuzusagen mit
Haushaltsmitteln nach 2009“, so eine Sprecherin des
Entwicklungsministeriums. Auch mit zwei neuen Verträgen danach sollten nur
alte Zusagen erfüllt werden.
Was es aber weiterhin gibt, sind Förderkredite. Zum Beispiel unterstützt
Deutschland über einen [12][Kredit der KfW-Entwicklungsbank ein Projekt in
der Stadt Yangzhou im Osten Chinas], wo eine Kläranlage um- und ausgebaut
werden soll. Die Kreditsummen sind teils üppig: 2019 etwa hat die
Bundesrepublik mit insgesamt rund 230 Millionen US-Dollar (etwa 198
Millionen Euro) eine außergewöhnlich hohe Summe zugesagt.
Die bürokratischen Rädchen der Entwicklungszusammenarbeit sind nicht die
schnellsten. Und im Falle von China drehten sie sich noch weiter, als das
Land eigentlich schon in eine andere Rolle hineingewachsen war.
## Warum bekommen manche Länder mit wenig Wasserstress viel Geld?
Es gibt mehrere Länder, die schwachen bis mittleren Wasserstress haben und
trotzdem in der Vergangenheit vergleichsweise viel Geld bekommen haben:
Tansania, Vietnam, Kenia und Sambia sind darunter. Sie bekamen jeweils über
die Jahre mehr als 200 Millionen US-Dollar.
Das heißt allerdings nicht, dass das Geld dort falsch gelandet wäre.
Teilweise ist Wasser innerhalb des Landes so ungleich verteilt, dass es
wasserarme Regionen oder starke lokale Dürren in eigentlich wasserreichen
Ländern gibt. In einem Land mit guten Wasserressourcen kann es durch
mangelnde Infrastruktur trotzdem dazu kommen, dass sauberes Trinkwasser
oder Zugang zu sanitärer Versorgung fehlt.
Uganda ist ein gutes Beispiel: Deutschland ist einer der wichtigsten
bilateralen Geber für das ostafrikanische Land und im Wasserbereich sogar
der größte. Zwischen 2002 und 2019 flossen aus Deutschland insgesamt 201,81
Millionen US-Dollar.
Immer wieder leiden Teile des Landes unter Dürren. Aufgrund dessen sind
[13][nach Zahlen der Weltbank] mehr als 10 Prozent, ungefähr 4,5 Millionen
Menschen, jährlich von Wassermangel betroffen. 2017 stürzte eine Dürre
etliche Ugander*innen in die Not, etwa eine Million benötigte demnach
dringende Ernährungshilfen.
Außerdem mangelt es an grundlegender Versorgungsinfrastruktur: So haben
[14][nach Daten von WHO und Unicef] nur 17 Prozent der Bevölkerung stetigen
Zugang zu sauberem und sicherem Trinkwasser auf dem Grundstück. 39 Prozent
müssen bis zu 30 Minuten laufen und womöglich Schlange stehen, um sich zu
versorgen. Andere müssen noch längere Strecken zurücklegen, vielleicht
Wasser aus einer ungesicherten Quelle oder gar Oberflächenwasser trinken,
etwa aus Flüssen, Seen, Kanälen.
## Bekommen die ärmsten der betroffenen Länder am meisten?
Der Zugang zu Wasser ist global höchst ungleich verteilt: 70 Prozent der
Menschen in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara [15][mangelt es an
sicherem Trinkwasser]. In dieser Region liegen auch die meisten der
sogenannten „am wenigsten entwickelten Länder“. 34 von 46 Staaten weltweit
zählt die UN in diese Kategorie.
Das meiste Geld im Wassersektor fließt jedoch an die Länder, denen es schon
vergleichsweise besser geht. Das wird beim Blick auf die verschiedenen
Einkommensgruppen klar, in die das Geld in den vergangenen Jahrzehnten
floss.
Der größte Teil der Investitionen ging an die Länder mittleren Einkommens.
Damit setzt sich im Wassersektor fort, wofür Deutschland in der jüngeren
Vergangenheit auch insgesamt kritisiert wurde: nicht genug seiner
Entwicklungsgelder an die Ärmsten zu geben.
So schreibt der Entwicklungshilfeausschuss der OECD (DAC) [16][in seinem
letzten Prüfbericht,] Deutschland sei zwar seit 2016 unter den im DAC
organisierten Ländern der zweitgrößte Geber, der für die Leistungen an die
am wenigsten entwickelten Länder gesetzte Zielwert von 0,15 Prozent des
Bruttonationaleinkommens sei jedoch noch nicht erreicht. 23 Prozent der
bilateralen Entwicklungs-Bruttoleistungen „bestehen aus Krediten, die fast
alle an Länder der mittleren Einkommensgruppe gehen“.
Das Entwicklungsministerium scheint auch nicht wirklich etwas zu
unternehmen, um das zu ändern – jedenfalls unternimmt es keine Schritte,
die dem entgegenstehen könnten. Das schreibt die Welthungerhilfe in
[17][einer Bewertung des Reformkonzepts 2030].
Auch Expert*innen im Wassersektor fordern von der Bundesrepublik, mehr
Mittel gezielter für arme Menschen auszugeben. So etwa das Wash-Netzwerk,
eine Initiative deutscher Nichtregierungsorganisationen, die zu Wasser,
Sanitärversorgung und Hygiene arbeiten – diesen Dreiklang nennen die
Fachleute kurz: Wash.
Im Sinne des in den UN-Entwicklungszielen zentralen Versprechens, niemanden
zurückzulassen, sollten mindestens 50 Prozent der im Wash-Bereich
investierten Mittel „für die Ärmsten der Armen bereitgestellt werden – zur
Unterstützung einer schrittweisen Realisierung der Menschenrechte auf
Wasser- und Sanitärversorgung“, heißt es [18][in einem Positionspapier].
Aber wer sind die Ärmsten der Armen?
„Da sind wir beim Punkt – dass es nämlich keine besonders verlässliche
Messung von Seiten der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gibt, wo welche
Mittel hinfließen und welche Bevölkerungsgruppen davon profitieren“, sagt
Johannes Rück, Koordinator des Netzwerks.
Zum einen könne man auf die Zielländer blicken: Jordanien, China, Tunesien,
Marokko und Mexiko etwa seien Partner der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit, in denen Strukturen für eine Kooperation
historisch gewachsen und somit womöglich machbarer seien als in anderen
Staaten. „Aber das sind nicht die am wenigsten entwickelten Länder, bei
denen man sagen könnte: Hier erreicht man Menschen, die aller
Wahrscheinlichkeit nach in extremer Armut leben.“
Zum anderen sei es aber auch die Art des unterstützten Projekts sowie der
Ort wichtig: „Einen großen Teil des Geldes investiert Deutschland in die
größeren zentralen Systeme, die leitungs- oder kanalgebunden sind, wie etwa
organisierte Abwasserbehandlungen, Kläranlagen und so weiter“, sagt Rück.
„Die sind in der Regel in den städtischen Zentren beheimatet, wo im
Allgemeinen eher Menschen leben, die schon der extremen Armut entkommen
sind.“
Er wolle nicht vorwerfen, dass nur Reiche adressiert werden, sagt Rück. Er
weist aber auf einen [19][Weltbankbericht aus dem Jahr 2019] hin, der
zumindest darauf hindeutet, dass nicht nur deutsche Gelder, sondern
Subventionen im Wasserbereich generell eher Wohlhabenden zugute kommen.
„Das war eine gewisse Bombe im Wassersektor.“
Die Autor*innen des Berichts gehen nach einer Analyse von zehn
Entwicklungsländern davon aus, dass 56 Prozent der Beihilfen im
Wasserbereich den wohlhabendsten 20 Prozent der Bevölkerung zugutekommen.
Demnach entfallen nur sechs Prozent der Subventionen auf die ärmsten 10
Prozent.
Dem Bericht zufolge werde mit den meisten Subventionen zwar beabsichtigt,
dass die erschwingliche Versorgung mit Wasser und sanitären Anlagen für
Arme gesichert werde. Aber am Ende profitierten oft relativ bessergestellte
Haushalte, die bereits über Anschlüsse an die Wasser- und
Sanitärinfrastruktur verfügten. „Die Ärmsten der Armen“, denen es im
Allgemeinen an Zugang zu der vernetzten Versorgung mangele, blieben übrig –
ohne ihr Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser, folgern die Autor*innen.
„Angesichts der Tatsache, dass die meisten Subventionen teuer, wenig
zielorientiert, intransparent und verzerrend sind, ist es dringend
notwendig, dass politische Entscheidungsträger*innen überdenken, wie
derzeitige Ausgaben funktionieren, und vorhandene Ressourcen sorgsam
ausrichten, um die größte Wirkung zu haben“, schreiben sie.
## Warum fließt so viel Geld in Großprojekte?
Das meiste deutsche Geld fließt in Megaprojekte – in große Systeme, also
umfangreiche Vorhaben etwa im Bereich von Kanalisation und Leitungen. Eine
einfache Latrine etwa fällt nicht darunter, sondern Projekte wie der Bau
von Kläranlagen, Wasserfernleitungen und von Meerentsalzungsanlagen.
Kann das Hilfe für die Ärmsten der Armen sein oder steckt dahinter der
Wunsch nach Großprojekten, an denen dann möglicherweise wieder deutsche
Ingenieur*innen und Unternehmen beteiligt werden?
„Große Systeme stellen die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung einer
Ortschaft durch ein Netz sicher, an das die Einzelhaushalte angeschlossen
werden. Die grundlegenden Systeme versorgen hingegen meistens mehrere
Haushalte auf einmal“, schreibt das Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) [20][in einem Papier] dazu und führt
weiter aus: „Die Pro-Kopf-Kosten der Wasserversorgung und
Abwasserentsorgung über große Systeme betragen ein Mehrfaches der Kosten
für grundlegende Versorgung.“
Es wäre natürlich nicht besser, nun nur noch Wasserkioske und Latrinen zu
unterstützen, weil diese als grundlegende Versorgung billiger sind. Doch
die Frage bleibt: Wie viele Menschen lässt die deutsche
Entwicklungszusammenarbeit mit ihren derzeitigen Investitionen zurück?
Das Einzelprojekt mit dem größten Finanzvolumen liegt in Marokko, dem
drittgrößten Empfängerland. Hier sagte Deutschland im Auftrag des
Bundesentwicklungsministeriums 2013 einen riesigen Förderkredit über rund
271,5 Millionen Dollar zu, damals umgerechnet etwa 200 Millionen Euro, für
die Wasserstrategie der staatlichen OCP Group, die zuletzt einen
Jahresumsatz von umgerechnet ungefähr 5,31 Milliarden Euro vermeldete.
Marokko ist außerordentlich reich an Phosphatvorkommen, so verfügt die OCP
Group nach eigenen Angaben über den Zugang zu 70 Prozent der weltweiten
Phosphatreserven. Trotzdem befand Deutschland das Ganze als so
förderungswürdig, dass es sich für einen vergünstigten Kredit aussprach.
Doch die Zusammenarbeit mit Marokko entwickelt sich für Deutschland zur
Blamage: Marokko ist zwar einer der gehypten „Reformpartner“ des
Entwicklungsministeriums – ein Staat, den das Ministerium für besonders
reformorientiert hält und deswegen stärker unterstützt.
Aber die gesamte Kooperation ist derzeit völlig in der Schwebe. Im März
2021 hat die marokkanische Regierung Berlin nämlich abserviert: Die
Bundesregierung erfuhr aus den Medien, dass die marokkanische Regierung
entschieden hatte, einseitig sowohl die Beziehungen zur deutschen Botschaft
in Rabat als auch zu den Organisationen und politischen Stiftungen
abzubrechen. Hintergrund dürfte die Haltung der Bundesregierung sein, das
umkämpfte Territorium Westsahara nicht als marokkanisches Staatsgebiet
anzuerkennen.
Seit März 2021 ruhen deswegen nach Aussage des Ministeriums die meisten
Projekte oder sie sind verzögert. Große Systeme sind anfällig für große
Probleme.
Mitarbeit: Luise Strothmann
Francesca Morini ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am UCLab der FH
Potsdam, mit dem die taz für die Visualisierungen kooperiert hat. Ihre
Arbeit an den Grafiken ist Teil des [21][VIDAN-Forschungsprojekts], das vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung und in Kooperation mit der
civity Consulting Group gefördert wird.
28 Oct 2021
## LINKS
[1] /Syrische-Gefluechtete-in-Jordanien/!5797648
[2] https://www.unwater.org/publications/un-water-glaas-2019-national-systems-t…
[3] https://public.wmo.int/en/media/press-release/wake-looming-water-crisis-rep…
[4] https://openknowledge.worldbank.org/bitstream/handle/10986/27659/211144ov.p…
[5] /Syrische-Gefluechtete-in-Jordanien/!5797648
[6] https://reporting.unhcr.org/sites/default/files/Jordan%20operational%20upda…
[7] https://www.nrc.no/perspectives/2020/the-10-countries-that-receive-the-most…
[8] https://www.bmz.de/de/entwicklungspolitik/reformkonzept-bmz-2030
[9] https://www.bmz.de/de/laender/globale-partner
[10] https://www.bundestag.de/resource/blob/809266/2844a74ea1c3a5bbb192e1615a2e…
[11] https://www.aiddata.org/publications/banking-on-the-belt-and-road
[12] https://www.kfw-entwicklungsbank.de/ipfz/Projektdatenbank/Yangzhou-Tang-Wa…
[13] https://www.gfdrr.org/en/publication/disaster-risk-profile-uganda-2019
[14] https://washdata.org/data/household#!/uga
[15] https://washdata.org/report/jmp-2021-wash-households-LAUNCH-VERSION
[16] https://www.oecd-ilibrary.org/sites/83f90077-de/index.html?itemId=%2Fconte…
[17] https://www.welthungerhilfe.de/aktuelles/publikation/detail/bewertung-des-…
[18] https://www.washnet.de/wp-content/uploads/PositionspapierWASH_WEB_72dpi-1.…
[19] https://www.worldbank.org/en/topic/water/publication/smarter-subsidies-for…
[20] https://www.bmz.de/resource/blob/29022/de637f525ab43fb36ec717103cf0aa65/0_…
[21] https://uclab.fh-potsdam.de/projects/vidan/
## AUTOREN
Eva Oer
Francesca Morini
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