| # taz.de -- Rot-gelb-grüne Koalitionsverhandlungen: Machtkampf ums Geld | |
| > Christian Lindner und Robert Habeck wollen beide Finanzminister werden. | |
| > Dabei geht es nicht nur um Egos, sondern auch um inhaltliche | |
| > Unterschiede. | |
| Bild: Beim Kampf ums Finanzministerium geht es um mehr, als die Eitelkeit zweie… | |
| Berlin taz | Das Objekt der Begierde liegt mitten in Berlin, Wilhelmstraße | |
| Ecke Leipziger Straße. Das Bundesfinanzministerium ist in einem wuchtigen | |
| Bau aus der Nazizeit untergebracht, im ehemaligen | |
| Reichsluftfahrtministerium. Die Fenster sehen aus wie Schießscharten, in | |
| der Pfeilerhalle hängt das Wandbild „Aufbruch der Republik“, das in der DDR | |
| angebracht wurde. Glückliche Menschen, die den Arbeiter-und-Bauern-Staat | |
| aufbauen. | |
| Hier residiert im Moment noch Olaf Scholz, der sich noch vor Weihnachten | |
| von einem Ampelbündnis zum Kanzler wählen lassen will. Offiziell betonen | |
| die Beteiligten von SPD, Grünen und FDP, die am Donnerstag die | |
| [1][Koalitionsverhandlungen] offiziell starteten, wie harmonisch alles | |
| laufe. Aber hinter den Kulissen schwelt ein Machtkampf, dessen Klärung | |
| unter anderem entscheidet, wie ernst der Ampel der Klimaschutz ist. | |
| Es geht um eine Frage, die sich nicht durch einen Kompromiss entschärfen | |
| lässt. Wer darf in Zukunft in Scholz’ Büro sitzen, Christian Lindner oder | |
| Robert Habeck? Sowohl der FDP-Chef als auch der Grünen-Vorsitzende möchten | |
| Finanzminister werden. Beide haben sich darauf vorbereitet, beide halten | |
| das Haus für zentral, um ihre Anliegen in der Regierungsarbeit | |
| durchzusetzen. Dabei geht es um weit mehr als die Egos zweier eitler | |
| Männer. | |
| Der Finanzminister ist – neben dem Kanzler – der mächtigste Mann im | |
| Kabinett, er bestimmt maßgeblich den Kurs der nächsten Regierung. Alle | |
| MinisterInnen müssen sich gut mit ihm stellen, er redet bei allen | |
| haushaltsrelevanten Gesetzen mit. Die Geschäftsordnung der Bundesregierung | |
| billigt dem Finanzminister ein Vetorecht zu. Damit kann er keine Gesetze | |
| verhindern, weil es nur eine aufschiebende Wirkung hat. Aber allein die | |
| Drohung (samt öffentlicher Debatte) wirkt Wunder. | |
| Außerdem ist das Finanzministerium mit so genannten Spiegelreferaten | |
| ausgestattet. Das sind Einheiten, die die Arbeit der anderen Ministerien | |
| verfolgen, etwa ihre Gesetzesvorhaben und ihre Einzeletats. Der | |
| Finanzminister weiß deshalb immer, was in der Regierung passiert – und kann | |
| intervenieren. Vor allem aber gilt: Wer das Geld hat, hat die Macht. Zwar | |
| wird der Haushalt vom Parlament verabschiedet, aber die Beamten im | |
| Finanzministerium stellen ihn auf. Sie liefern also die Vorlage, stellen | |
| Weichen, nehmen grundsätzliche Abwägungen vor. Der machtbewusste Scholz | |
| wusste all das zu nutzen – und hat das Haus zu einem Schatten-Kanzleramt | |
| ausgebaut. | |
| Verschärft wird der Konflikt zwischen den Habeck-Grünen und der Lindner-FDP | |
| durch das [2][Sondierungsergebnis]. Die VerhandlerInnen verständigten sich | |
| vergangenen Freitag bei den Finanzen auf Kernanliegen der FDP. Es wird | |
| keine Lockerung der Schuldenbremse geben, keine neuen Substanzsteuern | |
| und keine Steuererhöhungen, weder bei der Einkommen-, der Unternehmen- | |
| oder der Mehrwertsteuer. Das freut UnternehmerInnen und wohlhabende | |
| FDP-WählerInnen. | |
| Aber es heißt auch: Wichtige Geldquellen für den Staat fallen weg. Um 50 | |
| Milliarden Euro pro Jahr für Klimaschutz auszugeben, wie es die Grünen | |
| wollen, müsste der neue Finanzminister sehr kreativ werden. Die Spielräume | |
| in der Schuldenbremse müssten genutzt, Steuerschlupflöcher gestopft, | |
| öffentliche Gesellschaften gegründet werden, die eigenständig Kredite | |
| aufnehmen können. | |
| Angesichts der roten Linien der FDP werde das operative Geschäft „umso | |
| wichtiger“, sagt der grüne Europaabgeordnete Rasmus Andresen. Der | |
| Finanzminister sitze in einer Koalition am Tischende und wisse, was geht | |
| und was nicht. „Robert Habeck wäre ein Finanzminister, der Spielräume für | |
| Klimaschutz oder Soziales nutzt.“ | |
| Grüne, die sich mit der Materie auskennen, sehen es genauso. Man dürfe nach | |
| schweren Kompromissen in der Steuerpolitik nicht auch noch die Umsetzung | |
| der Finanzpolitik opfern, sagte Sven Giegold auf dem Grünen-Länderrat am | |
| Sonntag. „Geld ist nicht alles. Aber ohne Geld wird alles nichts.“ Giegold | |
| verhandelt in den anstehenden Gesprächen für die Grünen den Bereich | |
| Finanzen. Auch andere wichtige Grüne hatten sich zuletzt für einen | |
| Finanzminister Habeck stark gemacht, etwa Baden-Württembergs Finanzminister | |
| Danyal Bayaz oder Parteivize Ricarda Lang. | |
| Aber auch die FDP lässt keinen Zweifel an ihrem Machtanspruch. Kaum war das | |
| rot-grün-gelbe Sondierungspapier veröffentlicht, schwärmte der | |
| Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Marco Buschmann, im Spiegel von | |
| Christian Lindner als Finanzminister. „Ich kann mir niemand Besseren für | |
| diese Aufgabe vorstellen.“ Er habe gesehen, wie gründlich sich Lindner auf | |
| diese vorbereitet habe. FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki warb ebenfalls für | |
| seinen Parteichef. | |
| Jener meldete sich am Sonntag mit einer doppeldeutigen Botschaft zu Wort. | |
| Lindner sprach sich zwar gegen öffentliche Diskussionen über Ministerposten | |
| aus, betonte dann aber, dass es wichtig sei, dass jeder der drei Partner | |
| gestalterisch wirken könne. Und fügte einen viel sagenden Satz hinzu: „Es | |
| gibt das Bundeskanzleramt, es gibt das Finanzministerium, es gibt ein neues | |
| Klimaministerium.“ Ein Versehen? Wohl eher Absicht. Wo sich Lindner in | |
| dieser Aufteilung sieht, ist offensichtlich. | |
| Verwunderlich ist das nicht. Die FDP hat in einem Ampelbündnis politisch | |
| den weitesten Weg zu gehen, die traditionelle FDP-Wählerschaft steht der | |
| Ampel eher skeptisch gegenüber. Finanzpolitische Erfolge sichern den | |
| Liberalen das Überleben als Partei. Hinzu kommt das Trauma der | |
| schwarz-gelben Regierungsjahre. 2009 holte Guido Westerwelle mit | |
| großmäuligen Steuersenkungsversprechen das beste Wahlergebnis in der | |
| Parteigeschichte. Nur konnte die FDP in ihrer Regierungszeit unter Angela | |
| Merkel wenig davon umsetzen. | |
| ## Wer sich durchsetzt, ist noch völlig offen | |
| Bis auf die viel verspottete Mövenpick-Steuer, eine Senkung der | |
| Mehrwertsteuer im Hotelgewerbe, konnte die FDP wenig Erfolge erzielen – und | |
| selbst diese Mini-Steuersenkung ging eigentlich aufs Konto der CSU. Bei der | |
| Bundestagswahl 2013 folgte ein Desaster, die Liberalen flogen erstmals seit | |
| Gründung der Bundesrepublik aus dem Bundestag. Lindner, der danach den | |
| liberalen Scherbenhaufen übernahm, sprach damals von der „bittersten | |
| Stunde“ seiner Partei. Insofern weiß er nur zu gut, dass er in einem | |
| Ampelbündnis liefern muss. | |
| Aber wer setzt sich durch? Das, heißt es bei den Grünen, sei „völlig | |
| offen“. Aber man sei entschieden, diese Frage „hart“ zu stellen. Mehrere | |
| Grüne verwiesen gegenüber der taz auf das Reißverschlussprinzip, das bei | |
| der Ressortvergabe gelte. Traditionell werden die Kabinettsposten ganz am | |
| Ende von Koalitionsverhandlungen ausgehandelt. Dabei gilt die grobe Regel: | |
| Der Stärkste bekommt das Kanzleramt. Der Zweitstärkste hat den ersten | |
| Zugriff auf ein Ministerium seiner Wahl. Dann darf der nächste Partner | |
| auswählen. | |
| Und wieder von vorn. In dieser Logik wäre den Grünen das Finanzministerium | |
| sicher. Aber das Reißverschlussprinzip wird selten eins zu eins | |
| eingehalten, meist geht es um eine Paketlösung, bei der hin und her | |
| verhandelt wird. Die SPD schlug in den Verhandlungen über die Groko 2017 | |
| das Finanzministerium, das wichtige Ressort für Arbeit und Soziales und das | |
| Auswärtige Amt für sich heraus. | |
| ## Inhaltlich geht es um viel | |
| Sie bekam ein Luxuspaket, weil sie sich noch einmal in ein Bündnis mit der | |
| Union quälte. Lindner könnte in der aktuellen Situation das Argument | |
| ziehen, dass die FDP den problematischen Lagerwechsel absolviert. Und | |
| sollen die Grünen, wenn sie selbst zugreifen, der FDP ein | |
| Klimaschutzministerium überlassen, das diese dann beanspruchen könnte? | |
| Schwierig. | |
| Inhaltlich geht es, wie gesagt, um viel. In dem sich abzeichnenden | |
| Ampelbündnis kursieren viele Ideen, wie sich trotz Schuldenbremse Geld für | |
| Investitionen auftreiben lässt. Eine davon: Der Staat könnte öffentliche | |
| Gesellschaften gründen oder ausbauen, die eigenständig Kredite aufnehmen | |
| können. Die Deutsche Bahn ist eine Aktiengesellschaft im Besitz des Bundes. | |
| Sie könnte mit geliehenen Milliarden, die nicht im Bundeshaushalt | |
| auftauchen, das Schienennetz ausbauen. Ähnliches wäre bei der | |
| Ladeinfrastruktur für E-Autos und anderswo denkbar. | |
| Die FDP hingegen hat keine große Leidenschaft für Staatskonzerne. Sie setzt | |
| bei der noch ungelösten Finanzfrage auf Einsparungen, Superabschreibungen | |
| und auf Wirtschaftswachstum – vor allem durch private Investitionen. Die | |
| VerhandlerInnen haben im Sondierungspapier außerdem vereinbart, den | |
| Haushalt auf überflüssige, unwirksame und klimaschädliche Subventionen zu | |
| überprüfen. Aber auch da gehen die Vorstellungen weit auseinander. | |
| Die Grünen wollen etwa die steuerliche Begünstigung von Diesel abschaffen, | |
| was dem Staat mehrere Milliarden Euro pro Jahr einbringen würde. Lindner | |
| sieht das aber als „eine Steuererhöhung für die breite Mitte der | |
| Gesellschaft“. Ein grüner Finanzminister würde also im operativen Geschäft | |
| ganz andere Entscheidungen treffen als ein liberaler. | |
| Entscheidend ist der Posten auch für die deutsche Europapolitik. Die so | |
| genannten sparsamen vier, Österreich, die Niederlande, Dänemark und | |
| Schweden, vertreten eine ganz andere Haushaltspolitik als südeuropäische | |
| Staaten. Sie wehrten sich etwa gegen allzu großzügige Coronahilfen. Wie | |
| sich Deutschland hier künftig positioniert, ist extrem wichtig. Nächstes | |
| Jahr entwerfe die EU-Kommission neue Finanzregeln, sagt der Grüne Andresen. | |
| „Ich fände gut, wenn der zuständige EU-Kommissar dann Robert Habeck anruft | |
| – und nicht Christian Lindner.“ Wolfgang Kubicki würde es wohl genau | |
| andersherum sehen. | |
| 21 Oct 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jasmin Kalarickal | |
| Ulrich Schulte | |
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