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# taz.de -- Rot-gelb-grüne Koalitionsverhandlungen: Mut zum Bruttoinlandsglück
> Eine mitgehörte Feierrunde der Koalitionär:innen enthüllt, was den
> Erfolg der Gespräche ausmachte – und was sie für die nächsten vier Jahre
> planen.
Bild: Olaf Scholz genießt die Begeisterung für die neue Art des Regierens
Vorbemerkung: Das folgende Gespräch wurde zufällig an einem verdeckten
Nebentisch in Olaf Scholz’ Lieblingsrestaurant belauscht und
mitprotokolliert. Das zukünftige Regierungskabinett feierte dort den
Verhandlungsabschluss der [1][Ampelkoalition].
Scholz: Ich hebe mein Glas auf euch alle und danke euch sehr für den
erfolgreichen Abschluss unserer konstruktiven Gespräche! (Gläserklirren,
Beifall, Jubel) Meiner Wahl zum Kanzler steht nun nichts mehr im Wege. Ich
denke, entscheidend für den Erfolg war die doppelte Vertrauensbildung nach
innen und außen. Nach innen haben wir Vertraulichkeit gewahrt. Nach außen
signalisieren wir der Bevölkerung mit unseren Leitlinien, dass wir eine
neue politische Kultur etablieren, die für mehr Resonanz zwischen
Regierenden und Regierten sorgt. Und Lust auf Zukunft macht. Auf den
Neustart im Neustaat.
Lindner: Es wird der erste Koalitionsvertrag in der Geschichte sein, der
auf einen Bierdeckel passt.
Scholz: Christian, du übertreibst. Aber es stimmt schon: Unser Versprechen,
zu allen wesentlichen Politikbereichen [2][zufällig geloste Bürgerräte]
einzusetzen und deren ausgearbeitete Ratschläge zu befolgen, ist historisch
einmalig. Das zeugt von neuem Respekt gegenüber dem Souverän.
Lindner: Und erspart uns viel Steuergeld und Schreibkram beim
Koalitionsvertrag. Als Bürgerrechtspartei mit einer langen stolzen
Tradition setzen wir auf konsequente Entbürokratisierung, Demokratisierung
und Dezentralisierung. Wir setzen Task Forces für eine grundstürzende
Steuerreform ein, denn die Steuern sollen vor allem in die Regionen fließen
statt in den Bund. Städte und Kommunen bekommen neue Freiheiten zurück und
entscheiden autonom, ob sie von den Steuergeldern Schulen oder Kliniken
finanzieren wollen.
Habeck: Genauso stolz bin ich auf die Jugendräte und die neuen
interdisziplinären Gremien, die in allen Ministerien an zentraler Stelle
sitzen werden. Jugendliche können endlich mitreden bei einer
Zukunftspolitik, die vor allem sie betrifft. Und interdisziplinäre Gremien
machen ein neues Denken out of the box möglich. Von hier an anders! Auch
die neue Fehlerkultur. Danke, Olaf, dass du dich öffentlich für die
unzureichende Aufarbeitung des Cum-Ex- und [3][Wirecard-Skandals]
entschuldigt hast. Danke, Annalena, für das Bekenntnis, die
Copy-and-Paste-Tasten zu viel benutzt zu haben. Dass wir uns als fehlbare
Menschen zeigen, schafft Vertrauen in der Bevölkerung.
Baerbock: Und ich bin besonders stolz auf das Herzstück unseres Vertrages:
Klimaschutz als Priorität und Querschnittsaufgabe aller Ministerien. Wie
ihr wisst, sitzt zukünftig eine Klima-Staatssekretärin in jedem Ministerium
und in einem koordinierenden Klimarat im Kanzleramt. Alle Gesetze und
Entscheidungen werden geprüft, ob sie mit dem [4][1,5-Grad-Ziel] und den
UN-Nachhaltigkeitszielen vereinbar sind.
Lindner: Ich finde es sehr clever, die Wirtschaftsförderung nun darauf
auszurichten, ob sie regionale und lokale Resilienz fördert, Rohstoffe wie
beim Urban Mining recycelt und CO2-lastige Transportwege überflüssig macht.
Das spart dem Steuerzahler viel Geld. Und ist dringend nötig nach der
pandemiebedingten Verödung der Innenstädte. Ebenso clever ist die
vereinbarte Kürzung der Subventionen für fossile Energien – satte 50
Milliarden mehr im Staatssäckel. Mehr netto für brutto.
Baerbock: Willy Brandt hat den Satz geprägt: „Mehr Demokratie wagen.“ Ich
sage: „Mehr Bruttoinlandsglück wagen.“
Lindner: Da kann ich voll mitgehen. Mehr ist immer gut.
Scholz: Ich sehe meine Rolle als Kanzler vor allem als eine moderierende.
Sozial ist, was das Klima schützt, Arbeit schafft und Freiheit fördert.
Eine neue politische Kultur bedeutet auch: Respekt füreinander, auch für
die [5][Diversität der Gesellschaft]. Wir haben in unserem Kabinett so
viele Frauen und Neudeutsche wie noch nie. Wusstet ihr, dass der Name
Scholz auch migrantisch ist? Er kommt aus dem Schlesischen und bedeutet
„Vorsteher der Dorfgemeinschaft“.
Schulze: Ha, dann bin auch ich eine Vorsteherin! Als neue Ministerin für
menschen- und mitweltfreundliche Mobilität, kurz MMM, freue ich mich schon
jetzt auf Dorfgemeinschaften, die per Öffi mit den Metropolen verbunden
sind, leise abgasfreie Innenstädte, Autobahnen mit perspektivisch nur noch
einem Fahrstreifen.
Baerbock: Und als Ministerin für Umwelt, [6][Artenvielfalt] und
Landwirtschaft freue ich mich darauf, wieder mehr Vögel, Molche,
Schmetterlinge, Gräser und Mikroben als Teil unserer Gesellschaft begrüßen
zu dürfen. Eine Gesellschaft der Menschen allein ist nicht lebensfähig. In
Anerkennung dieser Tatsache haben wir den Scholz’schen Respekt auf alle
Lebewesen ausgeweitet und nehmen zukünftig eine fürsorgliche statt
funktionale Haltung ihnen gegenüber ein. Das bedeutet unter anderem eine
schrittweise Abschaffung von Massentierhaltung und riesigen Monokulturen
zugunsten von regenerativer Landwirtschaft, die zudem enorm viel CO2 in den
Boden zurückbringt.
Lindner (halblaut): Ach du Scheiße. Die Molch-Ministerin aus Bullerbü.
Scholz (rügend): Christian, worüber haben wir gerade geredet? Bitte bleibe
respektvoll.
Lindner (beschwichtigend): Wir sind für die nächsten zehn Jahre die neue
gelb-grüne Mitte, wir kämpfen nicht mehr gegeneinander. Die FDP befindet
sich auf dem Höhepunkt ihrer Geschichte, sie hat das nicht mehr nötig.
Habeck: Ich vertraue Christian. Und deshalb haben wir auch vereinbart, dass
wir nach zwei Jahren die Stellen tauschen. Dann werde ich Finanzminister
und er Minister für Wirtschaft, Digitales und erneuerbare Energien.
Scholz: Gut finde ich auch unsere Vereinbarung, uns den Gang in
überflüssige Fernseh-Talkshows künftig zu sparen. Auch das ist ein
vernünftiges Sparprogramm.
Schulze: Dafür führen wir die Humorpflicht ein. Wer als Abgeordneter im
Bundestag während der ganzen Legislaturperiode keinen Lacher zu verzeichnen
hat, wird nicht mehr aufgestellt.
Lindner: Ich wusste es doch! Verbot der Humorlosigkeit! Die Verbotsparteien
können es nicht lassen!
13 Oct 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Ute Scheub
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